DJ Halligalli der Herzen
Acht Frauen um die 40, zwei Flaschen Prosecco und ich: Kann ich so zum DJ-Antoine-Fan werden?
Ich geb's zu: Ich konnte DJ Antoine noch nie ernst nehmen. Seine Musik fand ich eintönig, ihn selbst anstrengend. Auf Instagram folgte ich ihm trotzdem – ironisch natürlich – und sah mit voyeuristischem Befremden zu, wie er so Faxen machte wie seinen Pool mit Champagner zu füllen. DJ Grosskotz, DJ Halligalli, DJ Antoine. So dachte ich.
Jetzt stehe ich mit kühlem Prosecco in einer gepflegten Einzimmerwohnung im Kleinbasel und bin unsicher. Eigentlich wollte ich mit DJ-Antoine-Fans an sein Konzert am ImFluss um zu verstehen, was den Halligalli zum Superstar macht.
Einen ersten Eindruck seines Rufes kriegte ich in der «Gärngschee»-Facebookgruppe:
Ich melde mich bei Julie, der Frau mit den zehn Freundinnen. Sie lädt mich zum Apèro am Nachmittag bei sich ein. Jetzt stehe ich also hier mit meinem Prosecco, meinen süffisanten Absichten und meiner vorgefertigten Meinung – und kriege gleich einen Reality Check verpasst.
Julie, die sonnengebräunte Gastgeberin, trägt eine weisse Strickjacke und reicht selbstgemachte Zigarren-Börek. Auf die Frage nach ihrem Bezug zu DJ Antoine, antwortet sie mit einer bewegenden Geschichte: Als sie noch in Norddeutschland lebte, erkrankte eine Freundin an einem Tumor und Julie begleitete sie in den Tod. Die Freundin liebte DJ Antoines Musik und spielte seine Hits «Ma Chérie» und «Welcome to St. Tropez» in Dauerschleife. Sein Konzert war das letzte, das sie vor ihrem Tod besucht hatte.
Soviel zu DJ Halligalli.
Barbara trägt passend zum Floss-Motto einen blauweissen Matrosenlook und lederne Stiefel. Ihr Bezug zum 46-Jährigen Musiker ist zu meiner Erleichterung weniger emotional. Er gab den Gastgeber bei einem Event im Kleinbasler Traditionslokal Klingeli, da lernte sie ihn persönlich kennen. Es sei «sehr sympathisch» gewesen, wie er alle Gäste begrüsst habe. Barbara sagt:
«Als Entertainer und Mensch ist er top.»
Und seine Musik?
«Die ist Geschmackssache. Also mir gefällt's. Was DJ Bobo für Kinder ist, ist DJ Antoine für Erwachsene.»
So habe ich das noch nie gesehen. Sowieso frage ich mich inzwischen: Warum verdamme ich einen DJ, den ich nur vom Champagnerpool auf Instagram kenne? Die Antwort fällt mir nicht leicht einzugestehen: Aus purer Überheblichkeit.
Julie und Barbara haben dieses Problem nicht. Der Prosecco fliesst und unser Gespräch gleitet ab. An ihre Begeisterung für DJ Antoine komm ich nicht näher ran. Stattdessen beschleicht mich langsam die Ahnung: Reden hilft bei DJ Antoine nicht weiter. Eigentlich hatte es Barbara schon in ihrem Kommentar auf den Bajour-Aufruf geschrieben: Muesch halt go luege, denn weisch es.
Mich beschleicht langsam die Ahnung: Reden hilft bei DJ Antoine nicht weiter.
Kurz nach 18 Uhr brechen wir auf, spazieren zum Rheinbord und sammeln unterwegs weitere Freundinnen ein: Acht Frauen um die 40, zwei Flaschen Prosecco und ich. Kann ich so zum DJ-Antoine-Fan werden?
Am Rheinbord besetzen wir den perfekten Platz: freie Sicht auf Münster, Mittlere Brücke und Floss. Noch sind kaum Leute da und die Angst, der Auftritt des weltbekannten Lokal-DJs werde Scharen von unmaskierten Fans anziehen, scheint unbegründet. Barbara, die zwar von sich sagt, sie sei gesichtsblind, schwirrt herum und grüsst Bekannte. Julie, immer noch ganz die Gastgeberin, breitet Decken aus und verteilt Prosecco-Gläser. Der Rhein umspült die Flossbühne, die Abendsonne prallt auf unsere Köpfe und die Schutzmasken sind zwar griffbereit, aber noch nicht übergezogen. Mit den Masken habe sie kein Problem, sagt Barbara. Sie sei einfach froh, noch einen Job zu haben. Dann erkennen wir in einem Fenster im Hotel Krafft: ihn. Wir winken sofort, doch er verschwindet wieder.
Um 20 Uhr geht die Sonne hinter dem «Trois Rois» unter. Jugendliche in Trainerhosen stossen mit Shots aus Glasfläschchen an. Wir Junggebliebenen tanken weiter Prosecco. Dann steigen die Organisatoren von «Im Fluss» in einen Weidling und setzen zur Bühne über für eine Durchsage: «Leeged dr Schnuderlumpe uf d' Naase!» Wer noch nicht hat, der tut's jetzt. Der Platz ist knapp, alle rücken zusammen und ich bin inzwischen durchlässig wie ein Sieb.
Jemand brüllt durchs Mikrofon: «Basel, are you readyyyyyy?»
Es ist er. Antoine Konrad, ganz in schwarz, schwebt über den Rhein. Smartphones flackern, er steigt ans Pult, drückt einen Knopf, der Beat haut rein. Alle springen in die Höhe und ich hab nur einen Gedanken:
Freude, schöner Götterfunken
Bei DJ Antoine heisst das: «Welcome to St. Tropez», «Ma Chérie», «Kiss Me Hard».
Die nächsten 90 Minuten sind nur Tempo, nur Hits, nur Party. Die Bässe pumpen pausenlos und Barbara tanzt als gäb's kein Morgen. In mich sickert die Erkenntnis: Alles, alles an DJ Antoine zielt auf Überwältigung.
Seine Musik ist eine Kirche und er predigt Party. Er streckt die Arme, kitzelt die Luft, springt wie ein Bolzen im Getriebe. Hochwürden Konrad.
Seine Musik ist eine Kirche und er predigt Party. Er streckt die Arme, kitzelt die Luft, springt wie ein Bolzen im Getriebe. Hochwürden Konrad. Seine Psalme lauten: «Party hardy», «Wo bisch, Baasel?» und «Can you feel it?» Seine Gemeinde kann's, meine Begleiterinnen auch und ich hab’s endlich begriffen.
Macht man sich für einmal frei von Geschmack, Moral und Getue, hört man diesen Klängen ganz unvoreingenommen zu. Dann bleibt einem nichts Anderes übrig, als zu verstehen: Ob Beethoven oder DJ Antoine – alles ist eine Harmonie.
Nach dem Konzert steht DJ Antoine über eine Stunde lang in der Menge und macht Selfies mit seinen Fans. Seine Maske ist transparent und er kann durch sie hindurch lächeln. Barbara ist längst in die Nacht verschwunden, aber Julie und eine Freundin haben sich bis zum ihm durchgedrängt.
Musik zielt nur auf eins: Gefühl. Ob du in Ergriffenheit im Stadtcasino im Sitz versinkst oder dir am Rheinbord tanzend das Hirn wegballern lässt. Die Mittel mögen sich unterscheiden, am Ende läuft’s auf dasselbe hinaus. Musik will im Innersten berühren. Ob du es zulässt, liegt an dir. Ma Chérie.