Der zärtliche Prince aus dem Fricktal
Wegen der ausserordentlichen Lage tauft Guy Mandon sein «GIF X»-Album bei Gärngschee Kultur – und wir freuen uns neben dieser Premiere vor allem darauf, endlich unsere Haushymne live zu erleben.
Der Song heisst «Stream» und passt insofern wie die Faust aufs Auge des Digitalen Konzertkonzepts bei Gärngscheekultur.
Eine Haushymne, endlich! Und mit ihr betritt auch der Schöpfer des Songs, Guy Mandon, unsere Bühne und besingt mit einer Stimme so entspannt, zärtlich und sexy als hätte Prince in seinen späten Tagen noch den Fricktaler Dialekt entdeckt die neue Normalität: «S’Läbe isch en Stream»
«Stream» wurde bereits 2018 bei der Demotape Clinic des M4Music Festivals zum Popsong des Jahres gekürt. Doch nie traf «Stream» den Zeitgeist besser als jetzt. Unsere Haushymne wirkt entschleunigend, ist der perfekte Soundtrack für den gepflegten Sundowner – wenn man Terrasse, Hausbar und Musse hat.
«S’Läbe isch en Stream, muess luege das i drin bliib – mir sind dinne, zämme dinne.» – Yeah, we totally go with this flow. Und doch schreibt man die Zeile leichter nieder, als dass man sie mitsingen könnte. Denn so cool Guy Mandons Mundart-Mischung im Ohr wurmt: Sie will einfach nicht über Bebbi-Lippen.
Anders gesagt: Wenn wir Basler*innen versuchen, den Mandon-Dialekt zu imitieren klingt das, nun ja, alles andere als cool.
«Wenn ich zweifle, ob die Musik gut ist, dann hat das auch einen Wert.»Guy Mandon
Diese Dialekt-Dünkel kennt der Musiker seit er vor rund zwölf Jahren aus dem Fricktal nach Basel zog. In der Szene kannte man ihn zuerst unter seinem bürgerlichen Namen Lucien Montandon als singenden Schlagzeuger der Prog-Rocker AltF4, dann als Solokünstler seines Electro-Projekts Octanone. Die Musik wechselte, der Mundart blieb er treu. Wenn sie irritiert, umso besser – wie der 34-Jährige bei einem Treffen vor dem Bajour-Konzert erklärt: «Andere Künstler finde ich spannend, wenn zuerst etwas Eigenartiges da ist. Egal was, das kann schon nur der Kleidungsstil sein.» Denselben Anspruch erhebt er selbstredend auch an das eigene Schaffen: «Ich will musikalisch eigenartig sein, Grenzen sprengen und neue Spielräume definieren. Nichts ist langweiliger, als Musik, die ich schon tausendmal gehört habe.»
Das klingt sehr selbstsicher. Doch das Gegenteil macht Mandons kreativen Antrieb aus: «Ich versuche all meine Befürchtungen und Ängste, ob etwas funktionieren kann, zu überwinden, indem ich einfach mache und ausprobiere. Wenn ich zweifle, ob die Musik gut ist, dann hat das auch einen Wert. Ohne Zweifel wäre es mir ja egal.»
Auf der Suche nach neuen Klängen hat er kürzlich als Lucien Guy Montandon auf dem neuen Label von Anna Aaron eine experimentelle Ambient-EP «LGM» veröffentlicht. Vier Tracks ohne feste Strukturen.
Auch auf seinem neusten Guy-Mandon-Werk musiziert er weit weg vom klassischen Pop-Songwriting mit Strophen-Refrain-Schema. Die zehn Tracks auf «GIF X» sind kurz gehaltene Loops, ganz im Geiste der simplen GIF-Grafiken, die seit den 90er Jahren pixelig und amüsant das Netz beleben. Die Musik selber ist aber fern der simplen Sounds alter 8-Bit-Chips sorgfältig produziert und auf dem Stand von heute.
«Es arbeiten sehr viele Menschen an dieser Musik: Ich bin kein Solo-Künstler»Guy Mandon
«These songs get better, every time you listen to them», verspricht die Album-Verpackung und was zu erwarten ist, steht da auch: «Different styles like Trap, House, 80ies, Pop, Mundart» – Letzteres ist der Punkt, der wirklich überrascht: Die Mundart ist nur noch marginal vorhanden, Guy Mandon hat sich beinahe ganz davon verabschiedet.
Mandon: «Ich habe in dieser Sprache schon so viel gesagt. Nun wollte ich erleben: Wie ist es, wenn ich einfach Playa singe? Und was passiert, wenn ich auf Englisch singe? Kann ich das überhaupt?» Er kann das, sehr cool sogar. Und um all seine Zweifel zu überwinden, wagte sich Mandon in «GIF_01 Love» oder «GIF_02 Hate» gleich an die grossen Themen. Wobei die Texte kaum länger sind als die Songtitel.
Den vollen Charme entfalten die GIF-Tracks allerdings erst in den Clips dazu – ganz im Geiste der titelgebenden animierten Grafiken.
Das Artwork und die audiovisuelle Umsetzung der Musik war schon beim Debütalbum «Stream» prägend für das Gesamtkonstrukts Guy Mandon. «Ich bin kein Solo-Künstler», erklärt denn auch der Namensgeber: «So viele Menschen arbeiten daran.»
Eigentlich auch die Live-Musiker. Aber wie die Tracks mit Band auf der Bühne klingen, kann man erstmals bei Gärngschee Kultur sehen. Die ursprünglich geplante Albumtaufe im Humbug ist situationsbedingt abgesagt, wie die anderen acht Konzerte. Das Einkommen ist damit auch auf Null geschrumpft.
Nicht mal physische Tonträger kann Guy Mandon derzeit verkaufen, da die eigens für «GIF X» designten USB-Sticks in Deutschland festhängen. «Aber man kann sie auf der Homepage gerne schon vorbestellen!» fügt er an.
Das fehlende Geld ist kein Thema als Mandon und seine zwei Mitmusiker die Halle besichtigen, aus der die virtuelle Stick-Taufe gestreamt werden wird. Da sprüht nur Vorfreude auf das Konzert: Ideen zu Visuals werden gesponnen, Räume verplant, sogar einen Flügel wollen sie herankarren.
Denn als die ausserordentliche Lage verkündet wurde, hat Mandon schweren Herzens die Proben des neuen Programms gestoppt: «Ohne diese Konzertgagen kann ich meine Musiker ja nicht zu Proben zwingen.»
So hoffen wir denn solidarisch, dass für die Band und andere freischaffende Künstler*innen heute ein schöner Betrag zusammenkommt – ganz egoistisch hegen wir aber auch die Hoffnung, dass die Band mangels Proben zumindest einen alten Song im Set braucht und dies bitte unsere Haushymne sei.
__________
Falls Du weiter oben den Gang vor die digitale Bühne verpasst hast: Hier gehts zum Livestream, heute, Mittwoch, den 22. April um 20:15 Uhr gehts los. Das Setting ist bereits sehr vielversprechend, meldet die technische Crew.