Galge

Bild Max

Mein Handy klingelt. Aus dem Lautsprecher dringt ein «Ciao Bro?» in mein Ohr, welches ich mit einem «Ciao Bro:» erwidere. «Kunnsch Galge?». Ich muss überlegen. Mein Blick schweift aus dem Fenster. Das Wetter ist schön, die Chrischona ist in ihrem grünen Frühlingskleid gekleidet. Unbeweglich steht der Sendeturm auf der Anhöhe. Ich freue mich immer, wenn ich auf einer Heimreise den Turm erblicke, ein vorgeschobener Blick in die Heimat.

Schüler*innentexte

Was gibt es im Winter Schöneres, als sich auf wärmende Sonnenstrahlen aus dem Sommer zu besinnen und an seine eigene Jugend zu denken?! Sieben Schüler*innen des Gymnasiums am Münsterplatz, alle um die 18 Jahre alt, haben im Sommer kurze, kreative Texte zum Thema «Verweilen in Basel» geschrieben. 

Dafür haben sie öffentlich zugängliche Plätze in Basel aus Ihren Augen und anhand Ihrer Sinne, Gedanken und Erinnerungen beschrieben. Sie verpacken die Plätze kreativ in Sprache und nehmen die Leser*innen mit in ihre Leben, ihre Sorgen und Wünsche. 

Das Ergebnis ist ein Blick in die Gefühlswelt und die Realität vieler Jugendliche. Gern veröffentlichen wir bei Bajour die Texte.

zu allen Texten

«Bro?» ich löse mich aus dem Tagtraum und fokussiere mich wieder auf das Gespräch. Vor mir mein Schullaptop mit der fehlenden Ö-Taste, auf den Bildschirm brennt unermüdlich ein Physikskript. Der Test nächste Woche ist noch weit genug weg. Mein «Safe, in 15 min oobe am Velowäg?» wird von einem knappen «easy» erwidert.

Ich packe meine Badesachen und nehme die Bauchtasche, welche ich immer mitnehme, wenn ich mit den Kollegen unterwegs bin, vom Haken. 15 Minuten später stehe ich am Veloweg oben. Warum wir diesen Veloweg als DEN Veloweg erkört haben, weiss ich nicht. Weiss vermuetlich keiner.

Nach eher 25 als 15 Minuten stossen der Rest der Gruppe hinzu und wir fahren talwärts in Richtung Rankhofstrasse. Wir biegen dort Flussaufwärts ab und folgen der Schnellstrasse, welche mich bei Verkehr immer mehr von ihrer Hässlichkeit überzeugt. Nach einer Minute erreichen wir einen unscheinbaren Einschnitt zwischen den grünen Bäumen, welcher eine Bank aus Metall und eine Treppe beherbergt. Die Velos schliessen wir an der Bank ab, hier sitzt sowieso keiner. Wir folgen der kleinen Treppe, welche uns an das nordseitige Rheinufer führt. Die Eisenstifte, welche die morschen Holzbalken in Treppenform halten, wurden bei Dunkelheit schon mancher angetrunkener Person zum Verhängnis. Heute nicht. Die Sonne brennt. Die Treppe erreicht das Rheinufer und kehrt zum «Galge».

Der «Galge», wie wir ihn liebevoll nennen, ist ein alter Fischergalgen, welcher oberhalb des Kraftwerkes an der Sonnenseite des Stausees steht. Ursprünglich gehörte er dem Grossvater einem meiner Freunde, doch nachdem dieser verstorben war, ging der Galgen an seine Tochter, die Mutter meines Freundes, weiter. Nun tummeln sich hier statt Fische in Netzen Jugendliche in Nikes. Fisch gefangen wurde hier seit Ewigkeiten nicht mehr.

Im Galgen ist es klein. Es steht ein Tisch im linken Ecken und ein Grossteil der restlichen Fläche wird von der stählernen Bedienung des Fischerhakens eingenommen. Ein kleiner Gasofen, um uns im Winter warmzuhalten, und einige Relikte des Grossvaters runden den Innenraum ab. Heute benutzen wir den Innenraum aber nur um unsere Dinge abzulegen, und um unser Bier vor der unbarmherzigen Sonne zu schützen, da diese heute ganz schlimm brennt. Direkt westlich des Galgens befindet sich ein dazugehörendes Bänkli, auf welchem schon manche Abendstunden und Joints genossen wurden, meistens beides. Vor dem Bänkli hängt ein Seil, an welchem man sich in die Fluten des Wassers schwingen kann. Ob dieses noch vertrauenswürdig ist, ist eine Frage in sich selbst, ersetzten tun wir es aber nicht. Wieso auch.

Heute aber müssen wir uns erstmal aufwärmen. Über eine Stange klettern wir aufs Dach, was jetzt bei trockener Verfassung noch machbar ist. Auf dem Dach positionieren wir uns auf der Fischinfrastruktur und lassen uns von der unbarmherzigen Sonne wärmen. Ich bemerke, dass ich mich nicht eingecrèmet habe. Shit, Was solls. Wir reden. Wir reden viel, aber auch wenig zugleich, zu oft haben wir schon miteinander geredet, kann man sich überhaupt «ausreden»? In den Gesprächspausen hört man die Bluetooth-Box. «Underground Deutschrap», das Lied kenne ich aber nicht.

Vom Dach sind es etwa zweieinhalb Meter Falllinie bis man den Wasserspiegel erreicht. Zu wenig für uns, zu oft schon haben wir diese Sekunde in der Luft verbracht. Backflips, Sideflips als auch grosse Fehler wurden auf dieser Kante schon gemacht. Die Wassertropfen, welche aufgrund des ersten Springers den Rest der Gruppe auf dem Dach erreichen, verheissen nichts Gutes. Der Rhein ist kalt, wie immer im Frühling. Eine schöne Kälte.

Über das Schlick und die improvisierte Treppe steigen wir wieder aus. Das Bänkli ist schnell wieder voll, wer nicht sitzen kann muss stehen. Es wird gechillt, geredet, je eine Quöllfrischdose geöffnet und genau wie die Fluten des Rheines ziehen die Stunden an uns vorbei. Leute kommen und gehen, und als sich am Ende die ganze Gruppe erhebt, blicke ich auf einen schönen unproduktiven Tag zurück. Glücklich und ohne irgendetwas, was mir den Tag noch ruinieren könnte, mache ich mich auf den Weg zum Velo, bis ich über einen der verdammten Eisenstifte stolpere!

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