Für Johanna Heusser ist Yoga im Westen auf den herabschauenden Hund gekommen
Warum steht da ein Buddha? Eine Yogalehrerin hat genug von der kulturellen Aneignung in deinem Studio und der Exotisierung indischer Kultur. Ihre Abrechnung mit Teilen der westlichen Yoga-Praxis kommt jetzt auf die Bühne.
Johanna Heusser, Ihr Stück heisst «How to do a downwardfacing dog». Warum steckt ausgerechnet diese Position im Titel?
Die Position ist sehr populär und hat einen hohen Wiedererkennungswert. Der herabschauende Hund wird für beinahe jeden Yoga-Artikel, auf Instagram oder Youtube-Videos als Symbolbild für die Yoga-Praxis insgesamt verwendet. Dabei geht es im Yoga nicht um die eine oder andere Position im Speziellen, aber auf Insta sieht der Hund halt gut aus. Im Titel steckt damit schon ein Teil meiner Kritik drin, nämlich die an der Selbstinszenierung.
Im Online-Telefonbuch finden sich 87 Einträge für Yogaangebote in Basel, gefühlt steht an jeder Ecke ein Studio. Weltweit werden mit Yoga-Produkten und Retreats zweistellige Milliardenbeträge umgesetzt. Woher stammt der ungebrochene Boom?
Es gibt diese linke Kritik, die besagt, dass sich die Yoga-Praxis perfekt als Akt einer neoliberalen Selbstoptimierung vermarkten lässt. Sie rückt den oder die Einzelne*n ins Zentrum einer ganz persönlichen Reise. Viele Yoga-Studios werben mit Tipps auf dem Weg zu innerer Ausgeglichenheit, zu Leistungsfähigkeit und Glück. Das sind alles Versprechen, die gut in eine Zeit passen, in der die Zeit knapp und die Erwartungen an das Individuum hoch sind.
Viele praktizieren Yoga, um Belastung abzubauen. Aber für Überbelastung ist man in den seltensten Fällen selber verantwortlich, sondern Arbeitgeber*innen oder gesellschaftliche Strukturen.Johanna Heusser
Worin besteht Ihre Kritik an diesen Versprechen?
Dieses Gerede von der individuellen Reise muss man auch kritisch sehen, weil es die Schwächen des Systems zu den Schwächen des Einzelnen macht. Wenn du für dein Glück selber verantwortlich bist, dann bist du im Umkehrschluss auch für dein Unglück verantwortlich. Und das ist natürlich nicht richtig. Viele praktizieren Yoga zum Beispiel, um Belastung abzubauen, aber für Überbelastung ist man in den seltensten Fällen selber verantwortlich, sondern zum Beispiel der Arbeitgeber oder gesellschaftliche Strukturen. Im Yoga geht es um eine ganzheitliche Philosophie. Aber viele Yogis praktizieren das eben als eine eher egoistische Selbstverbesserung.
Ist Yoga auch darum so erfolgreich, weil es die Sehnsucht nach einer verloren gegangenen Spiritualität erfüllt?
Das wird zwar immer wieder geschrieben. Aber ich beobachte eher weniger, dass Menschen ins Yogastudio gehen weil sie eine spirituelle Erfahrung machen wollen. Sondern eher, weil sie sich körperlich ertüchtigen wollen. Das Spirituelle kommt vielleicht noch dazu, wie eine Art Supplement, aber eigentlich geht es vielen um die körperliche Praxis.
Man könnte die Kritik auch ins Positive kehren und sagen: Wer sich selbst liebt, liebt auch seine Nächsten.
Ich habe da ambivalente Gefühle. Die Arbeit an sich selbst, kann schon zur Selbstliebe dienen, die auf andere übergeht. Es kann aber eben auch dazu beitragen, dass man sich noch mehr auf sich selbst fokussiert.
Mit Ihrem Stück kritisieren Sie Yoga auch als Praxis kultureller Aneignung. Wo findet die statt?
Überall. Zum Beispiel durch das Aufstellen von Buddha-Statuen von Ikea oder aus dem Obi, das sieht man in vielen Studios. Die sind einfach da, obwohl Buddha mit Yoga nichts am Hut hat. Wir singen Mantras auf Sanskrit, die wir nicht verstehen, oder sagen «Namaste» am Ende der Yogalektion, dabei sagt man das in Indien zur Begrüssung. Tibetische Friedensfahnen aufzuhängen ist zwar eine bunte Idee, aber mit Yoga hat das erstmal nichts zu tun. Das ist alles Teil einer Exotisierung, die mit den Wurzeln des Yoga wenig bis nichts zu tun hat, die aber zu unserer Wohlfühl-Erwartung passt.
Jetzt könnte man sagen, die Deko-Idee war ein Griff ins Klo, aber nicht böswillig gemeint. Ab wann wird Unkenntnis wirklich problematisch?
Ich finde es dann problematisch, wenn die Geschichte, also die Tradition der Yoga-Praxis, nicht thematisiert wird. Ich wünschte mir mehr Auseinandersetzung mit diesen alten Symbolen, oder mit den kulturellen Wurzeln des Yoga. Historisch gesehen ist Yoga auch mit Leid verbunden und wurde von den britischen Kolonialherren zunächst als Ausdruck falschen Götterglaubens verboten. Und dann ist kulturelle Aneignung auch darum problematisch, weil wir, also der Westen, finanziell von dieser Vermarktung enorm profitiert und das Geld damit unter den Weissen verteilt wird und nur wenig nach Indien zurückfliesst.
«Ich finde es problematisch, wenn die Tradition der Yoga-Praxis nicht thematisiert wird. Ich wünschte mir mehr Auseinandersetzung mit den kulturellen Wurzeln des Yoga.»Johanna Heusser
Diese Kritik müssen Sie auch für sich gelten lassen. Auch Sie profitieren als Weisse mit Ihrem Stück von diesem Thema.
Ja, das kann sein. Mir ist darum die Auseinandersetzung mit dem, was ich da tue, sehr wichtig. Die Geschichte des Yoga ist 5000 Jahre alt, davor habe ich grosse Demut. Aber meine Haltung ist sehr unfertig, ich bin erst am Anfang meiner Arbeit. Ich denke die Auseinandersetzung ist wahrscheinlich auch gar nie fertig und mir begegnen immer wieder grosse und kleine Ambivalenzen.
Wie kann man seine Yoga-Praxis frei machen von diesen kolonialen Symbolen und Handlungsmustern?
Zunächst ist es wichtig, dass man sich daran erinnert, dass wir von altem Erbe profitieren und nie etwas neu erfinden. Ich möchte aber festhalten, dass ich mich nicht über die Dinge stelle und mir nicht anmasse, zu sagen, ich wisse jetzt wie es geht. Ich persönlich möchte nicht mehr in Studios unterrichten, weil diese Orte oft von Versprechen und Verheissungen leben. Ich möchte keine Versprechen mehr machen, meine Studierenden von irgendetwas zu heilen. Ich wünschte mir weiterhin, dass wir Yoga nicht praktizieren, um Leistung zu optimieren oder das Leben in den Griff zu kriegen. Ich wünsche mir auch, dass man die Auseinandersetzung mit den Quellen und der Bedeutung von Symbolen, die wir verwenden, in die Yogapraxis integriert.
Johanna Heusser (25) studierte an der höheren Fachschule für zeitgenössischen und urbanen Bühnentanz in Zürich und arbeitet seither als Tänzerin für verschiedene Kompanien, als Choreografin, Tanzpädagogin und Yogalehrerin in der Schweiz und im Ausland. Sie wohnt in Basel.
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«How to do a downwardfacing dog». Theater Roxy. Dienstag (14.01.), Donnerstag (16. 01.), Freitag (17. 01.), jeweils 20:00 Uhr.
Für die Schweiz gibt es bislang keine repräsentative Studie, die über Zahlen und Statistiken der Yogapraxis Auskunft gibt. Die beiden grössten Yoga-Verbände, Yoga Schweiz und der Schweizer Yogaverband, bestätigen auf Nachfrage das immer weiter zunehmende Interesse an ihren Angeboten. Yoga Schweiz hat ca. 600, der Schweizer Yogaverband ca. 700 Lehrer*innen als Mitglieder.
Der Beruf als Yogalehrer*in ist nicht geschützt. Darum kommt es zu unterschiedlichen Einschätzungen, wann ein*e Lehrer*in bereit sei, zu unterrichten. Yoga Schweiz, der älteste Verband der Schweiz (seit 1968) verpflichtet seine Lehrenden zu mindestens 600 Stunden Lernen, die Ausbildung dauert berufsbegleitend vier Jahre. Der Schweizer Yogaverband verlangt mindestens 500 Stunden, die Ausbildung dauert zwei Jahre.