5 Technik-Trends, die Hoffnung machen

Das düstere Corona-Jahr ist vorbei. Schauen wir also nach vorne. Bajour-Präsident Matthias Zehnder hat fünf technische Entwicklungen zusammengetragen, die aus seiner Sicht Anlass zu Hoffnung geben.

Die Erde
(Bild: NASA)

Ich weiss nicht, wie es Ihnen geht, aber mein Mass an schlechten Nachrichten ist schon lange voll. Ich habe mich deshalb gefragt: Welche technischen Entwicklungen haben das Potenzial, die Welt zu verändern? Sprich, welche Erfindungen oder Trends werden unser Leben schon bald stark beeinflussen und gleichzeitig im weitesten Sinn zu einer besseren Welt beitragen?

Nun kann man argumentieren: Um die Welt ist es so schlecht bestellt, weil der Mensch zu viel Technik hat. Wir brauchen anderes. Solidarität, Empathie, Nächstenliebe, Achtung vor der Natur, Abkehr vom Konsum. Das stimmt natürlich. Und es liegt allein an uns, mehr Solidarität oder Empathie zu zeigen und weniger zu konsumieren. Trotzdem bleiben wir auf Technik angewiesen.

Was also sind die fünf technischen Entwicklungen, die Anlass zu Hoffnung geben?

1) Die Impfstoffe

Die mit Abstand wichtigste Entwicklung für alle Menschen 2021 wird die Impfung gegen Covid-19 sein. Es ist nicht neu, dass Impfungen für die Menschheit eine grosse Rolle spielen – wir haben es bloss alle vergessen. Ich erinnere mich gut, wie wir als Kind die Polio-Impfung als Schluckimpfung verabreicht erhielten: Eine weiss gekleidete Krankenschwester träufelte drei Tropfen der Impflösung auf einen Würfelzucker und legte uns dann das durchtränkte Zuckerstück wie der Priester die Hostie beim Abendmahl auf die Zunge.

Für mich war damals nicht der Schutz vor der furchtbaren Kinderlähmung die grosse Sensation, sondern dass ich (ungestraft!) ein ganzes Stück Würfelzucker schnabulieren konnte. Es war ein bittersüsses Vergnügen: Nach der Süsse des Zuckers spürte man mit der Zunge den bitteren Impfstoff.

2021 werden wir dank verschiedenen Impfungen gegen Covid-19 früher oder später aufatmen können. Dass die Impfungen so rasch haben entwickelt werden können, hat drei Gründe:

  1. Sie bauen auf bestehenden Impftechnologien auf.
  2. Universitäten, Pharmafirmen und innovative Startups haben auf der ganzen Welt in noch nie da gewesener Art und Weise zusammengearbeitet.
  3. Für die Phase 3-Versuche waren und sind (leider) so viele infizierte Menschen verfügbar, dass diese Tests, die manchmal Jahre dauern, in wenigen Wochen abgeschlossen werden konnten.

Zwei der ersten Impfungen, diejenige von Pfizer und die von Moderna, basieren auf einer neuen Impftechnologie. Bei herkömmlichen Impfungen werden abgeschwächte oder tote Viren in den Körper injiziert. Die neuen Impfstoffe verwenden an Stelle des Virus ein Stück des Virus-Bauplans. Eine grandiose Entwicklung, die den ersten Platz auf meiner Liste verdient.

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Was du über die Corona-Impfung wissen musst

Wo werden die Basler*innen geimpft? Wer kommt zuerst dran? Was kostet mich das? Gibt es Nebenwirkungen? Wir haben die Antworten.

Die Impfungen werden auch in anderer Hinsicht unser Leben prägen: Sie werden zu ganz neuen Diskussionen über die Rechte und Pflichten von Bürgern sorgen. Schon bald wird nicht mehr die Frage sein, ob eine Impfpflicht rechtens ist, sondern umgekehrt, ob es wirklich ein Recht auf Impfverweigerung gibt. Es wird nicht mehr die Frage sein, ob eine Fluggesellschaft die Impfung verlangen darf, sondern umgekehrt, ob sie so fahrlässig sein darf, auf eine Impfpflicht zu verzichten.

Warum soll ein Konzerthaus nicht auf der Impfung bestehen? Oder umgekehrt: Wäre es überhaupt verantwortbar, dass ein Theater nicht auf der Impfung besteht? Die Impfung wird deshalb nicht nur unsere Oberarme prägen, sondern auch die Diskussion um Rechte und Pflichten von Menschen gegenüber Mitmenschen.

2) Feststoffbatterien

Die andere grosse Krise, die uns weiterhin begleiten wird, ist die Klimakrise. Da gibt es keine einfache Impfung, die das Klima (oder uns) aus der Krise befreien wird. Es gibt aber einzelne Entwicklungen, die mich hoffnungsvoll stimmen. Die wichtigste ist vielleicht die Feststoffbatterie von Quantumscape.

Wenn wir von nachhaltiger Energieproduktion reden, meinen wir heute die Produktion von Strom mit Sonne, Wind und Wasser. Das grosse Problem dabei: Diese Energiequellen liefern den Strom nicht unbedingt dann, wenn wir ihn brauchen – und Strom lässt sich ganz schlecht speichern. Wer schon ein E-Auto besitzt, weiss, was ich meine.

E-Autos arbeiten, wie Notebooks und Mobiltelefone auch, mit Lithium-Ionen-Akkus. Deren flüssigen Elektrolyte sind brennbar, deshalb müssen sie geschützt und abgesichert werden. Sie werden im Betrieb heiss – dass kennen alle, die schon einmal mit einem Notebook auf den Knien gearbeitet haben. Lithium-Ionen-Akkus müssen deshalb gekühlt werden.

Feststoffbatterien haben diese Nachteile nicht. Bis jetzt ist es jedoch nicht gelungen, eine solche Batterie zu entwickeln. Genau das scheint jetzt aber die amerikanische Firma Quantumscape geschafft zu haben.

Vor Weihnachten hat CEO Jagdeep Singh die Entwicklung namens Solid State Battery, kurz SSB, vorgestellt. Die Firma habe eine Batterie entwickelt, die sich in 15 Minuten auf 80 Prozent der vollen Leistung aufladen lasse, die etwa 50 Prozent mehr Reichweite als bisherige Akkus biete und das bei einer viel längeren Lebensdauer. Und dann soll die Batterie auch noch vergleichsweise günstig in der Herstellung sein.

Wenn das zutrifft, dann hat Quantumscape eine unglaublich wichtige Erfindung gemacht. Und es sieht schon so aus, dass es stimmt. Immerhin stammt das Geld für die Entwicklung vor allem von Volkswagen und von Bill Gates – und die Firma hat soeben eine Milliarde Dollar Kapital aufgenommen, um mit der Erfindung in die Massenproduktion zu gehen. 

Quantumscape ist übrigens nicht die einzige Firma, die an Feststoffakkus forscht. Toyota, Panasonic und andere Batteriehersteller arbeiten ebenfalls an der Technik.

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Kleines Teil, riesen Echo: Der M1-Chip von Apple. (Bild: Screenshot)

3) M1-Chip

Bereits in der Massenproduktion ist ein neuer Chip von Apple: «M1» heisst er und es ist der erste Computerprozessor einer neuen Generation, den Apple Inhouse entwickelt hat. In den iPhones und iPads stecken seit jeher Prozessoren, die Apple selbst entwickelt hat. Die Computer, also die iMacs und die MacBooks, arbeiteten in den letzten 15 Jahren aber mit Prozessoren von Intel.

Jetzt hat Apple einen eigenen Computerprozessor entwickelt – und kann die Abhängigkeit von Intel abstreifen. Auf der ganzen Welt waren Technikspezialisten überwältigt von der Leistungsfähigkeit der neuen M1-Macs.

Warum gehört der M1-Chip in die Liste der Erfindungen, die Mut und Hoffnung machen? Weil der Chip dafür steht, wie der Mensch mit Hilfe von guten Ideen und cleverem Engeneering die Gesetze der Physik aushebeln kann.

In der Computerei gibt es ein zentrales Gesetz: Es heisst Moores Law. Benannt ist es nach Gordon Moore, einem der Gründer von Intel. Er hat als erster die Rechenleistung und die Miniaturisierung in eine Beziehung gesetzt und eine Regel postuliert, nach dem sich die Rechenkraft von Prozessoren etwa alle eineinhalb Jahre verdoppeln wird.

In den letzten Jahrzehnten hatte dieses Gesetz Bestand – und es bedeutet, dass die Computerei langsam, aber sicher an eine Grenze stösst. Denn Prozessoren und Chips lassen sich nicht beliebig verkleinern, ohne irgendwann auf atomare oder gar subatomare Level zu stossen.

Apple hat mit dem neuen Prozessor bewiesen, dass es nicht nur um schiere Rechenleistung geht, sondern dass die Leistung eines Computersystems wesentlich von der Architektur und der Zusammenarbeit der Bestandteile abhängig ist. Das zeigt: Grips schlägt Physik. Wenn es wirklich zählt, ist der Mensch in der Lage, mit guten Ideen grosse Entwicklungssprünge zu machen – und das macht mir ganz generell Hoffnung.

4) Crew Dragon by SpaceX

Grosse Sprünge im wörtlichen Sinn macht SpaceX: Die Weltraumfirma von Elon Musk hat mit ihrer neuartigen Raketentechnologie die Weltraumfahrt revolutioniert. 2020 hat SpaceX mit «Crew Dragon» zum ersten Mal eine bemannte Raumkapsel in den Weltraum befördert.

Warum ist mir das so wichtig, dass ich es hier aufführe? Ich bin, das gebe ich zu, ein Weltraum-Romantiker. Ich bin ein Star-Trek-Fan (TNG, wenn Sie es genau wissen wollen), ich habe schon als Junge die Space-Shuttle-Missionen mitverfolgt und mich damals sogar als Astronaut verkleidet, weil mich die Weltraumfahrten der NASA so begeisterten.

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Als Astronaut verkleidet ... (Bild: zvg)

Ich erinnere mich an mein Entsetzen über das Challenger-Unglück 1986, als 73 Sekunden nach dem Start die Trägerrakete von Space Shuttle Challenger explodierte. Elon Musk hat mit seinem Traum von der Reise zum Mars die Begeisterung für den Weltraum wiederbelebt. Mich fasziniert die Falcon-9-Rakete von SpaceX, die wiederverwendbar ist, weil sie computergesteuert auf die Erde zurückkehrt und senkrecht landet.

Ich glaube, dass das alles nicht nur für Weltraum-Romantiker wie mich wichtig ist. Ich glaube, dass SpaceX uns den Blick aus dem Weltraum auf die Erde zurückgegeben hat. Aus dem All sieht man sofort, dass es keinen Sinn hat, wenn die Länder auf diesem kleinen Planeten gegeneinander arbeiten.

Aus der Raumstation ISS haben die Astronauten die Buschfeuer in Australien mitverfolgt. Sie können beobachten, wie der Dschungel sich lichtet, weil in Brasilien oder Indonesien weiterhin Wald abgeholzt wird. Sie sehen den Smog über den Grossstädten. Und sie nehmen die Verletzlichkeit dieses wunderbaren Planeten wahr.

Ich erhoffe mir, dass durch die neue Begeisterung für den Weltraum mehr Menschen diese Perspektive auf die Erde einnehmen und deshalb unserem Planeten stärker Sorge tragen.

5) Age of Access

Die fünfte Technik für 2021 ist eigentlich keine Technik und es ist auch keine Idee aus dem Jahr 2020. Jeremy Rifkin hat schon vor 20 Jahren ein Buch geschrieben, das «Age of Access» hiess – also auf Deutsch etwa: «Zeitalter des Zugangs». Seine These: Künftig sei nicht mehr der Besitz von Gütern, Ideen oder Dienstleistungen wichtig, sondern der (rasche) Zugang.

Ein einfaches Beispiel dafür: Man muss ein Computerprogramm nicht besitzen. Man muss es lediglich benutzen können, wenn man es benötigt. Oder: Es ist völlig unnötig, dass jeder Haushalt zwei oder sogar drei Autos besitzt. Es reicht völlig aus, wenn man dann, wenn man Mobilität braucht, Zugang zum gerade richtigen Auto hat.

Jeremy Rifkin hat mit seinem «Age of Access» damit auch das Ende des Industriezeitalters, ja des Kapitalismus, wie wir ihn kennen, vorausgesagt. Im Jahr 2000 war das Buch visionär. Jetzt, 20 Jahre später, ist das, was Rifkin vorausgesagt hat, nicht nur möglich geworden, es ist zu immer grösseren Teilen Realität.

Vom Carsharing mit Mobility statt einem eigenen Auto bis zum SBB-Ticket-System Easy Ride an Stelle eines Generalabonnements – neue Technologien machen den Verzicht auf Besitz einfach.

Jetzt liegt es an uns, ob wir weiterhin Dinge anhäufen und damit die Welt kaputt machen, wie die Menschen das seit Jahrhunderten tun, oder ob wir uns auf den Zugang zu dem beschränken, was wir gerade brauchen.

Das ist eine gekürzte Fassung des Wochenkommentars von Matthias Zehnder. In voller Länge kannst du ihn hier lesen oder hier 👇 anschauen.

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Matthias Zehnder ist Bajour-Mitgründer und -präsident. Seinen Wochenkommentar veröffentlicht er auch auf seiner Website matthiaszehnder.ch. Hier kannst du ihn abonnieren und hier unterstützen.

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Matthias Zehnder

Bei Bajour als: Mitgründer und Präsident

Hier weil: für Medien dasselbe gilt wie für Gemüse: besser frisch aus der Region. Und dafür setze ich mich ein.

Sonst noch bei: Vorher Chefredaktor bz Basel, sonst insgesamt selbstständig mit eigener Firma als Publizist, Blogger, Medienwissenschaftler und Berater.

Kann: Dinge wie Denken, Schreiben, Vorlesungen halten sind hier wohl weniger gefragt. Aber mein Risotto kriegt jeweils gute Noten. Wäre das was?

Kann nicht: alles übrige. Vor allem mit Süssspeisen tue ich mich schwer. In jeder Beziehung.

Liebt an Basel: die Grenze und alles, was darüber hinausgeht.

Vermisst in Basel: das Meer

Interessensbindungen: abgesehen von den Kunden meiner Firma medial engagiert für den Service public bei der SRG Region Basel und kulturell engagiert im Vorstand der Freunde des Kunstmuseums und im Vorstand der Kult-Amici des Kultkinos.

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