Schaut her, wie ihr schaut. Geiferndes Pack

Von wegen Sehen und Gesehen werden: An der Art Unlimited werden Männerblicke zerstört. Ein Rundgang mit Fokus aufs Feeling.

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    Wie ein grosser Fleischmarkt.
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    «Body Beautiful, or Beauty Knows No Pain» von Martha Rosler.

Wie gleichgültig sie da steht. Hände in den Hosentaschen, Haare zurückgebunden, ein Bein leicht nach vorne geschoben. Stehen. Hinabschauen. Powermove. 

Abdriften ins Metaverse, Art Unlimited Edition. Es ist Frauen und weiblich gelesenen Menschen nicht gestattet, so zu schauen. So zu stehen. Sich so in Szene zu setzen. Unser Blick auf Körper mit Brüsten war lange ein männlich gelenker Blick und ist es, darf man behaupten, noch immer. Dieser Blick richtet sich in der Regel nicht von unten nach oben, sondern von oben herab. 

Dieser männliche Blick fordert unnatürliche Posen. Stehen ist für weiblich gelesene Models allgemein nicht vorgesehen, es soll gessen werden. Oder liegen geht auch. Die weiblichen Beine im Sitzen überschlagen, der Rücken durchgereckt, die Brust vor, das Kinn nach oben. 

Die Figur von Thomas J Price in der hintersten Ecke der Art Unlimited schreddert diesen male gaze mit einer einzigen lässigen Haltung zu Staub. Diese Frau steht einfach herum. Das gellende Fuck you hallt, wenn man hinhört, trotzdem durch die ganze Halle.

Muss man das lesen?

Die Erklärstücke zur Art Unlimited sind schon geschrieben. Die 52. Ausgabe sei weniger mutig als frühere Ausgaben, steht in der BaZ. Unpolitischer, sagt die bz. Viel «Flachware», also Bilder statt Installationen. Die grossen Namen wurden dieses Jahr zugunsten einer Mehrheit unbekannter Debütant*innen zurückgestuft. Giovanni Carmine, Direktor der Kunstalle St. Gallen hat kuratiert. Dem ist nichts hinzuzufügen. 

Ausser ein bisschen Feeling vielleicht. 

Fantastisch verdrechselte Aussage von Marc Spiegler, Direktor der Art Basel, im Vorwort des Unlimited-Katalogs: 

«Die Kunstwelt und ihre Märkte öffnen sich zusehends für Perspektiven, die lange Zeit durch systematische Vorurteile, wirtschaftliche Belange und intellektuelle Trägheit marginalisiert worden waren».

Auch die Katalogtexte an der Art Unlimited muss man manchmal zweimal lesen, damit man sie versteht. Dabei braucht es die Text gar nicht so dringend, man darf sich durchaus auch auf sein Gefühl verlassen. Bei der Collage «Body Beautiful, or Beauty Knows No Pain» von Martha Rosler zum Beispiel geht es ziemlich wahrscheinlich schon wieder um weibliche Körper und diesen ekligen, ins kollektive Schauen komplett eingefrästen geilen Männerblick auf, nun ja, Titten und Autos.

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Wenn man genau hinhört, tönt diese Pose wie ein gellendes Fuck You durch die Halle.

Das Werk, entstanden in den 1970er Jahren, regt an zur Frage. Ist der Kunstgriff, Kritik durch überreizte Problemabbildung, im Jahr 2022 noch immer einsatztauglich – oder sind wir da ein bisschen weitergekommen? Muss jede*r für sich selber entscheiden. 

Rosler türmt auf jeden Fall nackte weibliche Leiber aufeinander zu einem regelrechten Fleischmarkt und klebt nackte, aus sogenannten Herrenmagazinen ausgeschnittene Frauen in Küchen und dann klebt sie nackte Frauenhintern in Autos hinein und man versteht die Message auch ohne Begleittext:

Die Frau, das Objekt. Publikum, schaut her, wie ihr schaut. Geiferndes Pack. 

Mehr Körperlichkeit

Das Empfangskommando zur Art Unlimited direkt hinter dem Eingang bilden 76 Mannequins. Die künstlichen Frauenkörper sind in Kleider gehüllt, die die US-Amerikanerin Andrea Zittel während zehn Jahren trug. Einer der Körper zeigt eine schwangere Andrea Zittel, alle übrigen gleichen sich äusserlich. Einladung zu Gedankenspielen. Wie ging es Andrea Zittel wohl, als sie genau dieses braune Kleid mit blauer Aufnaht trug? War sie traurig damals, war das eine besonders fröhliche Phase ihres Lebens? Welche Gefühle und Erfahrungen und Ereignisse stecken in diesen 76 Kleidern?

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Ein Körper unter 76 fällt aus der Reihe.

Es ist eine sehr körperliche Arbeit. Die Kleider sind alle handgemacht, also vom Körper für den Körper. Die Ähnlichkeit untereinander ist gewollt, sagt Zittel. Der Markt kreiert andauernd neue Moden, denen man sich durch eine Uniform entziehen kann. In der Schlichtheit der Uniform liegt die Freiheit, nicht jeden Hype mitmachen zu müssen. Undsoweiter. 

Das passiert immer wieder: Ein Kunstwerk präsentiert sich und man will das sofort hervorragend gedacht und aussergewöhnlich umgesetzt finden. 

Im nächsten Augenblick wirkt die Message plötzlich schüler*innenaufsatzhaft und langweilig. Kunst. Spiegel der Gesellschaft oder auch: Aktueller Launen.

Must-See Nummer 1: Die Installation von Leonardo Drew «Number 341», die wie eine eingefrorene Explosion in die Halle hineinknallt. Muss man nicht mehr dazu sagen.

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«Number 341» von Leonardo Drew.

Regt zum Lachen an: Die Installation von Theaster Gates. Der hat Werkzeuge wie Schraubenschlüssel und Zangen und Klemmen und Draht und Kitt und Nägel und Dübel undsoweiter aus dem Regal eines Handwerkerladens bei ihm um die Ecke gezogen und zu einer fantastischen Galaxie arrangiert. 

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Wie eine fantastische Galaxie aus Werkzeug: «Hardware Store Painting» von Theaster Gates.

Das philosophische Beiwerk (ohne geht nicht): 

«Kann ein Baumarkt an und für sich ein kunstvoller Ort von Bedeutung sein – oder wird er erst zu Kunst durch mutwillige Transformation, Reformation, Veränderung und Intervention? Sind nicht alle Kunstwerke eine Verknüpfung von Objekten, die aus Dingen gemacht sind, die du im Baumarkt findest?»

Was in dieser soziokulturellen Verhandlung des Banalen nicht berücksichtigt wird: Der Baumarkt ist spätestens seit der Corona-Pandemie Kult. Erst war er zu, dann wieder auf. Was haben wir geweint vor Freude, als wir endlich wieder Blumenerde und ein paar Setzlinge plus diese praktische Heckenschere zu fassen kriegten. 

Konsequent und folgerichtig, dass dem Baumarkt an dieser ersten Art Unlimited ohne Coronamassnahmen mit dem Werk «Hardware Store Painting» gehuldigt wird.

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    Ein bisschen provokant: «Hight Dive» von Nida Sinnokrot.
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    Maha Malluh's «Food fpr Thought "World Map"»

Letzte Blicke in diese Messe, bei der es noch viel mehr zu sehen gäbe. Provokativ ist sicher das Sprungbrett (Symbol der Unbeschwertheit und Eitelkeit), das in eine Minbar, die islamische Kanzel eingebaut ist. Darf man das? Auch ein riesiges Wandbild aus Kassetten, auf denen religiöse Gedichte gespeichert sind, regt, wenn man will, zum Denken an. In einem dunklen Zimmer spielt ein Klavier von ganz allein vor sich her.

In der Ecke hinten rechts steht während alledem diese kraftvolle, in sich ruhende Figur. Handwerklich gut gemacht: Bei genauem Hinsehen lächelt sie vielleicht. Haben wir die Versöhnung verdient? 

Muss jede*r für sich selber entscheiden. 

__________

Die Messe Art Unlimited ist ab Donnerstag, 16. Juni, für die Öffentlichkeit zugänglich. Öffnungszeiten zwischen 11:00 Uhr und 19:00 Uhr, am Donnerstag ist von 19:00 Uhr bis 22:00 Uhr zusätzlich Unlimited Night. Tagestickets kosten 65 Franken, ermässigt 52 Franken.

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