SVP wirft SRF Einseitigkeit vor – hat die Partei recht?

Die SVP kritisiert, dass das Schweizer Radio und Fernsehen in seinen Sendungen die Schweiz nicht korrekt abbilde. Ein interessanter Punkt. Denn da ist etwas dran. Allerdings nicht im Sinn der SVP.

Schweizer Radio und Fernsehen (Studio Zuerich Leutschenbach) spiegelt sich in einer Hausfassade am Sonntag, 11. Oktober 2020, in Zuerich.
Seit Jahren geistert die Mär vom «linken Leutschenbach» (dem Sendestandort von SRF in Zürich) durch die Schweiz. (Bild: Keystone)

Am 1. Juni diskutierten in der Diskussionssendung «Club» des Schweizer Fernsehens SRF ein Europa-Experte, ein Ant-Rahmenabkommen-Aktivist und zwei Politikerinnen über den Ausstieg der Schweiz aus den Verhandlungen über das Rahmenabkommen mit der EU. Im Kreis mit Barbara Lüthi sassen Jacqueline Badran, Nationalrätin SP/ZH, und Christa Markwalder, Nationalrätin FDP/BE. Ein Vertreter der SVP sass nicht in der Runde.

Das sei «vollständig inakzeptabel», schrieb die Partei am Tag nach der Sendung in einer Medienmitteilung. Die Besetzung der Sendung mit «drei EU-Turbos» verstosse gegen das Prinzip der Ausgewogenheit. Die SVP wolle deshalb politisch gegen SRF vorgehen: «Dieser einseitige links-grüne Aktivisten-Journalismus muss gestoppt werden.»

Was die SVP übrigens nicht sagte: Kurz vorher, am Tag des Bundesratsentscheids, hatte schon die Arena eine Spezialausgabe über das Rahmenabkommen gesendet. Im inneren Kreis standen Vertreter der vier Bundesratsparteien – unter anderem Thomas Aeschi, Fraktionspräsident der SVP.

Aber weiter im SVP-Text: Am Sonntag nach der «Club»-Sendung «enthüllte» der «SonntagsBlick», dass die SVP eine Volksinitiative plane. Ziel sei eine Halbierung der Radio- und Fernsehgebühren in der Schweiz. Zudem sollen der Verwaltungsrat der SRG, die Geschäftsleitung, die Unabhängige Beschwerdeinstanz für Radio und Fernsehen (UBI) und die Redaktionen sämtlicher politischer Sendungen die politische Landschaft der Schweiz abbilden.

Die Glaubwürdigkeit des Artikels im «SonntagsBlick» wird etwas getrübt dadurch, dass «Blick» mit «BlickTV» ein wichtiges Konkurrenzprodukt zu SRF am Start hat und der zitierte SVP-Nationalrat Thomas Matter über seine Beteiligungsgesellschaft am Fernsehsender 3+ von Dominik Kaiser beteiligt war. Aber schauen wir einmal darüber hinweg, dass hinter politischem Getöse oft ganz banale Eigeninteressen stehen.

Wenden wir uns der wichtigsten Kritik der SVP und ihrer zentralen Forderung zu: Der «einseitige links-grüne Aktivisten-Journalismus» von SRF müsse «gestoppt werden», SRF müsse die «politische Landschaft der Schweiz abbilden». Die SVP verlangt also ein System von Repräsentanz, sowohl in wichtigen Gremien von SRF wie auch in den Redaktionen von SRF. Was heisst das genau?

Parteipolitische vs. gesellschaftliche Repräsentation

Der SVP geht es, siehe Kritik an der «Club»-Sendung, in erster Linie um parteipolitische Abbildung. Es geht ihr im Kern natürlich darum, selbst möglichst oft im Programm vorzukommen. Die Frage wäre, wie sich das umsetzen lässt.

Bei den letzten Nationalratswahlen erzielte die SVP einen Wähleranteil von 25,59 Prozent. Das würde bedeuten, dass jeder vierte Gast von Diskussionssendungen ein SVP-Vertreter sein müsste. Nun ist das Schweizer Fernsehen aber keine parteipolitische Veranstaltung. Die Bundesverfassung fordert, dass Radio und Fernsehen «Ereignisse sachgerecht» darstellen und «die Vielfalt der Ansichten angemessen zum Ausdruck» bringen (Art. 93 Radio und Fernsehen).

Der Auftrag von SRF ist mit anderen Worten nicht simple parteipolitische Ausgewogenheit, sondern gesellschaftliche Ausgewogenheit. Logisch: Schliesslich bezahlen alle Haushalte in der Schweiz Rundfunkgebühren, nicht nur Schweizer Stimmbürger*innen (und schon gar nicht nur jene, die an den letzten Wahlen teilgenommen haben).

«Viel wichtiger als links oder rechts ist heute oben oder unten.»

Man könnte also SRF den Vorwurf machen, dass die Fixierung auf Parteimitgliedschaft jene etwa 55 Prozent Schweizer*innen ausblendet, die nicht an den Wahlen teilgenommen haben, aber dennoch Radio und Fernsehen konsumieren. Dazu kommt, dass die SVP den politischen Kampf auf das uralte Links-Rechts-Schema und damit auf reine Ideologie reduziert. Wichtiger (und für eine gesellschaftspolitische Diskussion fruchtbarer) sind aber mittlerweile andere Gegensätze in der Gesellschaft.

Viel wichtiger als links oder rechts ist heute oben oder unten. Man könnte also SRF den Vorwurf machen, dass SRF sich in Diskussionssendungen zu sehr auf eine gesellschaftliche Oberschicht konzentriert und schlecht ausgebildete Menschen oder Armutsbetroffene zu wenig zu Wort kommen lässt.

Ähnliches gilt für den Gegensatz zwischen Stadt und Land. Nicht nur in gesellschaftspolitischen Fragen öffnet sich die Schere zwischen progressiven Städten und dem konservativen Land immer mehr. In der politischen Schweiz ist die Landbevölkerung strukturell bevorteilt: Das Ständemehr und die Zweiervertretung der Kantone im Ständerat verschaffen ländlichen Kantonen mehr Macht und Einfluss als den Städten. Dazu kommt noch, dass sich die Schweiz als ländliches Land imaginiert – obwohl die Schweiz schon historisch aus einem Städtebund hervorgegangen ist und heute wirtschaftlich von der Innovations- und Handelskraft der Städte lebt.

«Ein Programm kann nicht einfach als Abbild seiner Zuschauer*innen gestaltet werden. Es kommt auch darauf an, was dieses Publikum sehen und hören will.»

Politisch haben die Städte in der Schweiz aber wenig zu melden. So wie die SVP dem Schweizer Fernsehen vorwirft, links zu sein, könnte man vorwerfen, SRF sei zu sehr auf eine mittelalterliche, ländliche Bevölkerung ausgerichtet und lasse die jungen, progressiven Städte aussen vor.

Repräsentanz vs. Einschaltquoten

Doch damit kommen wir zu einem nächsten Konfliktpunkt: SRF macht nicht Politik, sondern Radio und Fernsehen. Das bedeutet: In der Praxis kommt es nicht nur darauf an, wen oder was SRF abbildet, sondern auch darauf, mit den Inhalten eine anständige Einschaltquote zu erzielen. Gerade der Stadt-Land-Gegensatz ist ein gutes Beispiel dafür, warum eine repräsentative Abbildung sich nicht so einfach in gute Quote übersetzen lässt.

Zwar wohnen heute 84,8 Prozent der Bevölkerung in Räumen mit städtischem Charakter und fast die Hälfte dieser städtischen Bevölkerung wohnt in den Agglomerationen von Zürich, Genf, Basel, Bern und Lausanne. Gemessen daran sind Städte im Allgemeinen und diese fünf Städte im Besonderen im Programm von SRF unterrepräsentiert.

Doch ein Programm kann nicht einfach als Abbild seiner Zuschauer*innen gestaltet werden. Es kommt auch darauf an, was dieses Publikum sehen und hören will. Und die städtische Bevölkerung in der Schweiz sehnt sich nach dem Land und sieht gerne bäuerliche Idyllen, Berge, Land und Wälder.

«SVP-Vertreter*innen sorgen häufig für deftige Schlagzeilen und sind deshalb auch als Quotenlieferanten bekannt. Aber sie sind nicht in allen Sendungen gleich gern gesehen.»

Das führt uns zu einem Punkt, den die SVP besonders ärgern dürfte. Ihre Vertreter*innen sorgen häufig für deftige Schlagzeilen und sind deshalb auch als Quotenlieferanten bekannt. Aber sie sind nicht in allen Sendungen gleich gern gesehen. In der «Arena» ist ein SVP-Polteri immer gut, das sorgt für eine entsprechende Betriebstemperatur im Kampf um die besseren Argumente. Der «Club» funktioniert aber anders. Es ist eine intimere Diskussion, ohne Publikum, es geht weniger um Konfrontation als um eine diskursive Annäherung an unterschiedliche Perspektiven. In diesem Umfeld sind SVP-Vertreter*innen kontraproduktiv – auch und gerade aus der Sicht des Publikums.

Die SVP ist deshalb in vielen Bereichen des Programms zu dem geworden, was die Volksmusik im Radio ist: Zwar hören etwa 20 bis 30 Prozent der Radiohörer*innen gerne Volksmusik, aber 70 bis 80 Prozent schalten sofort um oder aus, wenn sie Volksmusik hören. Deshalb hat Radio SRF1 Volksmusik aus dem Musikteppich verbannt und an die Musikwelle ausgelagert.

Wie Punkrock oder atonale Musik vertreibt Volksmusik zu viele Hörer*innen. Volksmusik ist für eine Minderheit ein Einschaltgrund, für eine Mehrheit aber ein Ausschaltgrund, also ein Impuls, sofort den Sender zu wechseln. Mit der SVP ist es ähnlich: Sie ist zwar die wählerstärkste Partei in der Schweiz, aber ihr ewig gleiches Gepolter ist für viele im Publikum auch ein Ausschaltgrund. Und Ausschaltgründe wollen (und sollen) elektronische Medien nach Möglichkeit vermeiden.

Linke Nachrichten und grüne Politik

Die SVP geht aber noch weiter. Sie beklagt nicht nur mangelnde politische Repräsentanz, sondern auch massiv linke Schlagseite in Nachrichtensendungen. Konkret schreibt sie: «In Informationssendungen wie der Tagesschau, der Rundschau oder 10 vor 10 berichten nicht mehr Journalisten, sondern ideologisch geleitete Aktivisten, die sich unverhohlen für linke Anliegen einsetzen und tendenziös zu Abstimmungsvorlagen berichten wie jüngst gegen das Freihandelsabkommen mit Indonesien oder aktuell für das CO2-Gesetz.» Auch dieser Vorwurf ist nicht neu.

Seit Jahren geistert die Mär vom «linken Leutschenbach» (dem Sendestandort von SRF in Zürich), von Sendungen mit Links-Drall, ja von linken Journalist*innen überhaupt durch die Schweiz. Schon in den 70er- und 80er-Jahren wehrte sich die Schweizerische Fernseh- und Radio-Vereinigung, bekannt als «Hofer-Club», gegen das «linke» Fernsehen.

Fakten sind weder links noch rechts.

1982 schrieb Roger Blum über den «Hofer-Club»: Die Vereinigung sei der «organisatorische Ausdruck der Kritik, die der Pressedienst der SVP und bürgerliche Parlamentarier» an Radio und Fernsehen übten. Ziel der bürgerlichen Kritiker sei aber kein «pluralistisches, sondern ein bürgerliches Radio und Fernsehen». Wir sind wieder bei den Eigeninteressen. Aber wie kommt jemand dazu, die bis zur Langeweile ausgewogenen Nachrichten- und Hintergrundsendungen von SRF als links und grünaktivistisch zu bezeichnen?

Es ist ja nicht nur die SVP, die in dieses Horn stösst. Auch bürgerliche Journalist*innen ärgern sich immer wieder über das angeblich linke SRF. So wettert Francesco Benini in den CH Media-Zeitungen diese Woche: «Die Prime-Time-Radiosendung Echo der Zeit hört sich zuweilen an wie ein Podcast der linksalternativen Wochenzeitung.»

Solche Urteile machen mich einigermassen ratlos. Was genau soll am «Echo der Zeit» linksalternativ sein? Benini begründet sein Verdikt nicht. Ich vermute, er stösst sich daran, dass das «Echo der Zeit» eine umfangreiche Auslandberichterstattung hat und auch aus Südamerika, Afrika und Südostasien berichtet.

Das «Jahrbuch Qualität der Medien» vom Forschungszentrum Öffentlichkeit und Gesellschaft der Universität Zürich kommt regelmässig zu einem ganz anderen Schluss: Die wissenschaftliche Studie bescheinigt dem «Echo der Zeit» seit Jahren Höchstwerte in den Bereichen journalistische Qualität, Relevanz und Themenvielfalt. Vielleicht schiebt Benini auch diese Studie mit einem Schulterzucken als «links» ab – eine wissenschaftliche Studie ist aber auf jeden Fall glaubwürdiger als eine Einzelmeinung ohne Begründung.

Benini kommt in seinem Artikel nach dem «Echo»-Verdikt zum Schluss: «Dass die SRG eine politische Schlagseite hat, ist nicht von der Hand zu weisen.» Vor allem dann nicht, wenn man diese Behauptung wie ein Mantra wiederholt.

«Gute Journalist*innen erkennt man daran, dass sie eine Sache von aussen zu betrachten versuchen. Auch die Schweiz.»

Klammern wir einmal Eigeninteressen und parteipolitisches Gedöns aus. Wie kommt es, dass in der Schweiz von SRF, aber auch von vielen anderen Medien immer wieder behauptet wird, sie seien links? SP und Gewerkschaften waren ja gegen das Rahmenabkommen – was soll denn da eine linke Position sein? Wie können nüchterne Nachrichtensendungen links sein?

Innen und aussen

Vermutlich hat es nicht mit links und rechts zu tun, sondern mit oben und unten – und mit innen und aussen. Die Kernaufgabe von politischen Medien ist es, die Mächtigen zu hinterfragen und zu kritisieren. Die Mächtigen in der Schweiz, das sind die bürgerlichen Parteien, es ist in weiten Teilen die Wirtschaft, grosse Firmen und Konzerne, die Banken. Lokal und regional mag es anders sein.

In der Stadt Basel zum Beispiel ist die SP die stärkste Partei. Auch in Basel ist aber der Grosse Rat, also das kantonale Parlament, bürgerlich dominiert. Das Resultat ist eine Politik, die auf dem Land vielleicht als links empfunden, in Tat und Wahrheit aber städtisch-bürgerlich ist. Medien kritisieren also die Mächtigen. Das ist ein Grund, warum sie oft als links gelten.

Es kommt aber noch ein Aspekt dazu. Von Hajo Friedrichs («Tagesthemen») stammt der Satz: «Einen guten Journalisten erkennt man daran, dass er sich nicht gemein macht mit einer Sache, auch nicht mit einer guten Sache; dass er überall dabei ist, aber nirgendwo dazugehört.» Man könnte auch sagen: Eine*n gute*n Journalist*in erkennt man daran, dass er*sie eine Sache von aussen zu betrachten versucht. Auch die Schweiz. Das relativiert, puts it into perspective, wie man auf Englisch sagt.

Ich vermute, dass es rechtsnational engagierte Menschen als links, ja als frevlerisch empfinden, wenn Journalist*innen die Schweiz aus internationaler Perspektive betrachten. Das empfinden sie als links, es ist aber eine genuin-journalistische Aufgabe. So gesehen ist es ein Kompliment, wenn die SVP die journalistischen Angebote von SRF als links bezeichnen. Es bedeutet schlicht, dass SRF professionell distanziert arbeitet – auch gegenüber der Schweiz.


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Disclaimer: Ich bin ein Befürworter eines starken Service Public und deshalb Vorstandsmitglied der SRG Region Basel (nicht etwa umgekehrt). Diesen Kommentar habe ich aber als Medienwissenschaftler und langjähriger Beobachter der Schweizer Medien geschrieben. Weder ist er mit der SRG oder mit SRF abgesprochen, noch verfüge ich über mehr Informationen als die breite Öffentlichkeit über SRF. Mich interessiert lediglich die Frage, wie ein breit abgestütztes Medium berichten muss, damit es als fair und ausgewogen anerkannt wird.

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Matthias Zehnder ist Bajour-Mitgründer und -präsident. Seinen Wochenkommentar veröffentlicht er auch auf seiner Website matthiaszehnder.ch. Hier kannst du ihn abonnieren und hier unterstützen.

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Bei Bajour als: Mitgründer und Präsident

Hier weil: für Medien dasselbe gilt wie für Gemüse: besser frisch aus der Region. Und dafür setze ich mich ein.

Sonst noch bei: Vorher Chefredaktor bz Basel, sonst insgesamt selbstständig mit eigener Firma als Publizist, Blogger, Medienwissenschaftler und Berater.

Kann: Dinge wie Denken, Schreiben, Vorlesungen halten sind hier wohl weniger gefragt. Aber mein Risotto kriegt jeweils gute Noten. Wäre das was?

Kann nicht: alles übrige. Vor allem mit Süssspeisen tue ich mich schwer. In jeder Beziehung.

Liebt an Basel: die Grenze und alles, was darüber hinausgeht.

Vermisst in Basel: das Meer

Interessensbindungen: abgesehen von den Kunden meiner Firma medial engagiert für den Service public bei der SRG Region Basel und kulturell engagiert im Vorstand der Freunde des Kunstmuseums und im Vorstand der Kult-Amici des Kultkinos.

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