Gestopft wie eine Weihnachtsgans
Auf einem kleinen Boot fahre ich in Burma auf dem oberen Inle See, ich kenne hier doch einige Leute, darunter diverse Rockmusiker, seit vielen Jahren, niemand will Myanmar sagen. Pittoreske Tempel stehen an den Ufern, beschienen von der südost-asiatischen Sonne, alles ist gut, ich bin mit mir und der Welt im Reinen.
Wir schreiben das Jahr 2017, das weiss ich … Plötzlich kommt da von irgendwoher ein Brummen, das immer lauter wird, irgendetwas aus der Tiefe – welcher Tiefe? Und mir dämmert plötzlich, dass gar nichts gut ist. Wir sind im Jahr 2024, Burma wird von einer schrecklichen Bürgerkriegswelle überschwemmt, mein Wecker schreit und Basel steht kurz vor dem Morgestraich.
Groteske Züge
So geht das immer, liebe Leute, ich lege mich an diesem ominösen Sonntag irgendwann zwischen 22.30 Uhr und 23.30 Uhr ins Bett, wälze mich, warte auf das Sandmännchen, das mich mit seiner farbigen Crèmeschnittenkeule – oder ist es eine Säublooddere – k.o. schlagen soll. Vergangene Fasnachten marschieren durch meinen Kopf, nehmen unvermittelt groteske Züge an.
«Leer ist die Strasse, schwer sind meine ersten Schritte. Ich atme die kalte Luft ein, kann ich die Fasnacht schon riechen?»
Und dann schleudert mich ein Traum irgendwo hin. Weit weg von Basel, weit weg von der Fasnacht, in ganz andere Lebenszusammenhänge hinein … Ich glaube, so ist das gemeint, so muss das sein. Aus dem Tiefschlaf sollen wir in die Arme der Frau Fasnacht geschüttelt werden. Das hat etwas von einer Geburt. Und es ist nie ein leichtes Erwachen, wenn der Morgestraichwecker mich unerbittlich in die Realität der Fasnacht bringt und zwingt.
Nicht zur Anprobe, sondern für den Ernstfall
Ich starte die Kaffeemaschine, sie will Wasser, sie will Bohnen, sie will, dass ich den braunen Schlamm aus dem Tank in den Kompost leere. Ich habe das Morgestraich-Goschdym auf der Terrasse aufgehängt. Im Bademantel hole ich es rein. Huch, ist das kalt da draussen. Ab unter die Dusche.
Es ist immer seltsam, das erste Kostüm des Jahres anzuziehen, nicht zur Anprobe, sondern für den Ernstfall. Das Thermozeug drunter und zwai Lyybli, dann das Gilet mit den vielen Taschen, Portemonnaie, Handy, Schlüssel, Zigarillos, farbiges Wams drüber. Ich fühle mich gestopft wie eine Weihnachtsgans. Und denn: Uuse!
Leer ist die Strasse, schwer sind meine ersten Schritte. Ich atme die kalte Luft ein, kann ich die Fasnacht schon riechen?
Fasnachtsgestalten
Plötzlich höre ich Glèggli, zwei Ueli biegen um die nächste Ecke, sie hat einen Kübel auf dem Rücken, er trägt eine Stäggeladäärne, die natürlich noch nicht leuchtet. «Guete Morge.» Der gegenseitige frohe Gruss macht mich munter.
Während der Basler Fasnacht 2024 begleiten uns die Kolumnen vom Ryslaifer. Jeden Tag gibt der Ryslaifer uns Einblick in die Fasnachtsseele.
Ich komme dem Herzen der Innerstadt immer näher. Und eine zunehmende Schar von Fasnachtsgestalten läuft mir über den Weg, Larve entweder bereits auf dem Kopf, allerdings zurückgeschoben, wie Märchenritter mit offenen Visieren, oder unter dem Arm oder in der Hand, dann hängt die Perücke runter, wie ein Besen.
Und das Klingeln der vielen Ueli-Glèggli – dieses Goschdym ist ja, zu Recht, als Charivari-Variante enorm beliebt – gehört für mich untrennbar zur Filmmusik dieser Szene, die da heisst: Kostümierter Stadtspaziergang durch Basel. Dem Dräffpunggt entgegen.
«Entschuldigung», «Pardon», «Achtung, heiss!»
Aus dem Hotel Rochat strömen Gruppen von Kostümierten, hier steigen ja – unter anderem – regelmässig Trommelgruppen aus dem Ausland ab, die begeistert und nach allen Regeln der Kunst an unserer Fasnacht teilnehmen. Bei der Harmonie, die erste Druggede, dann durch eine dichte kostümierte Menschenmenge zum Gemsberg. D Ladäärne haben die Strassenmitte erobert.
«Entschuldigung», «Pardon», «Achtung, heiss!», das sage ich, das sagen alle Anderen – und da und dort hört man schon: «Sali Fränzi, e schöne Räschte.»
Nun bin ich in eine Art Trance geraten, es ist kurz vor halb Vieri. Ich sehe meine Leute, grosse Begrüssung, Umarmungen: «Schön, as de doo bisch …», «Jä, lueg aa, dr Glai isch jetz au scho am Morgestraich derby …», «Sali Stöff, pagge mer’s wiider …» Schon höre ich mich «Yyschtoo» brüllen. Wir sind angekommen.
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