Schränzen wie die Grossen
Die Jung Garde der Gugge-Mysli ist aktuell die einzige Basler Kinder- und Jugendgugge. Auf den ersten Blick sind sie einfach herzig. Und auf das erste Ohr überzeugend.
Wer an eine Gugge denkt, hat meist zwei Dinge im Kopf: Lautes Schränzen und viel Alkohol. Erstens fühlt sich manch eine Gugge von dieser vereinfachten Beschreibung wohl nicht erfasst. Und zweitens beweist die Jung Garde der Gugge-Mysli, dass das auch ganz anders geht: Sie ist die einzige Basler Kinder- und Jugendgugge. Geschränzt wird aber wie bei den Grossen.
Selbstverständlich sehen sie süss aus. Über die Köpfe der vielen Zuschauer*innen am Cortège sieht man von weitem zunächst lediglich den Tambour-Major. Und dann erst die Pauken und die Trompeten, die etwa so gross sind wie die Musikant*innen. Zumindest gefühlt. Die meisten von ihnen gehen treffgenau im Takt, manche schauen kurz nach rechts zum Nachbar oder nach links ins Publikum und dann brauchen sie einen Hüpfschritt, bis sie wieder synchron zu den Paukenschlägen marschieren.
Rafael Claude hat die Jung Garde 2018 zusammen mit seiner Partnerin gegründet. Der Wunsch dahinter: Fasnachtsnachwuchs heranziehen. Wohlgemerkt: Nicht für den Stammverein der Gugge-Mysli, sondern ganz allgemein Nachwuchsförderung. Und das scheint zu funktionieren:
Als die Gugge 2018 startete, hatten 13 Kinder Interesse. 2019 lief sie zum ersten Mal am Cortège mit – und das nach einem spektakulären Mitgliederanstieg auf 32 Personen. Dann kam Corona. Blick man heute auf die Entwicklung der Gugge zurück, kann man konstatieren: Nachhaltig geschadet hat das den Mysli nicht: Heute musizieren 41 Kinder und Jugendliche mit, die Jüngste ist 8 Jahre jung.
Ab 18 würde man eigentlich nicht mehr zu den Jungen zählen – die Mysli gewähren ihnen aber eine zweijährige Schonfrist: «18 plus 2», nennt und Tambour-Major und Obmann Rafael Claude das Konzept.
Fragt man den Nachwuchs, was der Reiz am Guggenspiel ist, kommen kurze, überzeugte Antworten:
«Weil es cool ist.»
«Weil es Spass macht.»
Für Leonie und Alima auch wichtig: Freundschaften. Auch das wohl: Wie bei den Grossen. Die beiden finden, ihre Gugge gebe «Power, Adrenalin und Vibe». Und das sind auch die Gründe, weshalb die Jungen in einer Gugge sind – und nicht in einer Clique. «In einer Gugge kann man auch viel mehr verschiedene Instrumente spielen», sagen die beiden. Dass an der Basler Fasnacht die Guggen im Vergleich zu den traditionellen Cliquen manchmal als Zweitklassgruppen gelten, wissen auch die Kinder. Der Tenor an diesem Nachmittag ist aber: Das ist uns wurst – auch wenn ein paar zugeben, dass sies schade finden.
Leonie und Alima spielen Blasinstrumente, Leonie zum Beispiel Posaune. Früher habe sie «Schlag» gespielt, aber als sie zu den Gugge-Mysli kam, hiess es: Bei uns musst du zuerst etwas anderes spielen. «Die meisten wollen Schlag spielen» – also zum Beispiel Pauke, Schlagzeug oder Snare Drum, sagt Gugge-Obmann Rafael Claude. Weil das musikalisch nicht aufgeht, hat der Schlag bei den jungen Guggemysli eine fixe Grösse – bei 15 ist das Grüppli voll, alle anderen müssen zuerst zum Beispiel mit Trompete oder Posaune Vorlieb nehmen. Leonie findet das nicht schlimm. «Dann dachte ich, gut dann lerne ich ein neues Instrument, das ist auch toll.»
Rafael Claude ist es wichtig, dass die Jungen nicht nur selber musizieren, sondern auch, dass sie selber aktiv mitgestalten. Deshalb besteht die Musikkommission zum Beispiel aus fünf Erwachsenen und zwei Kindern. Diese bringen dann Musikwünsche ein. «Kinder spielen viel lieber, wenn sie selber bestimmen können, was sie spielen», sagt Rafael Claude. Hoch im Kurs ist zum Beispiel Wings, ein Song der britischen Musikerin Birdie.
Ebenfalls beliebt: «When the Saints Go Marching In», genannt «Saints». Als sich die Mysli am Montagmittag auf dem Kasernenareal zum Apéro, Fotoshooting und Einstimmen auf den Cortège treffen, spielen sie dieses Lied als erstes – und nicht nur die Eltern und Geschwister der Kinder wippen beigeistert mit, der Song weckt auch die letzten müden Fasnachtsgeister.
Nicht, dass man den Nachwuchs überhaupt noch motivieren müsste at this point. Schon als Obmann Rafael Claude zuvor seine mächtige Larve enthüllt, kurz das Sujet anspricht und dann zum Abschluss ein dreifaches «Jung Garde» von der versammelten Schar will, antworten sie ihm laut:
Rafael: Jung
Mysli: Garde
Rafael: Jung
Mysli: Garde
Rafael: Jung
Mysli: Garde
Rafael: Danggschön!
Mysli: Bittschön!
Die Vorfreude ist bei allen zu spüren – und eine leichte Nervosität auch. Mehrmals während des Gesprächs mit der Journalistin wird Claude unterbrochen, weil jemand vergessen hat, wo sie spielen müssen. Claude verdreht dann leicht die Augen – eigentlich hätten alle den Plan – aber natürlich lässt er niemanden auflaufen und zückt wiederholt das Handy, und schaut nach.
Die Jungen reden auch beim Sujet mit. Björn Breitenstein ist 15 Jahre alt und hat das diesjährige Sujet geliefert: «Uff dr Jagd – Mir jaage no allewyyl dä, wos velicht nie gää het!» Björn erklärt: Vergangenen Herbst kursierte eine Meldung in den News: Am Berliner Stadtrand sei ein Löwe gesichtet worden. Schliesslich stellte sich heraus: Der Löwe ist ein Wildschwein. Björn fand, das eignet sich für ein Sujet. Und dieser Meinung war auch der Vorstand. «Es ist ein tolles Gefühl, das jetzt so zu sehen», sagt Björn stolz.
Und dann geht’s endlich los, auf die Cortège-Route. «Endlich eine Gugge», sagt eine Zuschauerin am Strassenrand und ihr entfährt ein «Jö» der Entzückung, das sich bei längerer Beobachtung als eine der prototypischen Reaktionen auf Mysli herausstellen wird. «Die sind ja mega klein», sagt die Frau staunend zu ihrer Begleitung.
«Mir sind nit Jö», sagt Obmann Rafael Claude dann. Zumindest nicht auf die Musik bezogen. Klar gebe es einzelne, die ab und zu «ein bisschen lüfteln», sagt er, aber das sei auch normal. Ihr Ziel ist: Nach einem Jahr Fasnacht, kann man mitmusizieren. «Die Kinder sind so motiviert, sie wollen unbedingt in dieser Gugge sein, ihr Ehrgeiz ist gross.» Rafael Claude umschreibt ihn eher mit dem Wort «Kinderbetreuung». Ja, der Vortrab schiebt Leute zur Seite und verteilt Zeedel – er kümmert sich aber auch, wenn die Kinder irgendwo anstehen und hat ein Auge auf sie in den Pausen.
Wie gehen denn die Kids damit um, wenn aus ihrer Trompete mal ein schiefer Ton kommt oder einer bei der Pauke neben den Takt haut? Die Antwort: Easy. «Einfach weitermachen.» Fehler können allen passieren, so die Devise. Deshalb fällt niemandem einen Zacken aus der Krone. «Das verunsichert uns nicht», sagen sie.
Beim ersten Halt auf der Cortège-Route zeigt sich der Obmann zufrieden. Die Challenge sei nicht das Musikalische, sagt er, sondern 41 Kinder in der Pause zu handeln. Beim Gewusel am Montagnachmittag, glaubt man ihm das sofort.
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