Gassenküche für Bedürftige: «Wir entscheiden jeden Tag neu»

Wo kann man in Basel essen, wenn das Geld wirklich nicht reicht? Hier gibt's Tipps - und einen Besuch bei der Gassenküche am Lindenberg.

Gassenküche
Geduldiges Warten vor der Gassenküche am Lindenberg. (Foto: Serge Policky)

Die Gassenküche am Lindenberg in Kleinbasel ist gut organisiert. Einfache Kreidestriche auf dem Trottoir markieren den Abstand, den man einhalten muss. Die Gäste müssen draussen warten und einen Sicherheitsabstand wahren, bis ein Sitzplatz im Speisesaal frei wird. Vor der Küche ist das Hände desinfizieren obligatorisch; das Personal trägt Gummihandschuhe. Pro Tisch sind drei Personen zugelassen, alle anderen müssen sich gedulden, bis sie ihr Essen holen dürfen.

Doch damit könnte bald Schluss sein: «Sollte wegen der Corona-Bedrohung eine Ausgangssperre verhängt werden, müssen wir die Essensportionen über die Gasse abgeben», sagt Eva vom Team Gassenküche. «An eine Schliessung will niemand denken, obwohl andere Institutionen in Basel ihre Türen bereits nicht mehr oder nur sehr beschränkt öffnen.» Keiner traut sich abzuschätzen, wie sich die kommenden Tage entwickeln werden. «Wir entscheiden jeden Tag neu", so Eva.

«Für viele ist die Gassenküche wie ein Stammtisch. Hier findet täglich unser soziales Leben statt», sagt ein pensionierter Sozialarbeiter. Das ist nun vorbei. Ein wichtiger Halt im Tagesablauf fehlt.

«Für viele ist die Gassenküche wie ein Stammtisch. Hier findet täglich unser soziales Leben statt»
Pensionierter Sozialarbeiter, Nutzer der Gassenküche

Die kurzen Gespräche beim Warten vor der Türe verkümmern zum Small Talk. Alle warten auf Einlass, um möglichst schnell an eine warme Mahlzeit zu gelangen. Viele verlassen den Speisesaal nach wenigen Minuten wieder, zünden sich eine Zigarette an und ziehen via Rhein- und Utengasse weiter. Oft wieder zurück in die Einsamkeit, aus der sie gekommen sind. Viele treibt es vor den Fernseher, der zum «meilleur ami» – zum besten Freund – geworden ist, wie eine Mittfünfzigerin aus Paris mit Tränen in den Augen berichtet.  

E.M. ist 54 Jahre alt und läuft an Krücken. Er spürt die einschneidenden Sicherheitsmassnahmen besonders stark: «Meine Mutter ist kürzlich gestorben, meine Freundin hat mich verlassen, ich bin krank und brauche mehrere Operationen.» Wie viele andere Besucher der Gassenküche ist E.M. emotional am Anschlag. Er und viele andere befürchten, dass sie ihren einzigen Halt im Leben verlieren – ein klein wenig Sozialleben.

Platz für die wirklich Bedürftigen

«Einige reagieren mit Panik, andere rufen populistische Parolen durch den Saal,» weiss Markus, der dank psychiatrischer Behandlung eine schwere Psychose überwunden hat. Als IV-Bezüger kommt er gerne in die Gassenküche. Das will er ab jetzt ändern. «Ich kann mich selber versorgen, deshalb überlasse ich in dieser schwierigen Zeit meinen Platz den wirklich Bedürftigen und komme erst wieder, wenn alles vorbei ist.»

Die Gassenküche verteilt im Schnitt 120 bis 140 Essen pro Tag. Laut Eva gibt es einen leichten Besucher-Rückgang. «Es kommen fast nur noch Stammgäste, also die, die uns am allernötigsten brauchen.»

 

Diese Angebote gibt es für Armutsbetroffene in Basel-Stadt (Stand 19. März 2020) :

 

Gassenküche, Lindenberg 21

Geöffnet: Mo-Fr 07.30 bis 09.30 und 17.15 bis 19.30 Uhr

 

Soup and Chill, Solothurnerstrasse 8

Geöffnet: Täglich von 17.00 bis 21.00 Uhr

 

Mittagstisch vom Verein perspektive50plus, Drahtzugstrasse 30, im Strizzi-Käller

Geöffnet:

Mo-Fr 12.00 bis 14.00 Uhr Take Away

Kurierdienst für Betagte. Anmeldung unter 077 522 92 80 oder per Mail: [email protected]

Tageshaus für Obdachlose, Stiftung Sucht, Wallstrasse 16

Geöffnet zum Duschen und Waschen. Besucher erhalten eine Tüte mit Proviant. Es dürfen sich nicht mehr als 3 Personen gleichzeitig im Haus befinden.

 

Treffpunkt Glaibasel, Feldbergstrasse 148

Geöffnet: Täglich von 12.00 bis 13.00 Uhr. Nur Take Away

 

Tischlein Deck Dich, Auf dem Wolf 17

Geschlossen

 

Treffpunkt Gundeli, Winkelriedplatz 6

Geschlossen

 

Wisst ihr von weiteren Angeboten? Meldet euch bei uns unter [email protected].

 

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