Thesen statt Fakten

Im Hinblick auf die Abstimmung im Kanton Baselland vom 9. Februar kocht das Thema Mindestlohn auch in Basel hoch. Mitten im Wahlkampf publizierte die Uni Basel eine nicht repräsentative Studie zum Thema. In Auftrag gegeben wurde sie vom Gewerbeverband Basel-Stadt und vom Arbeitgeberverband Region Basel.

Portemonnaie
Befürworter*innen wie Gegner*innen geben an, sich um die Existenz der Menschen mit kleinem Portemonnaie zu fürchten. (Bild: Pixabay)

In diesen Tagen flattern die Abstimmungsunterlagen in die Baselbieter Briefkästen. Die Stimmberechtigten im Kanton Baselland können am 9. Februar unter anderem über die formulierte Gesetzesinitiative «22.– Mindestlohn im Baselbiet» abstimmen: Sie fordert, dass Menschen, die im Kanton Baselland arbeiten, künftig in der Regel mindestens 22 Franken pro Stunde verdienen. Das Baselbieter Parlament lehnt den Mindestlohn sowie entsprechende Gegenvorschläge ab. 

Rund drei Wochen vor der Abstimmung präsentiert die Arbeitsökonomin Conny Wunsch von der Universität Basel eine Studie zum Thema Mindestlohn. Es überrascht nicht, dass der Gewerbeverband Basel-Stadt und der Arbeitgeberverband Region Basel sie der Uni Basel in Auftrag gegeben haben, auch wenn das weder im Blog der Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät noch auf der Website der Uni offengelegt wird.

In der Studie wurden Unternehmen aus der Schweiz gefragt, wie sie auf einen Mindestlohn reagieren würden, sollte er eingeführt werden. 866 Unternehmen haben sich an der Umfrage beteiligt. Da es sich ausschliesslich um freiwillige Selbstauskünfte handelt, ist die Studie nicht repräsentativ. Dennoch schlussfolgert die BaZ anhand der Ergebnisse, dass Unternehmen nach Einführung des Mindestlohns «mit stark negativen Auswirkungen auf die Beschäftigung» reagieren würden. 

Keine belastbaren Daten

Derweil gibt es in Basel-Stadt, wo der Mindestlohn im Juli 2022 nach einer Volksabstimmung eingeführt wurde, bislang keine repräsentative Auswertung oder belastbare Daten. Wirtschaftsdirektor Kaspar Sutter (SP) zieht hingegen im Regionaljounal vom 16. Januar eine positive Bilanz. Und auch Gewerbeverbandsdirektor Reto Baumgartner gibt in der Sendung an, zumindest von keinen Entlassungen zu wissen. 

Wir haben unsere Community aufgrund der aktuellen Debatte in unserer Frage des Tages gefragt, ob der Mindestlohn aus ihrer Sicht ein Fehler gewesen sei. Die Antwort lautet klar: Nein. 88 Prozent der mehr als 800 Abstimmenden sprechen sich für einen Mindestlohn aus.

«Wenn in der Schweiz über einen Mindestlohn diskutiert werden muss, dann läuft irgendetwas falsch.»
Margarethe Denk, Bajour-Leserin

Bajour-Leserin Margarethe Denk kommentiert: «Wenn in der Schweiz über einen Mindestlohn diskutiert werden muss, dann läuft irgendetwas falsch.» Sie fragt sich, ob am Ende die Gewinnmarge wichtiger sei als die Qualität, wenn nun mit Entlassungen und Automatisierungen gedroht wird. Alfred Amgwerd erwidert, dass die Firmen, die auf automatisierte Produktion umstellen können, diesen Schritt früher oder später gehen werden, unabhängig vom Mindestlohn. Und Leser Patrick Vögelin ist der Ansicht, der Mindestlohn sei mit 22 Franken sogar zu tief angesetzt. Er schreibt: «Eigentlich sollte der Lohn der Teuerung angepasst werden.» 

2025-01-17 Frage des Tages Mindestlohn-1
Frage des Tages

In unserer Frage des Tages haben wir danach gefragt, ob der Mindestlohn in Basel-Stadt ein Fehler war. 88 Prozent der Leser*innen, die abgestimmt haben, sagen: Nein. Was denkst du?

Diskutiere mit

Es wird erneut klar: Das Thema Mindestlohn polarisiert. Dies wurde bereits 2021 im Vorfeld der kantonalen Abstimmung in Basel-Stadt deutlich. Die Herausgeberin der aktuellen Studie, Conny Wunsch, hielt den Mindestlohn vor der Abstimmung in Basel schon damals «für eine schlechte Idee», wie sie Bajour sagte. 

Auch im damaligen Wahlkampf wurde versucht, sich auf Umfragewerte zu berufen. Eine Studie aus Neuchâtel zeigt auf, dass sich der Mindestlohn dort bezahlt gemacht hat und die Sorge vor Entlassungen nicht haltbar ist. Bruno Lanz, Ökonom Uni Neuchâtel und Verfasser der Studie, gab aber zu bedenken, dass die Auswirkungen eines Mindestlohns von vielen Faktoren abhängen: vom Sektor, der geografischen Situation, der Marktkraft und vom Wettbewerb. Es sei daher bedenklich, verschiedene Kantone miteinander zu vergleichen. 

Ausgezeichnete Forschung

Es lohnt sich aber, im Vorfeld der Abstimmung einen Blick in die Arbeiten von David Card und seinem verstorbenen Kollegen Alan Krueger zu werfen. Darin weisen die Forscher nach, dass steigende regionale Mindestlöhne nicht zu einer höheren Arbeitslosigkeit führen. Card wurde für seine Forschung zum Mindestlohn im Jahr 2021 mit dem Wirtschaftsnobelpreis ausgezeichnet. Mit dem Preis wurde das ökonomische Narrativ, Lohnsteigerungen seien schlecht für die Arbeitnehmer*innen wie auch für die Wirtschaft, zumindest in Frage gestellt. 

Auf der Website des Gewerbeverbands heisst es im Hinblick auf die Studie von Conny Wunsch: «Die Basler Erfahrungen werfen wichtige Fragen für andere Kantone auf, die eine Einführung des Mindestlohns erwägen.» Der versteckte Hinweis auf die anstehende Abstimmung in Baselland ist offensichtlich. 

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Valerie Wendenburg

Nach dem Studium, freier Mitarbeit bei der Berliner Morgenpost und einem Radio-Volontariat hat es Valerie 2002 nach Basel gezogen. Sie schreibt seit fast 20 Jahren für das Jüdische Wochenmagazins tachles und hat zwischenzeitlich einen Abstecher in die Kommunikation zur Gemeinde Bottmingen und terre des hommes schweiz gemacht. Aus Liebe zum Journalismus ist sie voll in die Branche zurückgekehrt und seit September 2023 Senior-Redaktorin bei Bajour. Im Basel Briefing sorgt sie mit ihrem «Buchclübli mit Vali» dafür, dass der Community (und ihr selbst) der Lesestoff nicht ausgeht.

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