«Das Ziel ist, dass sich solche Taten nicht wiederholen»
An einer Pressekonferenz haben Politik und Behörden eine erste Auslegeordnung gewagt. Dabei blieben sie vage. Die gehässigen Diskussionen stehen erst noch bevor.
So trocken wie das Wetter hat sich auch die Pressekonferenz zum Straf- und Massnahmenvollzug sowie zu den medizinischen Abklärungen angefühlt, zu welcher das Generalsekretariat des Justiz- und Sicherheitsdepartements am Montagnachmittag geladen hat.
Justizdirektorin Stephanie Eymann, die diesen Sommer keine ruhige Minute zu haben scheint, und ihr Kollege und Gesundheitsdirektor Lukas Engelberger wollten gemeinsam mit den Verantwortlichen aus Verwaltung und den Universitären Psychiatrischen Kliniken Basel (UPK) die Öffentlichkeit zum Fall Nasenweg informieren, soweit dies zum jetzigen Zeitpunkt überhaupt möglich ist. Da gegen den mutmasslichen Täter derzeit ein Strafverfahren läuft, können keine Details veröffentlicht werden. Entsprechend vage blieb man an diesem Hitzesommertag.
Die beiden Regierungsrät*innen machten gleich zu Beginn klar, dass sie mit ihren «Gedanken beim Opfer und deren Angehörigen» (Eymann) und «persönlich tief betroffen» (Engelberger) sind. Sie sind sich einig, dass es nun eine ehrliche Aufarbeitung braucht. So darf die Medienveranstaltung zumindest als ein Versuch einer Auslegeordnung gewertet werden.
Eine besondere Herausforderung
Die Kantone, in diesem Fall Basel-Stadt, sind für den Vollzug der stationären Massnahmen zuständig. Zu diesen wurde der Mann nach dem Doppelmord 2014 aufgrund seiner Schuldunfähigkeit verurteilt. Das JSD, wo der Straf- und Massnahmenvollzug angesiedelt ist, ist allerdings auf eine medizinische Begutachtung angewiesen, weshalb auch das Gesundheitsdepartement mit am Tisch sass.
«Sollte sich der Verdacht bestätigen, konnte der Kanton in diesem Fall seiner Verantwortung leider nicht gerecht werden.»Lukas Engelberger, Regierungsrat Mitte
Engelberger machte klar, dass «psychisch kranke Straftäter*innen eine besondere Herausforderung sind». Denn: «Sie sind Straftäter*innen und Patient*innen gleichzeitig.» Und können deshalb nicht ins Gefängnis gesteckt werden. Man müsse also sowohl die Gesellschaft beschützen als auch die Patient*innen behandeln. Das politisch definierte Ziel dieser stationären Massnahmen ist die Resozialisierung. Konkret soll das Rückfallrisiko so gut es geht gesenkt werden, doch ein Restrisiko ist nie auszuschliessen.
Für den Weg hin zu einer Resozialisierung sind laut den anwesenden Expert*innen auch die seit vergangener Woche viel kritisierten Vollzugsöffnungen, wie beispielsweise Freigänge, wichtig. Die Patient*innen müssen lernen, sich wieder freier zu bewegen, wenn sie eines Tages wieder Teil der Gesellschaft sein sollen. In Zusammenarbeit mit der UPK, einer eigenständigen öffentlich-rechtlichen Anstalt, stellt sich Basel dieser Herausforderung. «Sollte sich der Verdacht bestätigen», sagt Engelberger selbstkritisch, «konnte der Kanton in diesem Fall seiner Verantwortung leider nicht gerecht werden.»
Klare Schuldzuweisungen gibt es bisher keine. Ohnehin trifft die Entscheidungen zu Vollzugsöffnungen niemand alleine, Freigänge müssen von der UPK beantragt und vom Straf- und Massnahmenvollzug abgesegnet werden. Seit der Tat von vergangener Woche sind diese bis diesen Dienstag komplett ausgesetzt worden, um die Patient*innen zu schützen. Eine externe Stelle soll derweil klären, wo bei der UPK allenfalls Fehler unterlaufen sind.
Straf- und Massnahmenvollzugs-Leiterin Sabine Uhlmann bestätigte, dass bei den Beurteilungen in der Regel das 6- bis 8-Augenprinzip gilt und dass jeder Entscheid auf breit abgestützten Einschätzungen basiert: auf Gutachten, auf Risikoabklärungen (in Basel wird das wissenschaftliche Tool Ra-Prof als Hilfsmittel beigezogen) oder auf Therapieverhaltensberichten.
Hinzu kommen gemäss Michael Rolaz, CEO der UPK, weitere zehn Personen innerhalb der Klink, die in den Entscheid involviert sind. Er betont, dass den Behandlungen und Prozessen wissenschaftliche Erkenntnisse zugrunde liegen. Die Massnahmen können, wie im aktuellen Fall, um jeweils fünf Jahre verlängert werden. Als letzte mögliche Massnahme kann eine Verwahrung beantragt werden, sofern bei den zu Therapierenden keine Besserung in Sicht ist.
«Das Ziel ist, dass sich solche Taten nicht wiederholen.»Stephanie Eymann, Regierungsrätin LDP
Politische Forderungen werden laut
Die Rufe nach rascher ausgesprochenen Verwahrungen wurden auch am Wochenende, insbesondere von bürgerlicher Seite, lauter. Sicherheitsdirektorin Eymann ist sich den Forderungen an die Politik bewusst. Dennoch ist sie der Meinung, dass «jeder Einzelfall analysiert werden muss». Und: «Das Ziel ist, dass sich solche Taten nicht wiederholen.»
Allen Einzelfallanalysen zum Trotz dürften nun gehässige Diskussionen anstehen, wobei auch die Frage nach einem Systemwechsel im Raum steht. Davon hält Professor Dirk Baier, der an der ZHAW zu Delinquenz und Kriminalprävention forscht, wenig: «Man kann wegen eines schrecklichen Vorfalls nicht das ganze System in Frage stellen.» Denn: «Es wird heute professionell und wissenschaftlich gearbeitet. Doch sind Prognosen und Einschätzungen nie perfekt.» Man könne immer nur einen Grad an Gefährlichkeit bestimmen.
«Man kann wegen eines schrecklichen Vorfalls nicht das ganze System in Frage stellen.»Dirk Baier, Leiter Institut für Delinquenz und Kriminalprävention an der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften
Baier erinnert zudem daran, dass die allermeisten Fälle gut gingen, dass Freigänge funktionierten, wenn die Straftäter*innen darauf vorbereitet würden und die nötigen Kompetenzen erworben hätten. Die Rückfallquoten seien auch wegen der medikamentösen Behandlungen tief.
Die Resozialisierung sei nun mal der Auftrag des Straf- und Massnahmenvollzugs, die Sicherheit diesem nachgeordnet, sagt Baier weiter. Wobei: «Das Pendel schlägt in den letzten Jahren immer mehr Richtung Sicherheit aus.» Er meint: «Wir leben in einer Gesellschaft, in der wir gerne null Risiko hätten, man ist vorsichtiger geworden.» Doch: «Ein Restrisiko haben wir auch, wenn wir in ein Auto steigen.»
Baier ist trotz des Tötungsdelikts der Meinung, dass eine moderne demokratische Gesellschaft, wie wir sie in der Schweiz kennen, «am moralisch wertvollen Ziel der Resozialisierung festhalten müsste». Aber ja, kleine Schrauben könnten gedreht werden. Vielleicht würden in Zukunft noch mehr Augen die Gefährlichkeit von Straftäter*innen in Therapie beurteilen. «Die Prüfungen dürften strenger werden.»