Es krabbelt. Und es ist scheusslich.
Hast du auch schon von der Nosferatu-Spinne gehört? Seit in unserer Gärngschee-Gruppe darüber diskutiert wurde, kann ich nicht mehr ruhig schlafen. Ein Erlebnisbericht eines Spinnenphobikers.
«HILFE! Ein Monster», schoss es mir durch den Kopf, als ich letzte Woche den Post in der Gärngschee-Gruppe sah. Plötzlich war da ein Bild einer riesigen Spinne mit acht langen Beinen und einem monströsen schwarzen Körper mit grauem Muster auf meinem Bildschirm.
Ein Mitglied unserer Facebook-Gruppe hatte eine Spinne bei sich gefunden, die so aussah, als wäre sie gleich gross wie meine Hand. Das Bild war so nah aufgenommen, dass ich dachte, die Spinne krabbelt aus meinem Laptop raus. Ich wollte schnell weiterscrollen, aber bei über 100 Kommentaren musste ich kurz drüberschauen. Die Kommentare erklären, dass sei eine Nosferatu-Spinne, die sich momentan bei uns ausbreite. Mir schauderts erstmal den Rücken runter, und ich spüre überall an meinem Körper ein Kribbeln.
«Wieso schau ich auch abends noch mal was für die Arbeit nach?», denke ich mir, bevor ich das Licht in meinem Schlafzimmer löschen will. Letzte Woche hatte mir schon einer meiner wiederkehrenden Albträume, in dem mein Zimmer von Riesenspinnen befallen ist, eine schlaflose Nacht bereitet. Trotzdem Augen zu und durch.
Aber dann sehe ich an meiner Decke eine circa vier Zentimeter grosse Spinne, ich weiss, es ist keine Nosferatu, die sind doppelt so gross. Ich zücke meine Finken. Der erste fliegt, der zweite fliegt, getroffen hab ich sie, aber die Leiche finde ich nicht. «Vielleicht hinter dem Sofa», rede ich mir ein und gehe schlafen.
Die Nosferatu-Spinne (Zoropsis spinimana) wird bis zu 8 cm gross. Sie ist eine freilebende Art, dass heisst, sie lauert nicht in Netzen auf ihre Beute, sondern geht aktiv auf die Jagd.
Ihren Namen bekam die Nosferatu-Spinne, da die charakteristische Zeichnung auf ihrem Rücken an die gleichnamige Filmfigur der ersten Dracula-Verfilmung erinnert.
Freitagmorgen, ich wache auf, meine Nase fühlt sich verstopft an. Im Spiegel sehe ich, dass sie dreimal so dick ist wie sonst. Mein erster Gedanke: Spinnenbiss. Nach dem Duschen und ein bisschen auf der Nase rumdrücken, schwillt sie ab. Vielleicht wars auch nix.
In der Redaktionssitzung erzähle ich davon, was die Gärngschee-Community so beschäftigt. Ich öffne widerwillig den Tab mit den Spinnen-Bildern und lese mich nochmal kurz ein. Der Klimawandel sei schuld, eigentlich komme die Spinne aus dem Mittelmeerraum. Experten meinen, die Spinne sei harmlos, trotzdem erwäge ich den Umzug nach Skandinavien.
Spinnen, überall Spinnen!
Das Wochenende steht an, Freude herrscht. Mit meiner Freundin verbringe ich die freien Tage in Heidelberg. Wir spazieren zur Thingstätte und machen in den Zuschauerrängen dieser Freilichtbühne aus der NS-Zeit eine Pause. Die Handy-Sucht kickt, ich öffne Twitter und rechtfertige es innerlich: «Ich bin Journalist, ich muss wissen, was in der Welt los ist.»
Zwischen vielen Erdbeben-Reaktionen sehe ich einen vom Algorithmus empfohlenen Tweet: «Guten Morgen aus meinem Badezimmer», mit einem Bild, wo eine Nosferatu-Spinne neben einem Handtuch an der Wand sitzt. Abgesetzt wurde der Tweet ein paar Städte weiter – viel zu nah. Mein Atem wird schneller, wieder es kribbelt überall, ich erzähle es aufgebracht meiner Freundin.
«Ist sie giftig?»
«Nein, wie ein Wespenstich, glaub's.»
«Wieso hast du dann Angst?»
«Ich weiss doch auch nicht»
…
«Weisst du, es gibt auch andere grosse Spinnen in der Schweiz.»
«AHHHH, das hilft nicht!»
Forscher*innen der Uni Basel haben eine Augmented-Reality-App für Smartphones entwickelt, um Angst vor Spinnen zu reduzieren. Die App Phobys hat sich in einer klinischen Studie bewährt und soll schon nach wenigen Trainingseinheiten die Angst lindern.
Ich fühle mich nicht ernst genommen, ein paar Minuten herrscht Funkstille. Panisch frage ich mich, ob ich das Schlafzimmerfenster zu Hause auch wirklich geschlossen habe. Ich kontaktiere schleunigst meinen Vater. Glück gehabt, es war zu. Abends nach der Heimkehr leuchte ich mit der Taschenlampe in alle Ecken meines Zimmer, es verstecken sich keine Viecher. Die Luft ist stickig, nachdem ich das Wochenende nicht gelüftet hatte. Daran wird sich jetzt nichts ändern, stickige Luft ist mir lieber als eine Nosferatu-Spinne.
Ja, diese Spinne macht mir zu schaffen. Dafür habe ich keine Angst vor Höhen, Wespen oder meinem Zahnarzt. Vor was man sich dann doch fürchtet, kann man sich leider nicht aussuchen. Nun freue ich mich auf den Winter, dass die Spinnen verschwinden und ich mal wieder lüften kann.
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