Das Geld, um die Krise zu meistern, hätten wir
Das Generationen Ping-Pong geht in die nächste Runde. Anita Fetz und Pauline Lutz blicken auf die Coronakrise. Muss man Bevölkerungsgruppen und Wirtschaftszweige zwangsläufig gegeneinander ausspielen? Anita Fetz meint Nein. Besonders nicht, wenn es ums Geld geht. Denn dieses hat die Schweiz auf der Bank.
Liebe Pauline
Wie geht es dir in diesen Corona-Zeiten?
Mit geht es eigentlich recht gut, auch wenn mir die sozialen Kontakte und der Besuch von kulturellen Veranstaltungen sehr fehlen. Aber ich bin privilegiert: mein Homeoffice findet in einem grossen Raum statt.
Weil ich schon lange als Selbständige berufstätig bin, habe ich genügend Rücklagen, um ein Jahr ohne grosse Aufträge zu überleben. Dafür hat sich meine digitale Lernkurve sprunghaft erhöht. Die Lehrveranstaltung zur Verhandlungstechnik im Rahmen eines Public Health Management-Studiums mache ich unterdessen digital. Meetings per «Zoom», «Teams», «Skype» etc. sind Alltag geworden. Allerdings habe ich bald viereckige Augen und vermisse den direkten Kontakt mit den Menschen sehr.
Weniger gut geht es einigen meiner Bekannten, die im Gastro-, Event- oder Kulturbereich als Selbständige tätig sind. Ihnen steht das Wasser bis zum Hals.
«Die Kakophonie zwischen Bund, Kantonen und einzelnen Wirtschaftslobbys nervt und reizt die Leute – mich inklusive.»
Wenn ich auf die vergangenen Monate zurückblicke, dann bin ich irgendwie fassungslos.
Seit 2015 stand in den bundesrätlichen Risiko-Analysen die Gefahr einer Pandemie immer an oberster Stelle. Und dann gibt es im Ernstfall weder genügend Masken noch Desinfektionsmittel im Vorrat. Welch ein Debakel.
Die Vorstellung, dass die Schweiz organisatorisch top ist, ist also ein Mythos. Immerhin: Der Lockdown im letzten Frühling war hart, aber wirkungsvoll, die Ansteckungszahlen sanken massiv. Aber statt diesen Vorsprung zu halten, liess sich der Bundesrat von diversen Lobbys zu einer schnellen Öffnung hinreissen, die wir seit dem Herbst mit hartnäckig hohen Ansteckungs- und Todeszahlen bezahlen.
Die Kakophonie zwischen Bund, Kantonen und einzelnen Wirtschaftslobbys nervt und reizt die Leute – mich inklusive. Bei einem «Lockdown light» geht es lange, bis die Zahl der Infizierten sinkt. Und wir liegen bei den Ansteckungs- und Todeszahlen im europäischen Vergleich weit vorn. Die Schweiz kann nicht alles besser.
«Mit deiner Gesundheit kannst du machen, was du willst, nicht jedoch, wenn du andere gefährdest.»
Meine Hoffnung liegt jetzt auf der Impfung. Es ist schlicht eine Sensation, wie schnell die verschiedenen Impfstoffe entwickelt worden sind.
Möglich war das, weil einerseits international Milliarden von öffentlichen Geldern in die Forschung gesteckt wurden, andererseits, weil Universitäten und Pharmafirmen global tatsächlich zusammengearbeitet haben – dies ist ein Novum, das man gar nicht hoch genug schätzen kann.
Daraus sollten wir lernen: Die internationale Zusammenarbeit von Wissenschaftler*innen, Staaten und Firmen müsste dringend auch beim Klimaschutz Schule machen. Zentral beim Impfen ist, dass nicht nur reiche, sondern alle Länder möglichst rasch Zugang zu den Impfungen bekommen. Dies in unserem ureigensten Interesse, weil die Seuche sonst noch lange nicht aufhört und immer wieder aufpoppt.
Ich lasse mich auf jeden Fall so bald wie möglich impfen. Du auch, Pauline? Wie hast du es mit der Impfung? Es gibt ja viele Skeptiker*innen, nicht alle sind jedoch ideologische Impfgegner*innen.
Mein Haltung ist glasklar: Mit deiner Gesundheit kannst du machen, was du willst, nicht jedoch, wenn du andere gefährdest. Nein, ich bin nicht für einen Impfzwang, aber ich gehe davon aus, dass – sobald alle die Möglichkeit zur Impfung haben – ein neues Regime gelten wird. Viele Veranstaltungen oder Orte wird man ohne Impfung nicht mehr besuchen können. Denn private Veranstalter werden es sich nicht leisten wollen, wegen eines Ansteckungsvorfalls erneut schliessen zu müssen.
Was mich zurzeit jedoch echt wütend macht, ist das Gerangel um die Entschädigungen schwer getroffener Branchen. Was im Frühjahr für alle (in unserem Kanton auch jetzt noch) einigermassen zügig voran ging, löst nun auf Bundesebene epische und gleichzeitig kleinkarierte Debatten aus.
Das Problem: die Schweiz pflegt seit Jahrzehnten eine ordoliberale Finanzpolitik. Das heisst, Staatsschulden sind des Teufels. Das ist aber mehr Ideologie als praktische Realität. Seit bald zehn Jahren haben wir nämlich eine Null-, inzwischen ja sogar eine Negativzinssituation. Wenn der Staat in dieser Situation Schulden macht, dann verdient er daran.
«Die Nationalbank verdiente letztes Jahr 21 Milliarden Franken, will aber nur vier davon an Bund und Kantone ausschütten. Dabei beträgt ihr Vermögen 1000 Milliarden!»
Zurzeit ist es dennoch total crazy: An den Börsen explodieren die Aktiengewinne und die Superreichen dieser Welt haben 40% mehr Vermögen angehäuft im Krisenjahr 2020, auch in der Schweiz.
Die Nationalbank verdiente letztes Jahr 21 Milliarden Franken, will aber nur vier davon an Bund und Kantone ausschütten. Dabei beträgt ihr Vermögen 1000 Milliarden! Volksvermögen, das nun gut eingesetzt werden könnte.
Bei der Bankenkrise 2008 hat man nicht so lange herumgeredet, sondern einfach bezahlt. Die verantwortlichen Manager wurden nie zur Rechenschaft gezogen. Jetzt hat der Staat die Schliessung unzähliger Firmen verordnet, also muss er sie auch entschädigt.
Der einfachste Weg wäre, wenn die Nationalbank einen Krisenfonds von ca. 20-30 Milliarden eröffnen würde, über den die betroffenen Firmen rasch und grosszügig entschädigt werden könnten. Damit wäre auch die Gefahr gebannt, dass die Steuerzahler*innen und die Bevölkerung durch die Kürzung staatlicher Leistungen den Preis für die Pandemie bezahlen müssen.
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Die Antwort von Pauline Lutz liest du in Kürze bei Bajour.
Die Kleinunternehmerin und ehemalige Ständerätin Anita Fetz (1957) politisierte bei der SP. Pauline Lutz (2002) engagiert sich bei der Basler Klimajugend und studiert internationale Beziehungen in Genf.