Die EM braucht keine Frauenpower
Das Interesse an der Women’s Euro dürfte dieses Mal so gross ausfallen wie noch nie zuvor. Trotzdem ist das Frauenfussball-Turnier auch die hohe Zeit des Patronizing, kommentiert Chefredaktorin Ina Bullwinkel.
«Können Sie sich vorstellen, dass Damenfussball eine Zukunft hat in der Schweiz?», fragte der Reporter beinahe spöttisch damals im Schwarz-Weiss-Fernsehen. «Warum sollte es keine haben?», fragte die Spielerin zurück. Dass Frauenfussball in den 60er-Jahren noch de facto verboten war, kann man sich heute, da die Fussball-Europameisterschaft der Frauen in der Schweiz stattfindet, kaum noch vorstellen bzw. angesichts der in vielen (nicht allen!) Bereichen spürbaren Gleichberechtigung nicht rational erklären. Ausser natürlich durch patriarchale Strukturen und die männliche Angst, Frauen könnten nicht mehr weiblich genug sein. Der deutsche Fussball-Bund begründete das Fussballverbot 1955 denn auch mit dieser aberwitzigen These: «Dieser Kampfsport ist der Natur des Weibes im Wesentlichen fremd.»
Nächste Woche findet das Eröffnungsspiel in Basel statt, aber noch ist es schwer einzuschätzen, wie gross die Euphorie tatsächlich sein wird. Immerhin kleben jetzt riesige Fussbälle auf der Mittleren Brücke und die EM-Fähnli hängen schon. Bei den Ticketverkäufen läuft es sehr gut und UEFA-Präsident Aleksander Čeferin bescheinigt Rekordpreisgelder und ein noch nie dagewesenes Interesse von Sponsor*innen. Das Turnier werde mehr Investitionen in den Frauenfussball bringen als je zuvor, ist er überzeugt.
Einige Menschen schauen schlicht keinen Frauenfussball. Aus Prinzip, aus Desinteresse, aus Gewohnheit, aus dem einfachen Grund, weil er kaum übertragen wird. Und dann ist da noch das Argument mit der Qualität.
Trotzdem ist diese Fussball-EM für viele nicht «die richtige». Einige Menschen schauen schlicht keinen Frauenfussball. Aus Prinzip, aus Desinteresse, aus Gewohnheit, aus dem einfachen Grund, weil er kaum übertragen wird. Und dann ist da noch das Argument mit der Qualität. Die Frauen spielen einfach nicht so gut wie die Männer, finden einige und dürften dieses Vorurteil nun auch noch dadurch bestätigt sehen, dass die Frauen-Nati kürzlich gegen eine U15-Jungenmannschaft 1:7 verloren hat.
Ein Turnier der Frauen im Fernsehen schauen? Lohnt sich nicht. Das hat auch mir in der Kindheit mein Umfeld erfolgreich eingetrichtert. Erschreckend, wie schnell ich diese Meinung übernommen und jahrelang kein einziges Spiel einer Frauenmannschaft gesehen habe – aber wohl beinahe alle Herrenturniere auf Euro- oder WM-Niveau. Und dabei hat sich der Frauenfussball seit den 90er-Jahren ganz offensichtlich massiv entwickelt. Nur leider habe ich das nicht verfolgt, bzw. mitbekommen, denn der Frauen-Zug war da für mich erst einmal abgefahren. Ich habe auch nie Fussball im Verein gespielt, auch deshalb, weil ich wusste, dass Spielerinnen sich dann anhören mussten, sie seien ein «Mannsweib» oder – und das galt es schlimmes Stigma – lesbisch.
Es wäre naiv zu meinen, dass es diese abwertenden Bemerkungen heute nicht mehr gibt. Dabei sind die Spielerinnen ihren männlichen Kolleginnen um einiges voraus: Sie leben offen in homosexuellen Beziehungen, während das im toxischen Männerfussball angesichts seiner gelebten «Fankultur» noch immer ein Riesentabu ist.
Zur Erinnerung: Es gibt keine «Powermänner», sondern einfach Männer, die Fussball spielen. Das ist bei den Frauen nicht anders.
Während Männerfussball einfach «ist», muss die Frauen-Fussball-EM etwas bewegen. Die Zahl der aktiven Fussballerinnen soll in der Schweiz bis 2027 von 40'000 auf 80'000 verdoppelt werden. In Eventbeschreibungen und in den Medien ist teils von «Frauenpower» und «Female Empowerment» die Rede und damit wird betont: Es ist nicht der Normalfall, wenn Frauen auf hohem Niveau tschutten, sondern das Ganze muss einem höheren Zweck dienen. Zur Erinnerung: Es gibt keine «Powermänner», sondern einfach Männer, die Fussball spielen. Das ist bei den Frauen nicht anders. Wer ein Label verpasst bekommt, das die Stärke betont, hat eigentlich schon verloren. Patronizing heisst hier der Überbegriff.
Apropos Labels. In einem CH-Media-Artikel wurde auf das 1:7-«Debakel» und gleichzeitig auf das Outfit von Nati-Spielerin Alisha Lehmann eingegangen, die nach Urteil des Autors nicht enttäuschte: «Sie trug ein grünes Gucci-Kleid und handbemalte Nike-Schuhe.» Diesen Auftritt bewertet der Journalist im Gegensatz zu dem des Teams als gelungen. Denn bisher habe dieses es nicht geschafft, Euphorie zu entfachen. Noch hat die EM nicht angefangen, es gibt also noch genügend Zeit, um das Frauenfussball-Feuer zum Lodern zu bringen. Nur: Es würde dem Frauen- genauso wie dem Männerfussball gut tun, wenn im Vorfeld weder Designerkleider noch eingeflogene Coiffeure zum Thema gemacht würden.