Sie spielen im Kleinbasel gross auf

Sie gilt als Hotspot für Kleinkriminalität, dabei hat die Dreirosenanlage vor allem eines: Den spektakulärsten Basketballplatz der Stadt. Wer spielt hier? Eine Reportage.

Basketball
Szenen aus einem heissen Spiel. Jede*r will als Sieger*in vom Platz gehen. (Bild: Daniel Faulhaber)

Es steht 11:11 in diesem vielleicht letzten Basketballspiel der Saison und der rechte Flügel sucht hektisch nach einer Option, hier als Sieger vom Platz zu gehen. Aber sein Team ist müdegespielt, der Center bewegt sich kaum noch und ausserdem hängt ihm die Defense des Gegners an den Hacken. Macht ers halt selbst. 

Der Flügel dreht sich blitzschnell um die eigene Achse, lässt den Verteidiger ins Leere laufen, macht zwei Schritte, springt, katapultiert gleichzeitig den Ball aus dem rechten Arm in hohem Bogen Richtung Korb. Treffer. Das wars. Die Teamkollegen johlen. Der Stürmer lässt sich abklatschen. Und auf der anderen Rheinseite sackt jetzt die Sonne hinter dem ikonischen Wohnblock in die Dämmerung hinein. Feierabend. 

Es wird wieder früher dunkel über Basel. Vielleicht war das wirklich das letzte Spiel einer langen, sonnenvergoldeten Saison auf dem legendären öffentlichen Basketballfeld Dreirosen. Im Winter wird hier wenig gezockt. Zu kalt. Wenn der Boden nass ist: Ausrutschgefahr, zu gefährlich. Aber ohne die Basketballspieler*innen fehlt etwas auf dieser Anlage, über die wenig Gutes, dafür mit zuverlässiger Regelmässigkeit üble Nachrichten zu lesen sind. Es geht um Messerstechereien. Drogendealer. Diebstahldelikte. Einen «Hot Spot» nennen ihn die Medien. Seit Ranger auf der Anlage Sozialarbeit leisten, hat sich die Lage beruhigt. 

Was neben diesen negativen Hot-Spot-News vergessen geht: Die Dreirosenanlage ist ein sehr beliebter Quartiertreffpunkt. Zeit für ein Blick auf die glänzende Seite der Medaille: Wer spielt hier eigentlich Basketball?  

Das Team

In einem grossen Chat auf Whatsapp tröpfeln bei Sonnenschein jeweils kurz nach Mittag die ersten Nachrichten herein. «Ballin’?» Oder an diesem Herbsttag: «Kömmet frieh das mir gnueg lang sunne hend».  

«Dieser Platz ist vom Vibe her wie die Skaterszene in den 1990ern», sagt 

Nicola, 

Basketball
(Bild: Daniel Faulhaber)

ein ruhiger, athletischer Typ mit guter Spielübersicht. Hat den Hund dabei. Was ist das für ein Vibe? Nicola beschreibt das so: «Ich komme hierher, alleine, mit nichts als einem Ball. Spiele stundenlang Matches mit Leuten, deren Namen ich nicht kenne. Nach ein paar Spielen fühle ich mich zuhause. Diesen Vibe meine ich.»

Andres,

Basketball
(Bild: Daniel Faulhaber)

weisses Shirt, kurze Haare, kommt gar nicht aus Basel, sondern aus Zürich. Spielt trotzdem regelmässig auf diesem Platz. «Ob ich mit den Leuten hier socialisen will oder nicht, ist nicht entscheidend. Entscheidend ist: Hab ich Bock zu spielen oder nicht.» Ihm gefällt das, sagt Andres, ein sozialer Austausch, ohne reden zu müssen. «Das ist wie Therapie.»

Faïka,

Basketball
(Bild: Daniel Faulhaber)

ist da, um ein paar Körbe zu werfen. Bei den Matches ist sie manchmal auch dabei, aber nicht oft. «Mein Ziel ist es, so fit zu werden, dass ich hier alle runterlasse», flachst sie. 

Jacqueline

Basketball
(Bild: zVg)

organisiert hier im Sommer ein Turnier. Sie fährt regelmässig aus Binningen nach Basel, aber nachdem sie sich bei einem Spielzug einen offenen Nasenbruch zuzog, musste sie kurz pausieren. Danach spielte sie mit Gesichtsmaske. Lieblingsposition: Halbdistanz. Jacqueline kennt sich aus. «Es macht Spass, hier mitzuhalten».

Trotzdem sei der Platz für Frauen ein hartes Terrain, dabei ist das Spiel grundsätzlich offen für alle. «Viele trauen sich nicht», sagt Jacqueline. Sie geht darum manchmal von sich aus auf Frauen zu, die vom Spielfeldrand zusehen. «Wollt ihr mitspielen?»

Dann gehts los. Und es steht zwar nirgends aufgeschrieben, aber über die Jahre haben sich hier ein paar Regeln eingebürgert. Das erste Spiel geht auf 21 Punkte. Danach ist ein Match vorbei, sobald ein Team 11 Punkte auf dem Konto hat. Es spielen fünf gegen fünf. Jeder Treffer zählt einen Punkt, Körbe ab der Dreipunktelinie zählen zwei Punkte. Das Gewinnerteam bleibt auf dem Feld, die Verlierer*innen müssen Platz machen. Trotzdem sollen alle mal spielen dürfen. Manchmal gibts deswegen Streit.

Dann müssen alle Spieler*innen zur Selektion antreten. Korbwerfen ab der Dreierlinie. Wer trifft, ist dabei. Wer verpasst, schaut zu.

Das erste Spiel driftet ohne viel Bewegung durch die gelbe Nachmittagssonne dahin. Ein paar weite Bälle landen am Brett, manche im Aus. Dribblings werden laufengelassen. Dynamik im Schongang, jeder darf mal. «Es gibt auf diesem Court aber sowieso keinen Überspieler, der so gut ist, dass er alle andern komplett dominiert», sagt

Antony,

Basketball
(Bild: Daniel Faulhaber)

weisses NFL-Shirt, Sommersprossen. Hat früher mal Fussball gespielt, aber vor drei Jahren hat er den Sport gewechselt. Jetzt ist er hier Stammspieler. «Ich wollte was mit mehr Bewegung als Fussball. Mehr Abwechslung, mehr Dynamik. «Beim Basketball bist du öfter am Ball.» 

Jeder Mannschaftssport hat seine Eigenart, aber Basketball hat eine ganz besondere Anziehungskraft. Passant*innen bleiben minutenlang stehen, um den Spieler*innen auf dem Dreirosenplatz beim rauschenden Hin und Her zuzuschauen. Das hat auch mit dem Ort zu tun. Der Rhein, die Industrie, der Park. Nirgends tut Basel so grossstädtisch wie hier. Die Dreirosenbrücke spannt sich wie eine Tribüne über das Feld, von dort oben wird auch herabgeschaut auf Antony, der jetzt versucht, mit einem Rush zur Mitte einen Korbleger zu landen. 

Dieses blauen Basketballfeld zwischen Matthäus und Klybeck ist in die Quartiertopografie eingearbeitet wie ein Magnet. Es glüht dort unten. Man muss einfach hinschauen. 

Das hat auch mit diesem Sport zu tun. Mit den Typen, die der Basketball hervorbringt. LeBron James, Tim Duncan, Dirk Nowitzki. Diesen Athleten verkörpern trotz ihrer Körpermasse eine filigrane Coolness, die es zum Beispiel im Fussball nicht gibt. Dort werden Spieler als Kraftwürfel bezeichnet. Das würde einem Basketballer nicht passieren. Der Spieler Michael Jordan war ein verdammter Aristokrat.

Ganz genau hinschauen jetzt auf diese sich langsam warmspielende Spielmaschine. Nicola passt auf Andres, der setzt an zum Wurf. Bleibt hängen. Gegenstoss. Treffer. «Hier gilt die Regel. Wer gefoult wird, sagt Foul. Das respektieren alle. Fairplay gehört dazu.» So erklärt es nach dem Spiel 

Krishnasol 

Basketball
(Bild: Daniel Faulhaber)

Der spielt hier schon seit zwölf Jahren und dürfte damit zu den Pionieren gehören. Beim Kleinbasler Basketballverein, dem BC Bären Kleinbasel, trainiert er die U12. Darum nimmt er sich manchmal einen der Kids zur Seite und erklärt ein paar Dinge. «Nimm die Hände so. Mach diesen Schritt.» Krishnasol sagt, dieser Platz hat eine besondere Bedeutung, weil hier viele Junge zum ersten Mal mit Basketball in Berührung kommen. «Es reicht, dass sie uns spielen sehen. Irgendwann kommen sie wieder.» 

Jetzt wirds laut auf dem Court. «DAS WAR KEIN FOUL», ruft einer. «KLARE BERÜHRUNG AM ARM», sagt der andere. Überraschung: So locker und sportlich wie das vorher skizziert wurde, werden die Fouls dann doch nicht weggesteckt. Weiterspielen. Im Vorbeirennen ein kurzes Handshake zwischen denen, die sich da gerade noch angeschrien haben. Egoismus und Selbstüberschätzung. Ein grosses Thema auf allen Bolzplätzen dieser Welt. «Wenn du ein jüngerer Spieler bist, dann vertraust du vor allem auf dich selbst», sagt

Abiel,

Basketball
(Bild: Daniel Faulhaber)

ein kleiner, wendiger Spieler mit der Ausdauer eines Rennpferds. Abiel meint das mit dem Vor-allem-sich-selbst-Vertrauen nicht als Vorwurf, sagt er, früher war er selber so. Hauptsache Abschluss, Hauptsache Treffen. Heute habe er das Spiel auf eine neue Art verstehen gelernt. «Für mich ist Passspiel noch befriedigender als zu treffen.» Es brauche einen Ausgleich im Team, sagt Abiel, eine harmonische Balance. Wenn fünf Spieler auf den Korb zustürmen, sei das der Untergang. 

Der Nutzungsdruck auf den öffentlichen Raum ist im Kleinbasel überdurchschnittlich gross, der Anteil Grünflächen am Matthäusquartier beträgt weniger als ein Fünftel (17,1 %). Nun hat sich unter den Freizeitsportler*innen herumgesprochen, dass ausgerechnet in diesem Park gebaut werden soll. Der Bund will ab frühestens 2029 einen Autobahntunnel unter den Rhein bauen, um den verstopften Strassenabschnitt zwischen Hagnau und Wiese zu entlasten. Die öffentliche Planauflage soll im Frühjahr 2023 erfolgen.

Die Bauarbeiten an diesem «Rheintunnel» sollen über 10 Jahre dauern. Die Dreirosenanlage wäre dann wegen der Baustelle gesperrt, aber was mit dem Basketballplatz passieren soll, hat den Leuten hier noch niemand erklären können. Sagt Faïka. 

«Das wäre sehr schlecht, wenn man hier nicht mehr spielen könnte. Nicht nur für die Basketball-Crew. Schau dich um. Hier spielen alle möglichen Leute aus dem Quartier.» Die BastA! hat sich politisch bereits gegen den «Rheintunnel» in Stellung gebracht. «Dreirosen bleibt!». Das Bundesamt für Strassen rechnet mit der Behandlung eventueller Einsprachen bis 2025.

Die Entscheidung

Das Spiel biegt jetzt in die letzte Runde. Nochmal ein NullzuNull. Benjamin, der auch bei den Bären trainiert, sagt, es war nochmal ein sehr guter Spieltag heute, Anfang Oktober. Jey sieht das ähnlich, mit dem Zeigefinger und Daumen macht er eine kleine Lücke. «Wir haben kleine Diskussionen, das gehört dazu.» Dann ist Anspiel. 

Und wer diesen Sport nicht am eigenen Körper kennt, also die Dynamik dieses Sports nicht von innen erlebt hat, der kriegt hier, Eintritt frei, eine Kostprobe. Es ist da eine faszinierende Gleichzeitigkeit von Stillstand und explosiver Bewegung zu sehen, wenn der hinterste Angreifer am Verteidigungsring der Gegner lauert, den Ball prellt, durch die Beine prellt, mit rasendem Blick von links nach rechts, immer auf der Suche nach einer Anspielstation und dann –

Basketball

– den Ball durch die hochschnellenden Hände zum Angreifer hindurchpowert in der Hoffnung, dieser Angreifer erwische den Ball. Wenn das klappt, fehlt nur ein Schritt zum Korb, manchmal zwei. Der Mensch, das Präzisionstier. Wieviele Entscheidungen trifft das Gehirn, wenn der Ball mit Tempo beim Absprung gegen die Laufrichtung geworfen wird? 

Auch darum stehen so viele Leute um diesen Platz herum und schauen diesen Körpern zu. Wir bestaunen uns einfach gerne selbst. 

Es wird gerufen auf dem Platz, es werden Ansprüche angemeldet. Anspruch auf den Ball und den nächsten Punkt und den Sieg, denn wer weiss. Vielleicht das heute schon das letzte Spiel der Saison auf diesem aufregendsten Sportplatz in ganz Basel. 

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Fauli

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Themeninputs und Hinweise gerne an [email protected] . Twitter: @dan_faulhaber


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Bei Bajour als: Reporter und Redaktor

Hier weil: da habe ich die Freiheit, Neues anzupacken und unkonventionell zu arbeiten, ohne über sieben Hierarchiehürden zu springen. Das ist toll. Gleichzeitig macht diese Freiheit natürlich Angst, und das wiederum schweisst zusammen. Darum bin ich auch hier. Wegen des Teams.

Davor: Bei der TagesWoche und davor lange Jahre an der Uni mit Germanistik & Geschichte.

Kann: Ausschlafen.

Kann nicht: Kommas.

Liebt an Basel: Die Dreirosenbrücke. Das Schaufenster des Computer + Softwareshops an der Feldbergstrasse Ecke Klybeckstrasse. Das St. Johann. Dart spielen in der Nordtangente. Dass Deutschland und Frankreich nebenan sind.

Vermisst in Basel: Unfertigkeit. Alles muss hier immer sofort eingezäunt und befriedet und geputzt werden. Das nervt. Basel hat in vielem eine Fallschirmkultur aus der Hölle. Absichern bis der Gurt spannt. Ich bin schon oft aus Versehen eingeschlafen.

Interessensbindung: Vereinsmitglied beim SC Rauchlachs.

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