Singen, singen, manchmal küssen

Die Chorleiterin Susanne Würmli-Kollhopp ist eine Legende weit über die Stadt Basel hinaus. Nora Roth war bei ihr im Chor, seit ihrem 7. Lebensjahr. Und hat heute sogar ein Würmlikind, wie sie erzählt.

Würmlichor Weihnachtskonzert Martinskirche Nora Roth
Nora Roth singt ein Solo beim Winterkonzert des «Würmlichors».

Ich weiss noch genau, wann das war: Der 18. August 1997. Meine Mutter brachte mich in die Musik-Akademie in den Jugendchor 6, wie er damals hiess. Ich war sieben, inzwischen bin ich 25 Jahre in diesem Chor… Singen – nichts habe ich so lange am Stück gemacht!

Alles auswendig

Vieles hielt mich dort: natürlich die Freude am Singen, aber und vor allem auch Susanne Würmli-Kollhopp, unsere Chorleiterin. Sie wurde ein ganz wichtiger Mensch in meinem Leben. Wir alle haben zu ihr hochgeschaut, sie hatte eine gewisse Strenge, aber auch Humor. Uns gab sie nicht nur eine musikalische Grundbildung mit, sie hatte die Fähigkeit, uns diese Freude am Singen zu vermitteln. Singen – das war bei uns eine gemeinsame Sache, ein gemeinsames Ziel. Der soziale Zusammenhalt war zentral. Gleichzeitig förderte Susanne unsere Selbstständigkeit.

Wir haben immer auswendig gesungen. So haben wir manchmal nach den Proben einfach weitergemacht – wir brauchten ja keine Noten. Das waren grossartige Erlebnisse. Es bildete sich ein «harter Kern», es gab Freundschaften, wir gingen zusammen in den Ausgang – manchmal singend. Stell dir das mal vor.

Chorreisen mit Lagerfeeling

Grossartig waren die Chorreisen. Das waren immer fantastische Erlebnisse. Wir gingen an Chorfestivals und Wettbewerbe. Zum Beispiel nach Neerpelt in Belgien, Calella in Spanien, Salzburg, Limburg oder an den Gardasee. Oft haben wir Preise abgeholt, jedoch nicht immer den 1. Platz, denn wir waren nicht die Geschliffensten. Aber etwas haben wir immer gewonnen: Die Herzen des Publikums. Weil wir eine tolle Ausstrahlung hatten, eine fröhliche Lebendigkeit und eine ansteckende Freude. Bei uns gab’s fast immer eine Choreografie und – das war Susanne sehr wichtig – strahlende Gesichter! Ah, und schön gesungen haben wir natürlich auch.

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Susanne Würmli-Kollhopp

Ab den 1980er-Jahren begann Susanne Würmli-Kollhopp mit dem Aufbau und der Leitung von Kinderchören in Riehen und Basel. 2006 übernahm sie die Gesamtleitung aller Kinder- und Jugendchöre der Musik-Akademie Basel. Nebenbei komponierte und arrangierte sie unzählige Lieder- und Chorsätze.

Sie gründete den Verlag «Singlust» und bereicherte damit die Schweizer Chorszene. Am Abschlusskonzert kommen deshalb praktisch nur Lieder und /oder Arrangements von ihr. Lange Zeit leitete sie gleichzeitig 11 Chöre und wurde für ihre Arbeit und ihr Engagement für die Chorszene 2003 mit dem Spartenpreis Musik des Baselbieter Kulturpreises und 2010 mit dem Kulturpreis der Stadt Basel ausgezeichnet.

Im Repertoire hatten wir viele Schweizer Volkslieder, ein wertvolles Liedgut, aber auch Lieder aus anderen Ländern. Isländisch, finnisch, spanisch, italienisch, bulgarisch, ungarisch sangen wir auswendig… nationalistisches Pathos lag uns aber immer fern.

Susanne Würmli schrieb auch Texte und eigene Lieder und inszenierte einige herrliche Singspiele. Es gab Kostüme, Solis, es war immer ein Riesenzeugs mit viel Bewegung und mit lustigen Geschichten.

Als Kind war das Singen für mich nur ein Hobby, denn es waren natürlich die Eltern, die uns in den Chor brachten. Sozial gesehen war der Chor ziemlich homogen. Wir waren Kinder des Bildungsbürgertums, ein Akademikerchor, quasi… man merkt das bis heute. Als wir älter wurden, änderten sich die Interessen etwas. Naturgemäss. Wir waren Teenager. Einige fanden singen nicht mehr so cool. Aber für mich war dieser Freundeskreis sehr wichtig geworden, umso attraktiver wurden die Chorreisen, das Lagerfeeling und das gemeinsame musikalische Erlebnis.

Chor mit Kuss-Statistik

Ah ja! Und dann entstand die eine oder andere Liebschaft, logisch. Wir machten mal eine Kuss-Statistik. Wer sieben Jahre im Chor war, hatte im Durchschnitt sicher einmal jemanden geküsst, also: so richtig geküsst. So haben wir uns das ausgerechnet und lachten uns krumm.

Uns Würmlis prägte dieser Chor. Einige haben ihren Weg in der Musik gesucht und sind gefragte Profis geworden, andere sind ebenfalls Chorleiter*innen geworden. Sie arbeiten heute an den anspruchsvollsten Produktionen mit oder treten auf grossen Bühnen auf. Und es entstanden in der Folge auch professionelle Gesangsensembles und kleinere Laienchöre mit sehr hohem Niveau. Unser Quartett «cantuccini» ist auch eine Folge der gemeinsamen Vergangenheit mit dem Würmli-Chor. Gerade das Spielerische und Szenische haben wir mitgenommen, den Humor, die Freude, aber auch die Liebe für Volkslieder.

Von einer eigentlichen musikalischen Würmli-Kollhoppschen Talentschmiede möchte ich aber trotzdem nicht sprechen. Das Wichtigste neben der Musik sind für mich die inhaltlichen Werte, die ich dort mitbekommen habe – der Zusammenhalt, die Verbundenheit, das Soziale.

Den Würmli-Chor, den gibt es nicht

So oder so: «Den Würmli-Chor», den gab es so eigentlich gar nicht. Es gab die Jugendchöre und daraus entstanden dann die älteren Chöre Vocale, Cantat und iVox – jetzt heissen wir ChorBasel. Zusätzlich leitet(e) Susanne noch den Vepate Frauenchor und den Gemischten Chor Buckten.

Basel ist unzweifelhaft eine Hochburg für Chöre – mit europäischer, wenn nicht sogar weltweiter Ausstrahlung. Susanne hat viel dazu beigetragen, dass hier so viel und gerne gesungen wird.

Am Abschiedskonzert, das am 21. Mai im Stadtcasino Basel stattfindet, werden rund 110 Ehemalige mitsingen – zusätzlich zu den rund 60 Sänger*innen vom aktuellen Chor

Abschlusskonzert

Der ChorBasel verabschiedet sich von seiner langjährigen Dirigentin Susanne Würmli-Kollhopp. Am 21. Mai wird sie ein letztes Mal ihren ChorBasel dirigieren. Viele ehemalige Sänger*innen werden um 17 Uhr im Stadtcasino mitwirken.

ChorBasel, Stadtcasino, Samstag, 21. Mai, 17h. Türöffnung 16 Uhr. Eintritt frei, Kollekte.

Zu gewissen Zeiten leitete Susanne elf Chöre, abgestuft nach Alter. Und was mich bis heute fasziniert: Sie wusste von uns allen die Namen und auch sonst was so in unseren Leben vor sich ging. Wir spürten immer: Wir sind ihr nicht egal! Ich meine, sie kennt uns teilweise seit unserer Kindheit und auch unsere Partner*innen und Kinder. Es gibt mittlerweile auch einige Würmli-Kinder von Chor internen Paaren… So auch mein Kind. Einige kleine Würmlis gehen nun auch in die Kinderchöre der Musik-Akademie.

Das Europäische Jugendchorfestival

Ein grosses Thema war und ist für mich das Europäische Jugendchorfestival Basel, das seit 1992 stattfindet und an dem wir regelmässig teilnahmen. Heute helfe ich dort bei der Organisation. Als Chöre Vocale, Cantat und iVox waren wir zusammen mit der Knabenkantorei und der Mädchenkantorei die Gastgeber*innen-Chöre.

Diese Festivals waren inspirierend und bereichernd und gefühlt die ganze Stadt war voller junger Stimmen. Wir haben als kleine Gruppe später mal unsere Gastchöre in Reykjavík und vorher noch in Sofia besucht und mit unseren Sing-Freund*innen Sylvester gefeiert. Unglaublich. Das gemeinsame Singen, das macht einfach etwas mit uns Menschen. Eine Forschungsstudie hat ergeben, dass sich die Herzfrequenzen angleichen, wenn man gemeinsam singt. Mit gemeinsam schlagenden Herzen, Gänsehaut und mit viel Liebe – so fühlt es sich an bei Susanne zu singen.

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Aufgezeichnet: Stefan Schuppli

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