Einblick in die koloniale Phase des Basler Tiergartens

Der Zolli Basel wurde vor 150 Jahren eröffnet. Erst die koloniale Expansion europäischer Weltmächte brachte Elefanten und Giraffen nach Basel. Und auch rassistische Völkerschauen wurden hier abgehalten.

das Elefantenhaus im Zoologischen Garten Basel, aufgenommen am 28. Juli 1902. (KEYSTONE/PHOTOPRESS-ARCHIV/Str)
Das Elefantenhaus im Jahr 1901. Der erste Elefant kam 1886 nach Basel, zwölf Jahre nach Eröffnung des Zoos. (Quelle: Keystone)

Basel konnte sich 1874 – vor 150 Jahren – rühmen, den ersten Zoo der Schweiz zu haben. Noch bevor Basel seinen «Zolli» erhielt, waren andernorts in städtischen Zentren Europas zoologische Gärten eingerichtet worden, in Berlin etwa bereits 1844.

Die Gründung des Basler Zolli beruhte, allgemein gesprochen, auf einer Kombination von Voraussetzungen: auf transnationalen Ideen und Moden, auf lokalen Bedürfnissen und im Basler Fall auf der Möglichkeit, einen Tiergarten ausserhalb der kürzlich abgerissenen Stadtmauern einzurichten. Die Stadt stellte ausserhalb der Steinenvorstadt entlang des Birsigs ein Grundstück von 4,5 Hektaren zur Verfügung. 

Am Anfang der Geschichte des Zolli steht kein namentlich bekannter Gründungsvater, sondern die Ornithologische Gesellschaft Basel, eine bürgerliche Gruppierung, die sich für die Vogelwelt interessierte. Sie ging davon aus, dass die städtische Bevölkerung «den Sinn für das freie Aufathmen in Gottes schöner Natur» verloren habe. Sie sei von der Fabrikarbeit derart erschöpft, «dass feiertägliche Ausflüge in noch nicht von der Kultur ernüchterter, freie Natur dem grössten Theil der Stadtbewohner fremd geworden sind». 

Im Gleichschritt mit der kolonialen Expansion derweiterten die zoologischen Gärten ihre Präsentationen und entsprachen damit dem gesteigerten Bedürfnis nach direkter Begegnung mit exotischer Tierwelt. 

Der Verlust der naturverbundenen Vergangenheit sollte wenigstens partiell – an Sonntagen! – und mit auf Stunden beschränkter Rückkehr ausgeglichen werden. Dabei wurde das Verhältnis zur Natur ein anderes: Es beruhte nicht mehr auf ganzheitlicher Einbettung in natürlicher Umwelt, es beschränkte sich auf Erbauungsbesuche in einem inszenierten Park und es bot und versprach kompensatorische Begegnungen mit einer verloren gegangenen Welt.

Das Angebot funktionierte. Im ersten Jahr war das Interesse besonders gross: Bei einer Stadtbevölkerung von 50'000 Menschen verzeichnete man 60'000 kostenpflichtige Eintritte (Erwachsene 50 Rappen, Kinder 25 Rappen). Im Zolli wurden den Tieren vermeintlich passende «Wohnungen» zur Verfügung gestellt, den Hirschen ein an Jagdschlösschen erinnerndes Gebäude, dem Bergwild ein «romantisches Felsgebirge». 

Gezeigt wurden noch nicht Löwen und Elefanten, sondern einheimische Tiere der näheren Umgebung und der Alpenwelt: Hirsche, Gämsen, Rehe, Steinböcke und so weiter. Eine Population, wie sie alles in allem der aus ähnlichem Antrieb bereits 1871 geschaffene Tierpark Lange Erlen noch heute beherbergt.

Im Bann des Orientalismus

Ein zum 150-jährigen Jubiläum eben herausgekommener prächtiger Fotoband von Jennifer Degen und Lukas Meili zeigt auf der einen Seite, was im heutigen Zolli zu sehen ist und welches Verständnis dem aktuellen Betrieb zugrunde liegt. Er beleuchtet aber auch den Wandel, den die Institution im Lauf der anderthalb Jahrhunderte durchgemacht hat, und verschweigt nicht, dass es darin auch Vorkommnisse gab, die heute kritisch beurteilt werden. 

Eindrücklich ist der Wechsel in der Auswahl der gezeigten Tiere. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts genügten die Tiere der unmittelbaren Nachbarschaft und der Alpenwelt nicht mehr, jetzt mussten Tiere aus dem aussereuropäischen Raum gezeigt werden: Löwen, Elefanten, Giraffen. Im Gleichschritt mit der kolonialen Expansion der europäischen Mächte erweiterten die zoologischen Gärten (und übrigens auch die Zirkusprogramme) ihre Präsentationen und entsprachen damit dem gesteigerten Bedürfnis nach direkter Begegnung mit exotischer Tierwelt. 

Die Geschichte des Basler Zolli lässt sich, wenigstens teilweise, entlang der Anschaffungen aussereuropäischer Tiere und auf sie ausgerichtete Gehege aufzeichnen. 1886 war der erste Elefant zu besichtigen, 1890 erstmals ein Löwenpaar. Das Elefantenweibchen kam als Geschenk der Privatgelehrten Paul und Fritz Sarasin nach Basel. Die Forscher hatten ihn auf einer Expedition in die britische Kolonie Ceylon (dem heutigen Sri Lanka) gefangen. Weitere Güter, die sie auf aus Ceylon nach Basel brachten, wurden in Basler Museen ausgestellt und werden in Kürze an die indigene Minderheit der Veddah zurückgegeben.

Das als «Miss Kumbuk» präsentierte Elefantenweibchen entwickelte sich nach seiner Ankunft schnell zur grössten Publikumsattraktion. 1891 wurde für das Tier ein von Robert Tschaggeny im orientalischen Stil entworfener Elefantentempel gebaut. Und 1892 erschien ein mit Zeichnungen und Reimen ausgestattetes Kumbuk-Kinderbuch, das für einen Franken bei der Direktion erworben werden konnte.

Plakat um 1900 von Emil Beurmann: Elefant Miss Kumbuk Zolli Zoo Basel
Ein Plakat wirbt mit Kumbuk. (Quelle: Emil Beurmann/Wikicommons)

1904 folgte die Einweihung des ersten Raubtierhauses, 1910 die Einweihung des vom renommierten Architekten Fritz Stehlin entworfenen, heute als Kulturdenkmal eingestuften Antilopenhauses. In diesem Fall war die «Thierwohnung» schneller erbaut als die ihr zugedachten Hauptbewohner beschafft werden konnten. Die beiden dafür vorgesehenen Giraffen, heisst es in einem Bericht, starben noch bevor sie ihre Reise nach Basel antraten. Ein Ersatz – zwei Giraffenbullen aus Tansania – traf erst 1912 ein. 

Stattdessen erhielten andere Tiere in dem neuen Haus sogleich ihr Quartier: der erste, seit 1900 in Basel gehaltene, Menschenaffe, das Orang-Utan-Weibchen Kitty, sowie Strausse und sieben Antilopenarten. Hier wurde später auch das viel beachtete Okapi untergebracht, dass man 1955 aus Belgisch-Kongo (heute: Demopkratische Republik Kongo) importierte.  

Der Basler Zolli bezog Tiere bei einem schweizerischen Grosswildhändler, der sich von den Briten eine Lizenz für ganz Tansania und logistische Unterstützung für seine Fangvorhaben hatte geben lassen.

Diesen Anschaffungen lag eine für den europäischen Imperialismus typische Haltung zugrunde, die darauf bedacht war, die Welt zu erschliessen und sich anzueignen. Das eben erschienene Jubiläumsbuch gibt dazu aufschlussreiche Einblicke in die Beschaffung des Ausstellungsguts und verhehlt nicht, dass es dabei auch zu enger Kooperation mit der belgischen und der britischen Kolonialmacht kam. Der Basler Zolli bezog Tiere bei einem schweizerischen Grosswildhändler, der sich von den Briten eine Lizenz für ganz Tansania und logistische Unterstützung für seine Fangvorhaben hatte geben lassen. 

Bis Mitte des 20. Jahrhundert, hält der Jubiläumsband fest, überlebten manche Tiere den Transport aus ihren Herkunftsgebieten nicht; 1947 etwa starben aus einer Basler Grossbestellung eine Giraffe, einen Gepard und ein Zebra, wie es hiess, «in Folge unsachgemässen Transports». Es folgten während fast zwei Jahrzehnten Tierfangaktionen, die vom Zolli in Eigenregie durchgeführt wurden, mitunter persönlich geleitet vom Zolli-Direktor, der sich auf diesen längeren Reisen von seiner Frau begleiten liess. 

Eine erste Aktion erbrachte zwei Giraffen, einen Leoparden, einen Gepard, über 200 Vögel und diverse andere Kleintiere. Von der 1952 durchgeführten Expedition heisst es, sie sei mit fünf jungen Elefanten «im Gepäck» nach Basel aus Tansania heimgekehrt und von einer begeisterten Menge empfangen worden. Die lokalen Medien berichteten jeweils gerne über die Expeditionen und ihre Erträge.

Die Gorilladame Achilla mit ihrem in diesem Jahr geborenen Sohn Jambo, aufgenommen im Basler Zoo im Jahr 1961. (KEYSTONE/Str)
Später wurden Tiere im Zolli gezüchtet. Die Gorilladame Achilla brachte Sambo 1961 zur Welt, zwei Jahre nach der europaweit ersten Gorilla-Geburt. (Quelle: Keystone)

Auf die Anschaffungspremieren der Frühzeit folgten in der Zolli-Geschichte die Zuchtpremieren. So konnte 1960 die erste Okapi-Geburt gefeiert werden, 1956 die weltweit erste und als «Weltsensation» eingestufte Zoo-Geburt eines Panzernashorns und 1959 die europaweit erste Gorilla-Geburt. Wesentlich weiter zurück, bereits 1891, lag die erste Hausgeburt eines Löwen. Zu den Giraffengeburten konnten offenbar keine besonderen Premieren verzeichnet werden, hingegen wurde als Superlativ hervorgehoben, dass seit 1952 rund 50 Giraffen in Basel zur Welt kamen.

Basler Menschen-Zoo

Sowohl in Basel als auch an anderen Orten beschränkten sich die Ausstellungen nicht auf die Tierwelt. In den Jahren 1879 bis 1935 waren in temporären Sonderangeboten auch Menschen aus «naturnahen» Zivilisationen zu besichtigen, wie in der vom bekannten Hamburger Unternehmer Carl Hagenbeck vermittelten und 1879 in Basel gezeigten «Nubier Caravane», die aus 15 Männern aus Ägypten, aus Elefanten, Giraffen und Zebras bestand. 

Diese Schau brachte während ihrer zwölftägigen Laufzeit 15'000 Menschen in den Zolli, was ein Fünftel sämtlicher Eintritte des Jahres ausmachte. Inserate versprachen Wissensvermittlung, ethnografische Aufklärung über fremde Sitten. In sich wiederholenden Vorführungen wurden Tänze und Kämpfe inszeniert, religiöse Rituale zelebriert und einfache Handarbeiten gezeigt. 

Die Darbietungen bedienten auch die Sensationslust und gaben dem einheimischen Publikum Gelegenheit, sich gegenüber «Wilden» überlegen zu fühlen, was auch einer indirekten Rechtfertigung des europäischen Kolonialismus gleichkam. 

Die sogenannten Völkerschauen werden zutreffend als Ausdruck eines rassistischen Weltbilds bezeichnet.

Auf die erfolgreiche Premiere folgten in kurzen Intervallen weitere Gastspiele dieser Art. Für die Höhepunkte in den Anfangsjahren sorgten 1880 eine Nilpferdausstellung und das Gastspiel einer Nubier-Karawane, 1883 eine Samojeder-Karawane, 1885 die Umgestaltung der Festmatte in einen Platz für Völkerschauen, 1886 das Gastspiel einer singhalesischen Gruppe mit zwölf asiatischen Elefanten, 1888 die Ausstellung eines Wal-Skeletts, 1889 die Somali-Truppe «Wild Afrika», 1894 das Gastspiel einer Dinka-Karawane, 1896 die Zurschaustellung eines jungen Nilpferdes aus dem Tierpark Hagenbeck und 1899 die Vorstellungen einer Gruppe von Mahdi-Kriegern.

Die sogenannten Völkerschauen wurden bis 1935 weitergeführt und werden im Jubiläumsbuch zutreffend als Ausdruck eines rassistischen Weltbildes bezeichnet. Diese Beurteilung entspricht der heute vorherrschenden Sensibilität. Eine Lizentiatsarbeit des Historischen Seminars der Universität Basel hat bereits 1991 diesem heute skandalös erscheinenden Phänomen eine eingehende Untersuchung gewidmet.

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