Diese Zwischennutzungen haben Basel geprägt

Kulturinteressierte dürfen gespannt sein: In der Steinenvorstadt entsteht eine neue Zwischennutzung im ehemaligen Pathé-Cinema Küchlin. Grund genug, einen Blick zurück auf die Freiraumgeschichte Basels zu werfen.

Küchlin
Raum für Neues: Vielleicht wird in diesem Kinosaal bald getanzt? (Bild: Wir vor Ort GmbH)

In der Geschichte der Basler Zwischennutzungen tut sich ein neues Kapitel auf: Das seit dem Sommer leerstehende Kino Pathe Küchlin wird ab Dezember als «Saal 1» zwischengenutzt. Angedacht ist ein Mix aus Comedy, Theater, Musik- und Tanzveranstaltungen, aber auch Diskussionen und Kino soll es gemäss Medienmitteilung geben.

Was dabei herauskommt, wird sich erst noch zeigen. Bis es so weit ist, ein Blick zurück auf fünf prägende Basler Zwischennutzungen, von Aufschrei über Inspiration bis Liebeserklärung. 

Alte Stadtgärtnerei

Die «Mutter aller Zwischennutzungen»: Zwei Jahre, von 1986–1988, war die Alte Stadtgärtnerei ein autonomer Freiraum mit Konzerten, Kinoabenden und Theateraufführungen. Für knapp ein Jahr war die Zwischennutzung durch den Regierungsrat bewilligt, danach wurde das Areal kurzerhand für etwa ein weiteres Jahr besetzt.

Die Stadt wollte dort eigentlich den heutigen St. Johannspark anlegen, per Initiative versuchte die «Interessensgemeinschaft Alte Stadtgärtnerei» diese Pläne zu verhindern. Bei der Volksabstimmung 1988 scheiterte sie aber, und das Gelände wurde am 21. Juni 1988 durch die Polizei gestürmt und geräumt, worauf am gleichen Tag noch 2000 Personen in der Innenstadt dagegen protestierten.

Das Ende der «Stadtzgi» war ein Wendepunkt in der Geschichte der Basler Besetzungen, weil es mit dem Stimmvolksentscheid einen Wandel im Verständnis solcher Räume anstiess: weg von politisch-kämpferischer Eroberung und Protest hin zum Einsatz für experimentell-alternative Frei(zeit)räume und vertraglich geregelten Zwischennutzungen.

Jugendliche in der Alten Stadtgaertnerei ASG in Basel, aufgenommen am 22. Mai 1988. (KEYSTONE/Jaques Gardin)
Chillen in der Alten Stadtgärtnerei anno 1988 (Bild: KEYSTONE / JAQUES GARDIN)

Garage Schlotterbeck, 1990–1993

So eine vertraglich geregelte Zwischennutzung war die Garage Schlotterbeck: 60 Jahre lang wurden in der Grossgarage Schlotterbeck an der Viaduktstrasse, unweit des Basel SBB, Autos geflickt und Automobilist*innen empfangen, dann übernahm die Schweizerische Volksbank das Areal und plante eine neue Überbauung. Bis zum geplanten Abbruch 1993 schrieb die Volksbank die Gewerberäume in einer Zeitungsannonce aus und «das Raumschiff Schlotterbeck», wie es die Tageswoche in einem Rückblick 2015 nannte, «hob ab». 

Es war ein dreijähriges Experiment, das zeigte, wie durch Zwischennutzungen Kreatives entstehen kann. Kunstschaffende und Handwerker*innen richteten ihre Ateliers, Werk- und Ausstellungsräume ein, bis das Gebäude schliesslich 1993 abgerissen wurde.

Die Fahrrampe in Form einer Doppelspirale im Schlotterbeckgebaeude in Basel, aufgenommen am 12. Januar 1994. (KEYSTONE/Michael Kupferschmidt)
Die Auffahrtsrampe in der Garage Schlotterbeck, aufgenommen im Januar 1994. (Bild: KEYSTONE / MICHAEL KUPFERSCHMIDT)

nt/Areal, 2000–2011

Früher ein Güterbahnhof der Deutschen Bahn, heute neues Stadtquartier mit Wohnüberbauungen, dazwischen: Freiraum. Gefühlt eine ganze Generation zog es zwischen 2000* und 2011 aufs «nt», wo Partys gefeiert und Konzerte gespielt wurden – bis in die frühen Morgenstunden. Zwar war die Nutzung des «nt/Areals» per Mietvertrag geregelt, verwaltet wurde es allerdings über Jahre autonom ohne staatliches Zutun. Und dies mit hoher Anziehungskraft und irgendwann auch Sprengpotenzial. 

Nachdem die ersten Mieter*innen Ende der 2000er-Jahre in die neu gebauten Wohnblocks zogen, kam es zu Konflikten wegen Lärm und Abfall. Mehrfach wurde eine letzte legendäre Partynacht angekündigt, definitiv Schluss war dann 2011. «Für viele war das lange Zeit ein Ort, wo die Stadt atmen kann», zitiert 20 Minuten den Kurator Benedikt Wyss, der sich selbst zur «Generation nt-Areal» zählt.

Nt_areal_Basel
Im Taumel der Nacht auf dem nt-Areal (Bild: Wikipedia/Tschoggi CC-by-sa 3.0)

Klybeckquai, 2011–heute

Eine bewegte Vergangenheit hat auch das Klybeckquai. Angefangen hat alles mit Zwischennutzungsprojekten ab 2011 wie der Marina-Hafenbar und der Besetzung «Wagenplatz» ab 2013, für dessen Erhalt Hunderte auf die Strassen gingen. Entstanden ist ein Dorf in der Stadt, ein Ort, wo Jugend auf Hippies auf Biker auf Partyvolk trifft. 

«Der Wagenplatz ist der letzte Ort in Basel, den wir nach unseren Vorstellungen gestalten können, der allen Leuten frei zugänglich ist», zitiert die Tageswoche eine Studentin im März 2014. Drei Monate später wurde ein grosser Teil des Wagenplatzes durch die Polizei geräumt, ein kleinerer Teil bleibt bis heute geduldet. Heute ist das Areal rund um die Uferstrasse im Hafen zum «Sehnsuchtsort» (Zitat bz) geworden und sogar Easyjet preist den «Holzpark Klybeck» mit dem roten Leuchtturmschiff Gannet als «cultural centre» an.

Impression vom Wagenplatz an der Uferstrasse in Basel am Montag, 31. Maerz 2014. Gegen den Plan, dass der Wagenplatz Fussballfeldern weichen soll, regt sich Widerstand. Rund 150 Menschen hatten am Sonntagnachmittag in Basel fuer den Erhalt des Wagenplatzes demonstriert. (KEYSTONE/Georgios Kefalas)
Blick auf den Wagenplatz im März 2014. (Bild: KEYSTONE / GEORGIOS KEFALAS)

Lido, 2021–2023

«Fernweh ade», damit warb die Zwischennutzung «Lido», die erst kürzlich auf dem Lysbüchelareal zu Ende ging. Seit 2021 bot es dem neu gewachsenen Lysbüchelquartier Raum für Sport, Kulinarik, Jugendkultur, Familien- und Nachtleben gleichzeitig, von Beachvolleyball und Padel zu Pizza und Drinks. Mitte Oktober lief der Vertrag der Zwischennutzer*innen mit der Eigentümerin SBB aus, die an dem Ort ab nächstem Jahr im Rahmen der Arealentwicklung «VoltaNord» Wohnungen bauen will. 

Dass das Lido dem Quartier und Basel einen willkommenen Freiraum bot, erkennt man auch an den wehmütigen Stimmen der Besucher*innen, die das Lido Mitte Oktober an einer Abschlussparty verabschiedeten: «Nichts vergleichbares» gebe es in der Stadt, sagt ein Besucher gegenüber SRF. Und Till Schmidlin, einer der Mitverantwortlichen des Lido, zog seine Bilanz so: «Wenn alles vollgebaut ist, wird eine Lücke entstehen.»

Lido Basel
(Bild: Facebook)

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*In einer früheren Version stand hier eine falsche Jahreszahl.

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Nach einem Masterstudium in Geisteswissenschaften und verschiedenen Wissenschafts- und Kommunikations-Jobs ist Michelle bei Bajour im Journalismus angekommen: Zuerst als Praktikantin, dann als erste Bajour-Trainee (whoop whoop!) und heute als Junior-Redaktorin schreibt sie Porträts mit viel Gespür für ihr Gegenüber und Reportagen – vorzugsweise von Demos und aus den Quartieren. Michelle hat das Basler Gewerbe im Blick und vergräbt sich auch gern mal in grössere Recherchen. 


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