Hat jemand Einheitskasse gesagt?
Eine Mehrheit der Bajour-Leser*innen befürwortet einen radikalen Umbau der Grundversicherung hin zu einer Einheitskasse. Dieser Vorschlag aus den Reihen der SP ist nicht neu – und führt auch heute noch zu Diskussionen, wie die Frage des Tages zeigt.
Die steigenden Krankenkassenprämien beschäftigen die Schweizer*innen. In einer Tamedia-Umfrage vom Juli werden die Gesundheitskosten als drängendstes Problem genannt – und das von Wähler*innen aller Parteien. So erstaunt es auch nicht, dass alle grossen Parteien mit Reformvorschlägen fürs Krankenkassensystem aufwarten – mal mehr, mal weniger radikal.
Ein Vorschlag aus den Reihen der SP ist eine Einheitskasse, sie will eine Initiative prüfen. Bei den Bajour-Leser*innen stösst diese Idee auf Zuspruch, bei der Frage des Tages votierte eine Mehrheit dafür (Stand Dienstagabend, 22 Uhr).
Die Idee einer Einheitskasse ist nicht neu, den letzten Anlauf in Form einer Initiative nahmen linke Parteien und Verbände 2014. Eine Mehrheit fand das Anliegen nicht: Knapp 62 Prozent der Stimmbevölkerung schickten sie bachab, auch 2007 scheiterte eine entsprechende Vorlage. «Der freie Markt war immer ein starkes Argument gegen die Einheitskrankenkasse», erinnert sich SP-Nationalrätin Sarah Wyss.
«Man setzte auf den Wettbewerb und argumentierte, mit einer Einheitskasse würde alles teurer. Ausserdem wurde diese Idee von den Bürgerlichen als sehr rot und links geframed», ergänzt sie. «Deshalb haben wir beim zweiten Anlauf die Initiative auch leicht angepasst und sprechen von einer ‘öffentlichen Kasse’.»
Auch Grüne-Grossrätin Fleur Weibel spricht sich für eine öffentliche Krankenkasse aus.
Wyss ist überzeugt, dass eine solche öffentliche Krankenkasse ein Schritt in die richtige Richtung wäre, auch wenn die Kosten dadurch nicht drastisch gesenkt werden könnten. Sie glaubt auch, dass das Anliegen heute eine Mehrheit finden könnte. «Ich glaube, man hat gemerkt, dass Privatisierung hier nicht der richtige Weg ist, um Kosten zu sparen.»
Der Gesundheitsökonom Christoph Thommen von der ZHAW sieht hingegen die Chancen für eine neue Einheitskassen-Initiative gering. «Die Ausgangslage ist schwierig, das war sie auch schon früher: Noch immer kommen die Forderungen in der politischen Arena primär von links. Deshalb ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass das Anliegen auch dieses Mal abgelehnt würde.»
Zum oft hervorgebrachten Argument einer Kosteneinsparung sagt Thommen: «Von den jährlichen 90 Milliarden Franken Gesundheitskosten geht nur etwas mehr als ein Drittel an die Grundversicherung.» Innerhalb dieses Grundversicherungsteils belaufen sich die Kosten für Verwaltung und Werbung auf nur etwa fünf Prozent. «Die Forderung klingt also sehr einfach, aber grosse Einsparungen sind aus ökonomischer Sicht dadurch nicht zu erreichen.»
Auf der anderen Seite des politischen Spektrums hat sich jüngst SVP-Gesundheitsdirektorin Natalie Rickli mit einem neuen Vorschlag ins Spiel gebracht: Sie plädiert für eine Abschaffung des Krankenkassenobligatoriums. SVP-Grossrat Roger Stalder findet diese Idee «gar nicht so abwegig». «Wenn man die Prämien wirklich senken will, geht dies nur über einen Abbau der Leistungen», so Stalder.
«So könnte jeder Versicherungsleistungen für sich selber zuschneiden.» Die Bevölkerung habe aber in den letzten 20 Jahren immer Nein zu Senkungen der Leistungen gesagt. «Da muss sich jeder selber an der Nase nehmen, sprich, nicht immer ist die Politik Schuld», findet der SVP-Politiker.
Gesundheitsökonom Thommen bezweifelt, dass eine Abschaffung des KVG weniger Kosten zur Folge hätte. «Es müsste dann ja trotzdem eine Nachfolge-Lösung gefunden werden, um unter anderem die Versorgung der weniger vermögenden Bevölkerung sicherzustellen.» Der Vorschlag sei «überraschend und wenig durchdacht», das bestehende System basiere hingegen auf einem politischen Konsens durch die KVG-Einführung in den 90er-Jahren. Er gehe deshalb davon aus, dass auch dieser Vorschlag nicht mehrheitsfähig ist.
Ausserdem seien es nicht nur die Prämien, mit denen Kosten im Gesundheitsbereich finanziert werden. «Auch Selbstzahlungen, Beiträge von Kantonen und Gemeinden sowie Privatversicherungen sind Teil dieser Kosten. Über diesen unsichtbaren Teil wird aber eher weniger diskutiert», so Thommen.
Thommen wirft sogar insgesamt die Frage auf, ob radikale Reformen zum aktuellen Zeitpunkt überhaupt möglich sind: «Ja, wir haben relativ hohe Gesundheitskosten, wir haben aber auch ein qualitativ sehr gutes Gesundheitssystem. Insgesamt scheint der Reformdruck noch nicht gross genug zu sein, dass man daran etwas ändern will», so der Ökonom.
Kleinere Schräubli könnten aber durchaus gedreht werden. So kommt zum Beispiel ein Stein des (Denk-)Anstosses in der Diskussion zur Frage des Tages von GLP-Grossrat Johannes Sieber: Er schreibt, die Massnahme der Prämienverbilligungen könnte justiert werden. Und: «Anspruch auf Original statt Generika ist definitiv Zusatzversicherung. Niemand braucht das.» Vorschläge kommen auch aus der Mitte – Nationalrätin Elisabeth Schneider-Schneiter macht sich für eine Kostenbremse stark – und LDP-Grossrat Michael Hug votiert dafür, Patient*innen über Spar-Anreize «vermehrt in die Verantwortung» zu nehmen.
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