Geld regiert die Fussballwelt
Bolzplatz-Kolumnist Simon Engel geht den beständigen Klagen über den «Fussball-Kommerz» aus historischer Sicht nach.
«Der Fussballsport wurde offiziell zum Geschäft gestempelt. Ausländische Trainer und Manager, Supporter mit schwerem Portemonnaie und andere ‘Geschäftsleute’ wurden in den höchsten Spielklassen mitbestimmend und dominierend. Die Transferbestimmungen, der Spieler-Ein- und Verkauf, ein ungesunder Personenkultus, ein auf Sensation [...] geladenes Publikum [...] haben das Bild des früheren Fussballsportes total verändert.»
Du denkst, so eine Aussage kann nur von einem unverbesserlichen Fussballromantiker aus dem Jetzt kommen, der mit seinen unzähligen St. Pauli-Schals um den Hals nostalgisch auf die guten, alten 1970er zurückblickt, als die Spieler noch mit Herz und nicht für Geld auf dem Platz kickten?
Falsch! Das Statement ist bereits auf das Jahr 1938 datiert und stammt von einem Chronisten des Zürcher Quartiervereins FC Blue Stars. Sein kritischer Blick fiel genau in die Phase, als in der Schweiz zum ersten Mal der Profifussball eingeführt und erprobt wurde.
Die Köder werden ausgeworfen
1931 beschlossen Verband und Vereine die Einführung des Profitums, zehn Jahre später wurde das Experiment bereits wieder abgebrochen. Geblieben sind seither die Klagen über die Kommerzialisierung und Boulevardisierung des Fussballs.
Die «guten, alten Zeiten» sind also vor den 1930er-Jahren zu suchen und nicht im Stehplatz-Ambiente mit Bier und Bratwurst des Landhofs – denn gerade beim FCB spielten vor allem gut bezahlte «Amateure».
Wieso befürworteten die Schweizer Fussballfunktionäre also zunächst das Profitum? Spätestens in den 1920er-Jahren wurde der Fussball in der Schweiz in breiten Bevölkerungsschichten populär, vorher war er eher eine Beschäftigung für Sprösslinge aus dem Bürgertum. War einmal eine kritische Masse erreicht, tauchten Geschäftsleute (und Politiker) schnell auf. Ihr Kanon: Wir erhören die Bedürfnisse des gemeinen Volkes und verkaufen euch gleich noch was Tolles dazu!
Der Plan läuft schief
Die Spitzenclubs bauten neue Stadien und versuchten mit Spitzenspielern Publikum anzulocken. Gute Spieler konnte man aber fast nur noch mit finanziellen Anreizen ködern und gerade junge Männer aus den unteren Schichten suchten im Fussball einen Lebensverdienst. Weil der Berufssport offiziell immer noch verboten war, fanden die Vereine unzählige Schlupflöcher, um die Bestimmungen zu umgehen.
Dieser Heuchelei wollten der neue Präsident des Schweizerischen Fussballverbands (SFV), Otto Eicher, und eine Mehrheit der Delegierten 1931 ein Ende setzen und votierten für die Legalisierung des Profifussballs.
Das ging nach hinten los. Die gutbezahlten Profis zogen kaum Publikum an. Der Profifussball wurde für viele Schweizer Spitzenvereine ein defizitäres Geschäft. Die Nachwehen der Weltwirtschaftskrise grüssten. Und die Kritiker standen sofort auf der Matte: Die Clubpräsidenten seien erbärmliche Materialisten, die Profispieler liefen dem Geld nach und seien deshalb keine wahren Sportler, die sich für die «nationale Ehre» in der Nationalmannschaft einsetzten.
Schlussendlich setzten sich die Gegner des Professionalismus durch: 1938 beschloss die Liga das Verbot von Handgeldern und die Spieler mussten wieder «einem normalen Beruf» nachgehen. Und 1941 strich der neue SFV-Präsident Robert Zumbühl den Berufsfussball wieder ganz.
Die Devise: ethische Standards sollen über finanziellen Interessen stehen. Dass dies alles während des Zweiten Weltkriegs geschah, war kein Zufall: Ein geregelter Meisterschaftsbetrieb mit Einnahmen für die Clubs war sowieso nicht möglich und im Sinne der «Geistigen Landesverteidigung» sollte auch der Sport einen Beitrag zu den «echten» nationalen Werten der Schweiz leisten. Materialismus passte da nicht gut rein.
Der profifeindliche Diskurs – inklusive knallharten Bestrafungen bei Verstössen – ging bis weit in die 1950er-Jahre weiter. Danach wichen die Bedenken. Weshalb? Es gab dank dem neuen Massenmedium Fernsehen Werbemöglichkeiten. Und die amateurhaften Schweizer Teams blamierten sich im Europacup gegen die ausländischen Profimannschaften.
Die Schweiz macht halbe Sachen
Die Schweizer Lösung? Es wurde 1960 das Halbprofitum eingeführt – womit die Doppelmoral wieder auflebte. Die «Halbprofis» arbeiteten zwar tagsüber brav im Büro oder in der Fabrik, durch ihren Promistatus waren zumindest die Spitzenspieler gleichzeitig aber auch beliebte Werbeträger und verdienten trotzdem mit Fussball ihr Geld.
Auch die Wächter des «richtig betriebenen» Schweizer Fussballs walteten weiter ihres Amtes: Mitte der 1970er-Jahre wehrte sich ausgerechnet das Schweizer Fernsehen gegen die weitere Kommerzialisierung des Fussballs via Leibchenwerbung. Später fiel auch diese Bastion.
Der Reichere gewinnt. Knallhart. Und wir Fussballfans machen alle irgendwie mit. Weil ohne Geld keine guten Spieler und ohne guten Spieler keine Meisterfeier.
Wir können natürlich auch anders- Das Joggeli meiden und fortan auf den Rankhof für den FC Nordstern fanen. Fussballromantik pur. In der 4. Liga.