Corona, du wirkungsvollste Spassbremse

Was die Polizei nicht hinbekommt – Corona schafft es. Die illegale Party-Szene hat für den Moment ausgefeiert. Niemand hat Lust, einen Superspreader-Event zu veranstalten. Gut so.

illegale Party Nachtleben
(Bild: Julius E. O. Fintelmann)

Es ist Sommer, kurz nach halb Elf und ich habe mein Velo in einer kleinen Nebenstrasse irgendwo in der Nähe des Badischen Bahnhofs abgestellt. Am Nachmittag habe ich eine WhatsApp-Nachricht bekommen, in der angekündigt wurde, dass hier heute etwas steigen wird. Ein genauer Standort stand nicht drin, lediglich «DB-Areal» war angegeben. Ich schlage mich durchs Unterholz des vor mir liegenden Gleisfeldes. Dem in der Ferne wummernden Bass und flackernden Partylichtern entgegen.

Ein guter Freund begrüsst mich freudig überrascht (ich hätte doch angekündigt, nicht kommen zu können) und reicht mir ein Bier. 50 Leute tanzen bereits oder stehen noch verstreut drumherum und reden. Ich kenne doch so einige und freue mich darüber, die Leute alle zu sehen.

Doch dann – ich rieche etwas: Gibt es heute ernsthaft Waffeln? Tatsächlich. Hinter dem DJ-Tisch haben die Veranstalter*innen einen Waffelstand aufgebaut. Ich hole mir eine. Danach geht's auf den Dancefloor. Die Nacht kann beginnen – und die Realität für ein paar Stunden verschwinden.

Waffeln Party
«Royale Aktion!» Was gibt es besseres als Waffeln auf dem Dancefloor? (Bild: Julius E. O. Fintelmann)

Legal? Illegal? Im Moment einfach egal. Bis circa drei Uhr morgens. Dann ist die Polizei da. Das wars dann wohl. Ich kriege ein DJ-Pult in die Hand gedrückt und der gesamte Tross beginnt, sich zu verziehen. Plötzlich: Alles zurück! Entwarnung. Die Polizist*innen wollten nur wissen, ob alles in Ordnung sei. Und Präsenz markieren. Sie werden heute nicht mehr auftauchen. Klar, ist alles in Ordnung. Weiter geht's.

von Julius E. O. Fintelmann

Soweit so Corona-sommerlich. Und nun? Ich will wissen: Wie steht es mit Raves im Covid-19-Winter? Finden noch welche statt? Wie geht es den Raver*innen selbst? Wie werden sie durch die kalten Monate kommen? Halten sie sich an die Vergnügungsverbote und an die Corona-Disziplin?

Die Umfrage unter Organisator*innen, DJs und Gewohnheits-Teilnehmer*innen von illegalen Raves ist eindeutig: Fertig lustig! Einstimmig bestätigen alle, dass – anders noch als im Sommer – keine öffentlichen Raves mehr stattfinden. Nix, null, gar nichts. Keine*r hat Bock, an einem Superspreader-Event teilzunehmen oder gar einen zu veranstalten: «Die moralische Verantwortung und finanzielle Drohung durch Geldstrafen ist mir schlicht zu gross», meint einer der Veranstalter*innen, die das mit den Waffeln organisiert hatten.

«Im Privaten sieht das jedoch anders aus», ergänzt er. «Jetzt finden halt dort die Partys statt, würde ich vermuten.» Der Rückzug auf den engsten Raum, quasi ins Wohnzimmer oder in den eigenen Keller, bleibt unüberschaubar. Also dort, wo sich ein Virus leichter und unkontrollierter ausbreiten kann. Die Befürchtungen sind durchaus begründet. Per WhatsApp flattert tatsächlich die eine oder andere Einladung für den «ganz kleinen Kreis» herein. Party kann man das allerdings nicht nennen.

Party Nachtleben
Das nennt man Party. (Bild: Julius E. O. Fintelmann)

Also ausgetanzt. Die Corona-Disziplin hat die ausschweifenden Raver*innen eingeholt. Trotzdem kam mit den verstummten Beats die moralische Verdammnis: Vor einigen Wochen trendete auf Twitter ein Ausschnitt eines Videointerviews eines deutschen TV-Senders. Dort erzählte eine jungen Frau, sie sei seit März an keiner Party gewesen. Das setze ihr langsam richtig zu. Daraufhin brach ein Shitstorm über sie aus. First-World und privilegierte Probleme seien das, und überhaupt. Subjektivität der eigenen Erfahrungen? Nicht wirklich.

Dieses Motzen geht doch irgendwie am Leben vorbei. Junge Menschen vermissen nun mal die Partys und den sozialen Austausch – ihr Sozialleben halt! Natürlich müssen die Jungen ebenfalls das Opfer der Isolation mittragen, damit vor allem die älteren Mitbürger*innen vor den tödlichen Folgen von Corona geschützt werden.

Aber statt sich darüber lustig machen, könnten all die Spassbremsen, die sich moralisch bei der kleinsten Ansammlung junger Menschen erheben, das Opfer der Jungen doch einmal anerkennen. Denn aus langfristiger zivilisatorischer Perspektive: Mit Moral wurde noch nie der Reproduktionswert der Menschheit gesichert. Mit Partys schon. Wenns wegen Corona schon kein Recht auf Partys mehr gibt, bleibt immerhin ein Recht darauf, Partys zu vermissen.

tracking pixel

Das könnte dich auch interessieren

m7-in-doha-horizontal-courtesy-of-art-basel

Helena Krauser am 23. Mai 2025

MCH Group setzt auf den Konjunktiv

Beim Entscheid, mit der Art Basel nach Katar zu expandieren, stellt die MCH Group die ökonomischen Interessen über die moralischen. Wie steht es überhaupt um die finanzielle Lage der Messe und wie vielversprechend ist der neue Standort?

Weiterlesen
Sonart

Helena Krauser am 20. Mai 2025

Gibt es nun bessere Löhne für Basler Musiker*innen?

Durch die neuen Honorarempfehlungen des Branchenverbands Sonart sollen Musiker*innen fairer bezahlt werden. Aber wie verpflichtend sind diese Empfehlungen und was, wenn sie niemand bezahlen kann? In Politik und Kultur wird nach Antworten gesucht.

Weiterlesen
Catherine Miville-2

Cathérine Miville am 19. Mai 2025

Macht der Bilder

Mit dem ESC gastierte eine der bildgewaltigsten Shows in Basel. Doch der Vatikan lief dem Musikwettbewerb den Rang ab, wenn es ums Thema Inszenierung geht, findet Bajour-Kolumnistin Cathérine Miville.

Weiterlesen
Karl Rottweiler

David Rutschmann am 13. Mai 2025

Basels eigener Retro-ESC

Vor 25 Jahren haben bunte Vögel aus der Basler Musikszene einen Amateur-ESC veranstaltet. Die Gesangswettbewerbe wurden zu schrägen Kurztrips durch Europa. Erinnerungsstücke werden derzeit am Spalenberg ausgestellt.

Weiterlesen

Kommentare