Wir wollen mehr Leidenschaft
Beim Fussball geht es nur noch ums Geld. Besitz-Streitigkeiten beim FC Basel, Pläne für eine Elite-Liga in Europa. Wo bleibt da die Leidenschaft, fragt sich Didi-Kapitän Beni Pfister und flüchtet ins Kino.
Soll ich ehrlich sein? Ich hatte in letzter Zeit wenig Lust auf Fussball. Auch wenn der FCB sportlich wieder Freude macht. Aber solange der Streit zwischen Burgener und Degen nicht entschieden ist, beobachte ich den FCB mit einer gewissen Distanz. Und die Ereignisse rund um die Pläne einer europäischen Super League heben die Stimmung auch nicht. Im Gegenteil.
Der Fussball soll für die Grossklubs kalkulierbar werden. Money, Money, Money statt Spannung, Spiel und Wettbewerb. Die Kritik an den Plänen zu einer geschlossenen Liga europäischer Spitzenteams fiel heftig aus. Denn: Eine geschlossene Liga widerspricht jedem Wettbewerbs-Gedanken und raubt dem Fussball die Seele.
Die European Super League ist zwar – vorerst – gescheitert, die Entwicklungen im europäischen Spitzenfussball gehen aber dennoch genau in diese Richtung. Wie gut getan hat es da, zwei Filme zu schauen, bei denen – sagen wir es bewusst pathetisch – die Reinheit des Fussballs im Zentrum steht: Die sportliche Unberechenbarkeit eines fairen Wettbewerbs und die Freude am Sport.
Die Umkleidekabine: das Heiligste eines Fussballklubs
Der Norddeutsche Rundfunk zeigte im April den Dokfilm «Das DFB-Pokal-Wunder des FC St. Pauli». Der FC St. Pauli stand 2005 kurz vor dem Ende. Der Kult-Club spielte in der drittklassigen Regionalliga Nord und hatte hohe Schulden. Er überlebte nur deshalb, weil er im DFB-Pokal in jener Saison sensationell das Halbfinal erreichte und erst dort am FC Bayern scheiterte. Auf dem Weg dorthin räumte St. Pauli jeweils vor vollem Haus am Millerntor die Bundesligisten Werder Bremen und Hertha BSC Berlin weg.
Der krasse Aussenseiter erreicht den Pokal-Halbfinal. Ein Horrorszenario für all jene Investoren, die den totalen Profit im Fussball suchen und den «kleinen» Teams den Zugang zu den grossen Wettbewerben erschweren. Dabei sind es gerade solche überraschenden Ausreisser wie eine Halbfinal-Qualifikation eines Drittligisten, die den Fussball so faszinierend machen.
Im Schweizer Film «Football Inside», der im Mai in die Kinos kommt, steht das Heiligste eines Fussballklubs im Fokus: die Umkleidekabine. Regisseur Michele Cirigliano gibt Einblick in den intimsten Raum des Nationalliga-A-Frauenteams von GC Zürich, der Profis des SC Kriens aus der Challenge League, der C-Junioren des FC Blue Stars Zürich und der Veteranen des FC Wettswil-Bonstetten.
Was den Fussball ausmacht
In der Umkleide sind alle gleich: Konzentriert vor dem Spiel, angespannt während der Pause und gelöst oder frustriert nach Abpfiff. Eigene Erinnerungen kommen hoch, wenn sich der Junioren-Trainer nervt, dass einige Spieler zu spät gekommen sind oder wenn die Veteranen über Schmerzen in der Leiste klagen.
Richtig packend wird es, wenn die Emotionen in der Kabine ausgelebt werden. Eine GC-Spielerin nervt sich über den Gegner FC Basel: «Hey Fraue, lömer ois nöd provoziere. Eifach ruhig bliebe, mir spieled oises Spiel. Die sölled umebrüelle, wäns wänd.» Und eine andere doppelt in ebenso reinem Züridüütsch nach: «Die sin 2. und chönnd numme langi Bäll spiele, öbbis anders chönnds nöd».
«Football Inside» zeigt, was den Fussball für 99 Prozent jener Menschen ausmacht, die mit dem Sport kein Vermögen verdienen: Mit Leidenschaft dem Ball nachrennen. Ein Fussballklub ist ein sozialer Begegnungsort, um Freund*innen zu treffen, Lehren fürs Leben mit auf den Weg zu bekommen oder nach sportlicher Anstrengung gemeinsam ein Bier zu trinken.
Zwei echte Aufsteller
Da gibt es kleine Dramen in der Garderobe, wie bei den Blue Stars-Junioren, wo der Torwart, der zum ersten Mal überhaupt zum Einsatz gekommen ist, eine dumme rote Karte kassiert hat und niedergeschlagen in der Ecke sitzt. Der Trainer kommt nach der Pausenansprache («Jetzt lernen wir, in Unterzahl zu spielen») auf ihn zu und sagt: «Hey, ist ok. Kein Problem.»
Und da gibt es heftigere Szenen, wie beim SC Kriens, wo Trainer Bruno Berner mit dem 0:0 zur Pause überhaupt nicht zufrieden ist und schreit: «Jungs, mir sin überhaupt nit druff, überhaupt nit. Keine vo Eu, nit eine!» Dann wird seine Kritik konstruktiver: «Gang breit und suech d Tiefi», gibt er einem Spieler mit auf den Weg. Und an alle: «Looset uf mich, denn gwünet ihr dä Match. Reaktion, Reaktion, sunst gohts hine usse».
Die beiden Filme sind echte Aufsteller. Und man merkt endlich wieder: Er lebt, der Fussball.