Eine Begegnung mit der Angst

Unseren Ängsten gehen wir in der Regel lieber aus dem Weg. Die Schauspielerin Natascha Moschini stellt sich im Stück «Agility of fear» diesem Gefühl auf ungewöhnliche Weise – unspektakulär und ohne viel Theatralik.

Agility of Fear
Schauspielerin Natascha Moschini bestreitet den Abend alleine auf der Bühne. (Bild: Karin Salathé)

Der Vorhang bewegt sich, ein Kopf schiebt sich durch den schwarzen Stoff. Stille im Saal, erwartungsvolle Blicke aus dem Publikum. Dann verschwindet der Kopf wieder. Ein zweiter Versuch: Langsam kommt eine Gestalt hinter dem Vorhang hervor. Langsam und etwas unsicher betritt sie die Bühne. Das Publikum applaudiert. Nach wenigen Schritten überlegt die Gestalt es sich anders. Sie dreht sich abrupt ab und verschwindet mit schnellen Schritten wieder hinter dem Vorhang. Beim dritten Versuch klappt es. Die Schauspielerin Natascha Moschini betritt die Bühne und bleibt. Sie trägt einen Anzug und ein weisses Hemd, die Haare sind streng nach hinten gegelt. 

Es ist still im Raum, keine Musik, niemand spricht. Moschini geht über die Bühne, von links nach rechts und wieder zurück. Sie beginnt zu tanzen. Ein seltsamer Anblick, denn es läuft keine Musik. Während sich die Schauspielerin immer entschlossener bewegt, verzieht sie keine Miene. Sie wirkt wie eine Puppe, unecht. Immer wieder fixiert sie mit eindringlichem Blick eine Person aus dem Publikum, bis diese sich verlegen abwendet. Ein Raunen geht durchs Publikum, vereinzelt hört man eine*n Zuschauer*in lachen. Aus Verlegenheit?

Agility of Fear
Natascha Moschini begegnet ihrer Angst auf unterschiedliche Weise: Mal hält sie sich zurück, in einem anderen Moment scheint die Angst sie fest im Griff zu haben. (Bild: Karin Salathé)

Moschini treibt dieses Spiel auf die Spitze, dass es beim Zuschauen unangenehm wird. Man fragt sich: Was will sie uns sagen? Einmal rennt sie quer über die Bühne aufs Publikum zu und wendet sich erst ab, als sie kurz vor der ersten Reihe steht. Der Geruch ihres penetrant riechenden Haarsprays bleibt in der Luft. Die Szenen wirken bizarr, weil sie sich nicht deuten lassen. Doch das Unbehagen, das sich bei den Zuschauer*innen einstellt, passt zum Thema des Stücks: Angst. Die unangenehmste Form der Angst ist die, die sich nicht einordnen lässt, sondern einen wie ein dunkler Schleier umgibt.

Die Angst bekommt einen Namen

Irgendwann tritt Natascha Moschini ans Mikrofon in der Mitte des Raumes. In dem Moment, als sie mit dem Gesang beginnen will, bricht sie zusammen. Ein Blackout? Es wird dunkel, einen ganzen Moment bleibt das Licht aus. Irgendwann rafft sich die Gestalt auf dem Boden auf und greift nach dem Mikrofonständer, der sie eben noch zu Fall brachte. Das Mikrofon wird zum Scheinwerfer, und zum ersten Mal bekommt die Angst einen Namen: Rolf. 

Die beiden kommen ins Gespräch. Eigentlich sei er ja im Ruhestand, erzählt Rolf. Das Publikum lacht. Denn Rolf wirkt alles andere als erwachsen, eher wie ein Kind im Trotzalter, das sich gegen die Mutter auflehnt. Rolf ist da, aber er existiert nicht wirklich. Er ist nur der Schatten ihrer Faust. Auf der Leinwand hinter dem geöffneten Vorhang wird er zur Figur. Es ist auch Natascha Moschini, die ihrer Angst eine Stimme gibt. Sie spricht beide Rollen, wie in einem Puppenspiel.

Agility of Fear
Erst auf der Blockflöte, danach in einem Live-Set: Marie Delprat begleitet das Stück musikalisch. (Bild: Karin Salathé)

«Warum ist deine Nase so gross?», fragt Moschini. «Weiss ich nicht», antwortet Rolf mürrisch. «Und dein Hals?»- «Keine Ahnung.» Rolf ist stur, sie verständnisvoll und geduldig –) wie eine Mutter, die versucht, ihrem Kind Grenzen zu setzen. Abschliessend: «Und Rolf, sag mir: Dein Mund ist so gross, warum?» Rolfs Stimme wird lauter: «Damit ich dich besser fressen kann». Plötzlich verschwindet Rolfs Schatten. Es wird dunkel. Schnappatmung. Eine Panikattacke?

Dramatische Musik setzt ein, Natascha Moschini liegt auf dem Boden, ihr schlaffer Körper bewegt sich zur Musik. Hin und her wird sie gezogen, vor und zurück. Es wird bedrohlich. Die Angst scheint sie plötzlich fest im Griff zu haben, die mütterliche Kontrolle von vorhin ist verschwunden.

Die Ruhe inmitten der Angst

Das Stück «Agility of fear» ist ruhig, die Szenen sind teilweise lang. Es dauert einen Moment, bis man merkt, dass gerade diese Ruhe dem Stück seine Kraft verleiht. Wer einen dramatischen Höhepunkt erwartet, wartet vergeblich. Dafür erinnert das Stück an Momente, in denen man selbst Angst hat. Momente, in denen man versucht, dieses unangenehme Gefühl zu überspielen, in denen man sich ausgeliefert fühlt oder in denen man die Angst nicht klar benennen kann. Die französische Komponistin Marie Delprat begleitet das Stück musikalisch, anfangs mit einer Blockflöte, später mit einem Life-Set. Ansonsten ist die Aufführung sehr einfach gehalten: kein aufwendiges Bühnenbild, kaum Text, wenig Aufregung. Abgesehen von einer Leiter und einer Handykamera, mit der sich die Schauspielerin zwischendurch hinter der Bühne filmt, hat Natascha Moschini nur ihren Körper als Ausdrucksmittel. Eine beeindruckende Leistung.

Das Stück «Agility of fear» läuft noch bis Sonntag, jeweils um 20 Uhr, im Roxy Birsfelden. Mehr Infos und Tickets, gibt’s hier.

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