Woke Waggis?

Die Fasnacht sind drei Tage gelebte Gemeinsamkeit und immer auch ein politisches Brennglas. Klar ist, dass dabei auf Zeedel und Bängg nach oben getreten wird. Nicht immer jedoch ist allen klar, wer oben und wer unten ist, meint Chefredaktorin Ina Bullwinkel.

Fasnacht Wochenkommentar
Die Fasnacht hält der Gesellschaft den Spiegel vor. (Bild: Ina Bullwinkel/Collage: Bajour)

«Hier sind nur du und ich und wir sind uns einig» – mit diesen Worten beschrieb ich einmal das Gefühl, das mich am Morgestraich begleitet hat. Ein besonderer Moment, der repräsentiert, was viele mit der Fasnacht verbinden und zu begeisterten Anhänger*innen machen. Es geht um ein Freiheits- und auch um ein Sicherheitsgefühl, um Zusammenhalt und Ausgelassenheit bei gleichzeitiger Rücksicht auf die Menschen neben sich. In den Cliquen gibt es unter den Fasnächtler*innen teils jahrzehntelange Freundschaften – Vitamin B, Zusammenhalt, der auch an anderer Stelle im Leben hilft. 

An den drey scheenschte Dääg befindet sich die Stadt in einem angenehmen Ausnahmezustand. Es ist die gemeinsame lange Pause vom Hamsterrad-Alltag, alles läuft ein wenig ruhiger, Basel begibt sich für 72 Stunden in eine andere Zeitzone und drückt beim Weltgeschehen auf den Pauseknopf, um eine Nabelschau zu betreiben bei gleichzeitiger Bauchpinselei. Da kann eine Bundesratswahl auch schon mal verschlafen werden am Fasnachtsmittwoch. Die Menschen nehmen sich und die Welt an diesen Tagen nicht ganz so wichtig.

Es gab Menschen mit China-Hüten und Witze über Mustafa Aticis Akzent. Die Narrenfreiheit motiviert manche dazu, Humor auf ganz eigene Art auszulegen.

Wobei die Basler Fasnacht traditionsgemäss alles andere als unpolitisch ist. Auf den Laternen, den Zeedeln und in den Schnitzelbängg hat die Politik viel Platz und bei mancher Pointe bleibt das Lachen im Halse stecken. Auch vor düsteren Sujets schrecken die Cliquen nicht zurück. Das Thema Tod war in diesem Jahr dominant vertreten, Trump und Musk bekamen ihr Fett weg, der Rechtsruck in Europa und auch Femizide wurden angeprangert. Es gab aber auch Menschen mit China-Hüten und Witze über Mustafa Aticis Akzent (hier ab Min. 3:40). Die Narrenfreiheit motiviert manche dazu, Humor auf ganz eigene, sagen wir unsensible, Art auszulegen.

Das Motto «Syg wie de wottsch» spielt in diesem Jahr auf die Selbstbestimmung des Menschen, Diversität und das Thema Gender an, ein wokes Motto, wenn man so will. Das stiess nicht bei allen auf Gegenliebe. Die Fasnacht ist ein Brennglas der Gesellschaft. 

Woke Fasnacht Kritik Zensur
Kritik am Comité für den Verhaltenskodex als Väärs. (Bild: Jan Soder)

«Rassismus, Ausländerfeindlichkeit, Sexismus, Beschimpfungen und Beleidigungen, Herabwürdigung Andersdenkender und Andersfühlender sowie alle anderen Formen von diskriminierendem Verhalten entsprechen nicht dem Geist der Basler Fasnacht – sich anständig und gesetzeskonform zu verhalten, hingegen schon», diese Verhaltensregeln sind seit gut einem Jahr auf der Seite des Fasnachts-Comités verewigt. Auch das gefällt nicht allen. Denn wo hört der Witz auf und fängt die Meinungsfreiheit an? Die grossen Fragen. Oder wie eine Clique an ihrem Wagen deutlich macht: «S Comité het uns s Sujet vrbotte und wott mit em Vrhaltenskodex grytischi Stimme stoppe.»

«E radikali Minderhait wott bestimme was me sait. Si dien, als gieng s um Toleranz und zelebriere d Militanz», heisst es auf dem Zeedel einer anderen Gruppe Fasnächtler*innen, auf dem sie gegen vermeintlich Wokes austeilen und abwertende Zuschreibungen benutzen. Ein Mitglied der Clique trug am Cortège ein Schild mit dem N-Wort, daneben hing eine Schwarze Babypuppe. Nur du und ich und ein bisschen Rassismus.

Es sind die grossen Themen, die die Fasnacht ausmachen, und der richtige, humoristisch geeichte Kompass. Nach oben zu treten und der Politik auf die Finger zu schauen – das macht die Fasnacht aus.

Dabei ist «Syg wie de wottsch» eigentlich das perfekte Fasnachtsmotto. Alle sollen respektiert werden, wie sie sind. Dass manche sich empören, weil diskriminierende Darstellungen nicht darunter fallen, ist glücklicherweise die Ausnahme. Aber wir dürfen nicht so tun, als gäbe es nichts zu tun. «Woke» wird nicht umsonst von rechten Politiker*innen als Schimpfwort benutzt. Der Sinn dahinter wird verdreht: Minderheiten zu schützen wird verstanden als «Wir dürfen nichts mehr sagen».

Der Blick in die USA zeigt dieser Tage, wie schnell die vermeintliche Unterdrückung der liberalen Errungenschaft der Meinungsfreiheit zur Legitimierung autoritärer Politik missbraucht wird. Es sind die grossen Themen, die die Fasnacht ausmachen, und der richtige, humoristisch geeichte Kompass. Nach oben zu treten und der Politik auf die Finger zu schauen – dafür steht die Fasnacht. Nach unten zu treten, macht keinen Spass.

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Kommentare

Daniel
14. März 2025 um 07:40

Nicht verstanden

Da hat Bajour das Motto dieser Fasnacht nicht verstanden: Es hiess: „Syg wie de wottsch“, nicht „Sy wie de sottsch“. Auch ich habe nicht über jeden Vers gelacht, aber deswegen die Moralkeule zu Schwingen könnte unfasnachtlicher nicht sein. Wer ausserhalb der eigenen (Campus)!Bubble tritt, begegnet auch Ungewolltes, vielleicht sogar Schlechtes. Ich empfehle längst vergessene Qualitäten wie auch mal etwas aushalten zu können. Wer von der Fasnacht verlangt, nach eigenen Wertmassstäben „Woke“ zu sein, sollte vielleicht selber mal in sich gehen bevor er oder sie in die Tasten greift.

Volker Racho
14. März 2025 um 08:20

"Syg wie de wottsch" - und manche sind halt respektlose Egoisten. Die Frage ist nun, ob auch die sein dürfen, wie sie wollen? Oder soll man denen das "sein" verbieten? Doch kann man dann noch das Motto "Syg wie de wottsch" haben?

A
14. März 2025 um 10:31

Anti-Wokismus

2/ Ausländische Reisende werden trotz gültigem Visa oder gar Green Card bei der Einreise illegal festgehalten und verschwinden für Tage, ohne dass jemand informiert wird, wo sie sich aufhalten. Etc. etc. Auf diese Weise entlarvt sich der Anti-Wokismus, sobald seine Vertreter an der Macht sich. Und nein, Diskriminierung oder Belästigung und sexualisierte Gewalt haben keine Toleranz verdient. Auch nicht an der geliebten Fasnacht.

A
14. März 2025 um 10:30

Anti-Wokismus

Was die Anti-Woke-Schreier mit Meinungs- und Redefreiheit wirklich meinen, können wir derzeit eins zu eins in den USA verfolgen. Programme, die sich mit Diversity, Inklusion und Gleichberechtigung auseinandersetzen werden gestrichen. In der Armee darf nur noch über die «Heldentaten» weisser Männer gelehrt werden, Frauen und POC im WW2 dürfen nicht mehr erwähnt werden. Über die Klimaerwärmung darf nicht mehr informiert werden. Worte wie rassistisch, Frauen, Indigene, Klimakrise, soziale Gerechtigkeit und mindestens 195 weitere dürfen auf offiziellen Dokumenten nicht mehr verwendet werden. Bücher, die Kinder und Jugendliche über Geschlecht, Sex und ebenso sexualisierte Gewalt aufklären sollen, werden verboten, Fachkräfte, die trotzdem aufklären, werden sanktioniert. Ausländischen Studierenden, die sich politisch äussern, wird von ihren Unis geraten, den Mund zu halten, weil «niemand sie schützen könne». 1/