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Im Alter durch die Pandemie

Wie geht es den Betagten?

Bewohner*innen von Alters- und Pflegeheimen sind von Corona besonders betroffen. Und doch kommen sie selten zu Wort. Wir haben ihnen zugehört.

Naomi Gregoris

01/17/21, 11:57 PM

Aktualisiert 01/19/21, 02:54 PM

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(Foto: Eleni Kougionis)

Alle leiden unter Corona, die Altersheime und ihre Bewohner*innen trifft es besonders hart. Als kürzlich eine Statistik des Bundesamtes für Gesundheit veröffentlicht wurde, wonach in den letzten zwölf Wochen mehr Menschen im Altersheim als im Spital an Corona starben, gingen die Schlagzeilen los. Die Rede war von Altersheimen als «Todesfalle» und «den grössten COVID-19-Stationen im Land».

Wie kommt es zu den hohen Zahlen in Alters- und Pflegeheimen?

Die Sprecherinnen der Senevita Gruppe und des Branchenverbands Curaviva begründeten die hohe Todeszahl in Heimen damit, dass viele der Bewohner*innen im Falle einer Corona-Erkrankung lieber in ihrem gewohnten Zuhause bleiben, als ins Krankenhaus verlegt zu werden.

Auch der Bundesrat sieht das Problem und  will laut einem Schreiben an die Kantone demnächst die serielle Testung des Pflegepersonals empfehlen.

Ausserdem sind die Impfteams im Einsatz. Bisher wurden in Basel von 7'092 Personen aber gerade mal 538 in Alters- und Pflegeheimen geimpft (Stand Montag). Das Gesundheitsdepartement geht auf Anfrage davon aus, dass bis ca. Mitte/Ende Februar alle Bewohner*innen der Alters- und Pflegeheime in Basel geimpft sein werden.

Nur die Heimbewohner*innen selbst blieben bisher nahezu ungehört (im Branchenmagazin von Curaviva war dazu kürzlich eine Medienanalyse zu lesen). Wer über die Altersheime spricht, muss aber auch die Bewohner*innen fragen. Wie haben sie das vergangene Jahr erlebt? Verspüren sie Angst? Wie blicken sie der nahenden Impfung entgegen?

Das Alters- und Pflegeheim Johanniter direkt am St. Johanns-Park ist eines der gehobeneren Heime in Basel. Die Zimmer sind hell, die Aussicht auf Park und Rhein idyllisch. In den Korridoren hängen winterliche Girlanden, die das Personal mit den Betagten gebastelt hat.

Besuche sind im Johanniter nach wie vor erlaubt, die Bewohner*innen dürfen das Haus verlassen, wann und mit wem sie wollen. Allerdings gibt es einen kontrollierten Zugang, vor Eintritt muss jede*r Besucher*in ein Formular ausfüllen und sich die Temperatur nehmen lassen. Der Speisesaal ist geschlossen, die Bewohner*innen essen im Wohnbereich ihrer Etage. Gibt es einen bestätigten Corona-Fall, wird die gesamte Etage für die nötige Zeit isoliert und zweimal im Abstand von fünf Tagen getestet. Im Falle einer Infektion entscheiden Bewohner*innen zusammen mit ihren Hausärzt*innen über eine Verlegung ins Spital. 

Heimleiter Urs Baudendistel bezeichnet die Stimmung im Heim als «konzentriert aber entspannt.» Wer sich vor Ort ein Bild macht, kann dies bezeugen: Auf den Gängen herrscht keine Hektik, die Bewohner*innen sitzen entspannt beieinander und kommentieren das Wetter oder die Reporterin und Fotografin, die gerade aus dem Lift getreten sind. «Schau an, so schlanke Mädchen!»

Wir besuchen sechs Bewohner*innen auf verschiedenen Etagen. Corona ist für jeden anders, das wussten wir bereits, aber diese Besuche machen deutlich, dass dies auch auf jene zutrifft, die gemeinhin als besonders gefährdet gelten.

Frau Jans

Altenheim Corona

(Foto: Eleni Kougionis)

Frau Jans hat den Fernseher an, es läuft die Pressekonferenz des Bundesrats. Als wir hineinkommen, springt sie vom Bett auf. «Setzt euch, setzt euch!» Sie lacht. Auf die Frage, was im letzten Jahr schwierig gewesen sei, antwortet sie: «Ich darf es ja fast nicht sagen, aber dieses Gejammere immer! Man muss doch froh sein, wenn man gesund bleibt.» Positiv bleiben und nach vorne schauen, das ist ihre Maxime. Wenn die anderen Bewohner*innen motzten, blieb sie still.

Zwar besuchen sie ihre Kinder nicht ganz so oft, aber die hätten schliesslich selber zu schauen. Da habe man keine Ansprüche zu stellen. Kürzlich ist ihr Sohn aus den USA angereist, der brachte ihr Sachen zum Flicken, Hosen zum Stopfen, Knöpfe, die angenäht werden müssen. Für Frau Jans kein Problem, sie ist gelernte Schneiderin.

Der Impfung schaut sie zuversichtlich entgegen. «Ich hatte noch nie Probleme damit, überhaupt hatte ich noch nie grosse Probleme, ich war noch nie richtig krank.» Sie lacht. «Ich bin noch nicht so alt wie ich aussehe.» Sagts und schwingt sich vom Bett, um sich für die Fotografin in Position zu bringen.

Herr Businger

Altenheim Corona Herr Businger

(Foto: Eleni Kougionis)

Herr Businger sitzt in seinem Rollstuhl auf dem Balkon und raucht. Das Recht dazu hat er sich hart beim Heimleiter erkämpft, er ist sehr stolz darauf. Sein Credo: «Nichtraucher leben nicht gesünder, die sterben nur gesünder.»

Herr Businger ist linksseitig gelähmt. Er war lange Zeit aktiver Fasnächtler, entsprechend schlimm waren die Absagen letztes und dieses Jahr für ihn. Im Moment beschäftigt ihn auch die Durchführung des Vogel Gryff. Auf Telebasel hiess es, der Tag könne prinzipiell durchgeführt werden, aber es käme auch auf die Momentsituation an, sagt er nachdenklich. Die ganzen Absagen der Sportveranstaltungen bedauert er auch. Herr Businger zählt auf: Spengler Cup, Lauberhorn, Kitzbühel. Die kann er nun nicht mehr im Fernsehen schauen.

Die Coronazeit habe ihm zugesetzt. Herr Businger nennt sie «Isolationshaft». «Für mich ist es eine Strafe, dass ich nicht mehr runter kann zum Essen.» Er vermisse den Kontakt zu den anderen Bewohner*innen. «Aber ich sagte mir: Augen zu und durch.» Selber ist Businger gesund geblieben, er hält sich an die Massnahmen. Für die Impfung hat er sich angemeldet.

Grundsätzlich steht er Corona fatalistisch gegenüber: «Es ist wie beim PC. Da kannst du Passworte reinpflümle, wie du willst, der professionelle Hacker kommt immer rein. Du kannst also Massnahmen ergreifen, soviel du willst. Wenn der Virus rein will, kommt er rein.»

Frau Benz

Das Zimmer von Frau Benz ist hell und liebevoll eingerichtet. Auf fast jeder Oberfläche stehen gerahmte Bilder und Kalender von ihr und ihren Enkel- und Urenkel*innen. Vor den weissen Gardinen hängt ein Mobile mit Fotos, eines davon zeigt das zerknautschte Gesicht eines Neugeborenen. «Mein fünfter Urenkel», sagt Frau Benz stolz. Fünf Tage nach seiner Geburt sei er bereits zu Besuch bei ihr gewesen. 

Seit gut fünf Jahren ist die gelernte Damenschneiderin nun hier. Fragt man sie, wie sie das letzte Jahr erlebt habe, redet sie, wie die meisten, die wir hier besuchen, erst einmal nicht über Corona. Sie habe ein paar körperliche Gebrechen gehabt, Herz-Lunge, Rückenprobleme, einen Oberschenkel-Bruch. «Danach ging es bergauf.»

Und mit Corona? Sie nickt. Das letzte Jahr sei nicht angenehm gewesen, «aber man nahm es halt hin». Ihre Kinder und Enkel*innen seien verantwortungsbewusst,. An ihrem Geburtstag im Mai sass sie im Garten des Heims, hinter der Hecke stand ihre ganze Familie. Es hat überall geblüht, alle waren da. Das sei sehr schön gewesen. 

Nur Weihnachten war für Frau Benz eine schwierige Zeit. Am 21. Dezember gab es das traditionelle Weihnachtsessen. Statt wie üblich im Festsaal mussten die Bewohner*innen auf ihrer Etage wegen Abklärung eines Corona-Falles alleine im Zimmer essen. Frau Benz wollte erst ihre Tochter anrufen, um sich etwas besser zu fühlen, liess es dann aber sein. Nanai, das wäre zu emotional geworden. «Ich habe es auch so überlebt.» Aber das Essen, das Essen sei vorzüglich gewesen. Kürbissuppe, Filet, Gratin. Frau Benz’ Augen leuchten. 

Ihre Tochter ruft sie mittlerweile fast jeden Tag an. «Damit ich nicht versinke. Das ist ja schnell mal möglich, in dieser Zeit.» Vor der Impfung habe sie keine Angst, im Gegenteil: «Sonst hat das hier ja nie ein Ende.»

Frau Peter

Altenheim Corona Frau Peter

(Foto: Eleni Kougionis)

Frau Peter sitzt am Fenster, vor ihr eine riesige, rosa Amaryllis. Sie zeigt auf ein kleines Plexiglasrohr, das schräg zum Stengel steht und das Köpfchen stützt. Die Blume sei so schwer gewesen, sagt sie lachend, da habe sie ihr kurzum Unterstützung geboten. He jo. Frau Peters Antworten sind präzise, ihre Nachfragen auch.  Erst will sie genau wissen, wer wir sind und was wir von ihr wissen wollen. Als es um die Impfung geht, fragt sie bei der Fachverantwortlichen, die mit im Zimmer sitzt, nach. Sie verstehe einfach nicht, wieso die Alters- und Pflegeheime nicht zuerst dran kommen. Die Verantwortliche beschwichtigt. Es ginge nur noch darum, alle Papiere zusammen zu haben. «Also ich habe längst unterschrieben», sagt Frau Peter. Sie stimmt der Impfung zu, der Hausarzt solle aber für sie entscheiden. Denn Frau Peter hatte bereits Corona.

Der Reihe nach. «Also, mein letztes Jahr war ein richtiges Durcheinander.» Aufgrund körperlicher Beschwerden hatte Frau Peter Mitte Jahr 16 Kilo abgenommen, woraufhin der Arzt sie in die Reha ins Pflegezentrum Adullam an der Mittleren Strasse schickte. Dort bekam sie Symptome, wurde positiv getestet und innerhalb von 15 Minuten vom zweiten Stock auf die Isolierstation im ersten Stock gebracht. Sie galt als Hochrisikopatientin, aber das Virus traf sie laut eigenen Aussagen nicht hart. 

Schlimm war etwas anderes. Durch die offenen Zimmertüren sah sie immer wieder Patient*innen an Beatmungsgeräten. Die Bilder verfolgen sie bis heute. «Es ist für mich jetzt nicht einfach so vorbei», sagt Frau Peter, «sowas geht ganz tief rein.» Sie stockt. «Es macht mir etwas Angst. Nicht um mich, sondern um die Jungen, die Zukunft.» 

Während Frau Peter in Isolation war, räumten ihr Sohn und seine Frau ihre Wohnung. Der Umzug ins Johanniter war von langer Hand geplant, ihr zweiwöchiger Isolationsaufenthalt nicht. Sie sah die Wohnung nie wieder. «Ich hätte gern zu Hause mitgeholfen und entschieden, was ich mitnehme», sagt sie. Die Wolldecke etwa, die so gut zu ihrem Bettüberwurf gepasst hätte. «Es ist nicht einfach. Ich bin zum Haus raus und danach nie mehr nach Hause.» Sie hatte 65 Jahre dort gewohnt.

Das Einleben falle ihr trotzdem nicht schwer. «Mein Tag hier hat ja kaum genug Stunden!» Frau Peter hockt nicht gern rum. Jeden Tag gibt es neue Aktivitäten. Spazieren, Malen, Basteln, Backen, Gedächtnisspiele. Sie macht alles mit, ausser Backen. «Das habe ich mein Leben lang genug gemacht.» Am liebsten malt sie Mandalas. Jedes Mandala wird in Heftern und Ordnern abgelegt, die sie fein säuberlich in der hübschen Holzvitrine in ihrem Zimmer verstaut. Ihr Lieblingsmandala hat einen schwarzen Hintergrund und eine goldene Mitte, rundherum ranken sich pinke Blumen und grüne Blätter. So mag sie es: Kräftig und kontrastreich.

Wir hören zu.

Herr Oberle

Altenheim Corona repo

(Foto: Eleni Kougionis)

Herr Oberle wohnt in einem gemütlichen Zimmer mit warmem Licht. Auf einem Tisch liegt ein Puzzle mit tausend Teilen, das Bild zeigt eine Schwarzweiss-Fotografie mit roten Akzenten. Jeden Montag kommt jemand vorbei und puzzelt mit ihm, dieses hier sei besonders schwer.

Die Corona-Zeit sei für ihn nicht so schlimm gewesen, nur an Weihnachten, als sein Sohn ihn mit nach Hause nehmen wollte und sie gemeinsam entschieden hätten, dass das keine gute Idee sei. Und vielleicht noch die Zeit, als eine Schwägerin etwas am Rücken hatte, ins Spital musste und kurz darauf an Corona verstarb. «Es ist nicht ganz so schlimm, wenn die Alten abkratzen, aber natürlich schon auch traurig.»

Herr Oberle hat 33 Jahre bei der Roche in der Tablettenentwicklung gearbeitet, er hat grosses Vertrauen in die Wissenschaft. Entsprechend klar ist auch seine Haltung gegenüber der Impfung: «Klar mache ich die, am liebsten als Erster!» Er hoffe, dass Corona danach langsam verschwinde. Aber daran glaube er nicht. «Das ist ein heimtückischer Chaib, der wird wiederkommen.»

Herr Häfliger

Herr Häfliger im Altenheim

(Foto: Eleni Kougionis)

Herr Häfliger sitzt vor seinem Tisch und legt sich eine Patience. Das Zimmer ist sorgfältig eingerichtet, an der Wand hängt ein Druck der Altstadt von Willisau, wo er herkommt. Daneben das Familienwappen der Häfligers: Ein Ritterhelm über einem gelben «Häfeli», einem Topf mit zwei Henkeln. Herr Häfliger trägt die braune Strickjacke, die ihm seine Frau vor 40 Jahren gestrickt hat. Der Bauch ist weg, jetzt passt sie ihm wieder. Aber das ist nicht der einzige Grund, warum er sie trägt.

Im Gespräch kommt er immer wieder auf sie zu sprechen, seine gute, liebe, tüchtige Frau. Keinen Monat ist es her, seit sie verstorben ist. «Sie hat vier Jahre lang gekämpft. Erst die Brust weg, dann die ganzen Verbrennungen vom Bestrahlen. Danach Metastasen in den Knochen und Chemo. Dann Metastasen im Hirn.» Herr Häfligers Stimme ist bestimmt, aber traurig. Die Bestrahlung habe seine Frau kaputt gemacht. «Sie war nicht mehr meine Frau», sagt er und zeigt auf das Foto neben sich. Darauf ist eine schöne alte Dame in blauem Oberteil zu sehen. Sie lächelt zufrieden.

Als sie starb, sagte ihr Herr Häfliger, sie solle ihn doch mitnehmen. «Dann können wir beide gehen.» Er schaut hinunter auf die Karten. «Aber die Zeit ist für mich wohl noch nicht gekommen.» In dem Moment als sie beerdigt wurde habe es «geregnet wie Sau, fünf Minuten lang». Danach kam die Sonne heraus. Herr Häfliger sagte zu seinen Kindern: «Schaut, sie wollte uns nur noch ein bisschen plagen.»

Herr Häfliger ist kein trauriges Gemüt, mehr als einmal macht er einen lustigen Spruch. Seit letztem Jahr sei er hier und direkt in dieses Glück gekommen. Seine Augen blitzen. «Die Einschränkung musst du annehmen, sonst drehst du durch.» 

Herr Häfliger ist klipp und klar für die Impfung, je schneller desto besser. Er verstehe nicht, wieso viele so dumm tun und nicht vernüftig sein können. «Aber ich muss ja auch nicht alles begreifen.»

Heute Montag wird im Rahmen einer kantonalen Sitzung über ein neues Schutzkonzept in den Alters- und Pflegeheimen diskutiert. Das Johanniter hat vom Gesundheitsdepartement die Zusage, dass es noch diese Woche Besuch vom mobilen Impfteam bekommt. 80% der Bewohner*innen haben sich für eine Impfung entschieden und ihr schriftliches Einverständnis gegeben.

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