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Kontrolle per App

Manor lässt Mitarbeiter*innen ausspionieren – gegen Taschengeld

Wer für Manor überprüft, ob die Verkäufer*innen nach der Kundenkarte fragen, bekommt 20 Franken. Wir von Bajour haben es ausprobiert.

06/02/21, 04:00 AM

Aktualisiert 06/03/21, 07:33 AM

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Testkauf und Quittungen: Bajour hat die Namen der Verkäufer*innen nachträglich unkenntlich gemacht, beim Hochladen der Quittungen in die App mussten sie lesbar sein.

Testkauf und Quittungen: Bajour hat die Namen der Verkäufer*innen nachträglich unkenntlich gemacht, beim Hochladen der Quittungen in die App mussten sie lesbar sein. (Foto: Samuel Hufschmid)

Im Leitbild der Manor steht: «Wir sind ein Team, zusammen sind wir erfolgreich.» Und CEO Jérôme Gilg wird zitiert mit: «Manor ist eine grosse Familie, gemeinsam sind wir stark, wenn wir den Teamgeist leben.» Am Montag liess diese Familie ihre Mitarbeiter*innen in sämtlichen Schweizer Filialen ausspionieren, auch in Basel. Ich hab mitgemacht.

Montag, 9 Uhr, Manor-Filiale Greifengasse. Noch ist das Kaufhaus menschenleer, als ich mit einem klaren Auftrag das Ladenlokal betrete: «Du sollst für je max. 5 CHF zwei Produkte kaufen und beim Bezahlvorgang überprüfen, ob der Mitarbeiter dich nach der Manor-Kundenkarte fragt.» Ich bin heute nicht nur als Journalist hier, sondern als «Mistery Shopper», und weil ich die App von Streetspotr benutze, gehöre ich gemäss Eigendeklaration des Unternehmens zur grössten «Mobile Workforce» Europas. 600’000 andere «Spotr» weltweit warten auf Aufträge wie diesen. Also los.

Ich schnappe mir im Parterre ein Fläschchen Händedesinfektionsgel für 4,50 Franken und gehe zur Kasse. Die Verkäuferin begrüsst mich mit einem Lächeln, wünscht mir einen guten Morgen, aber eines macht sie nicht, sie fragt nicht: «Haben Sie bereits die Manor Kundenkarte?»

Genau darum geht es aber in meinem Auftrag, es ist mein Job zu kontrollieren, ob die Frage nach der Manor-Karte gestellt wurde. «Die Mitarbeiter sind darauf geschult worden, jedem Kunden beim Bezahlvorgang diese Frage zu stellen», heisst es dort. Ich fühle mich schlecht und überlege: Soll ich der Verkäuferin sagen, dass möglicherweise weitere Test-Käufer*innen kommen?

«Davon profitieren langfristig alle Mitarbeitenden.»

Manor-Medienstelle

Ich beschliesse, ihr nichts zu sagen. Denn ich bin eben doch nicht nur «Mistery Shopper», sondern auch als Journalist hier – deshalb versuche ich, den Ausgang der Recherche so wenig wie möglich zu beeinflussen. 

Weiter in den dritten Stock, dort kaufe das zweite Produkt (ein Päckli Gummi-Schlangen «Rainbow belts» in der Spielwarenabteilung für 2,50 Franken). Auch hier werde ich freundlich behandelt, aber nicht nach der Karte gefragt.

Einkauf abgeschlossen, nun geht es ans Übermitteln des Befunds an die App. Dazu muss ich die beiden Quittungen so abfotografieren, dass man den Namen des*r Mitarbeiter*in erkennen kann. Laut Auftrag deshalb, damit das Unternehmen sehen kann, dass die Produkte jeweils an unterschiedlichen Kassen gekauft worden sind.

Screenshots während des Auftrags: In der Mitte wird darauf hingewiesen, dass die Namen der Verkäufer*innen erkennbar sein sollen.

Screenshots während des Auftrags: In der Mitte wird darauf hingewiesen, dass die Namen der Verkäufer*innen erkennbar sein sollen. (Foto: Streetspotr)

Im Arbeitsrecht sind Verhaltensüberwachungen am Arbeitsplatz verboten (Art. 26 Abs. 1 VO 3 zum ArG). Ausnahmsweise erlaubt sind einzig Leistungskontrollen, diese müssen jedoch stets verhältnismässig sein, wie Silvia Böhlen, Sprecherin beim eidgenössischen Datenschutz- und Öffentlichkeitsbeauftragten, sagt. Sie bezweifelt, dass es sich im aktuellen Fall um die vom Gesetz vorgeschriebene mildeste Massnahme handle. «Es liegt sehr wahrscheinlich eine unverhältnismässige Datenbearbeitung vor», sagt Böhlen. Das Datenschutzgesetz (Art. 4 Abs. 4) besage zudem, dass die Mitarbeiter*innen vorgängig und persönlich über die geplante Leistungskontrolle informiert worden sein müssen.

Übliche Form der Leistungsüberprüfung?

Laut Manor wurden jedoch lediglich die Teamleiter*innen, nicht jedoch die Verkäufer*innen vorab über die Testkäufe informiert. Ausserdem, so argumentiert die Medienstelle, sammle Manor keine Informationen zu einzelnen Mitarbeiter*innen, oder wie Sprecherin Sofia Conraths schreibt:

«Die Informationen werden nicht personenbezogen erhoben und verarbeitet. Sie dienen ausschliesslich zum Vergleich auf Filial- oder Rayonebene für eventuell weitere Schulungen und sind eine zulässige und im Detailhandel übliche Form der Leistungsüberprüfung».

Dem widerspricht die Sprecherin des Datenschutzbeauftragten deutlich. «Es steht für uns ausser Frage, dass es sich hierbei um eine Personendatenbearbeitung im Sinne des Datenschutzgesetzes handelt. Es werden Personendaten erhoben. Selbst wenn Manor diese nicht personenbezogen auswertet, steht dies nicht zur Diskussion», sagt Böhlen. 

Weitere Fragen, etwa zur moralischen Zulässigkeit dieser Massnahme, beantwortet Manor nur ausweichend. Mit der Promotion der Manor Card werde die Kund*innenfrequenz und Kund*innenbindung gestärkt, «davon profitieren langfristig alle Mitarbeitenden». 

Das Unternehmen setzt seit 2019 Nutzer*innen der Streetspotr-App ein und plant, auch weiterhin «diese im Detailhandel üblichen Formen von ‹Mystery Shopping› zu nutzen».

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Die bei der Recherche erzielten Einnahmen von 55 Franken gehen an die Lebensmittelabgabe der Bajour-Facebookgruppe «Gärn gschee – Basel hilft».

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