Mut zur Brücke

Die Mittlere Brücke musste dieses Jahr schon für viel Symbolik herhalten. Nach den Grossanlässen mit Basel in Hochglanzvariante wirkt sie gerade ein bisschen abgeranzt. Michelle Isler soll’s recht sein.

Mittlere Brücke Weuro
Tschüss Fussbälle, tschüss Rampenlicht. (Bild: Michelle Isler)

Sticker sind schnell aufgeklebt. Wenn sie aber wieder ab müssen, verliert man zuweilen fast den halben Fingernagel und ein paar Nerven beim Weggrübeln. Zurück bleiben hässliche Klebereste. So wie derzeit auf der Mittleren Brücke: Wo kürzlich noch übergrosse Fussbälle auf die Women’s Euro aufmerksam machten, erinnern aktuell noch Fetzen und dunkle Abdrücke an die Kunstintervention von Klaus Littmann. 

Ist es vielleicht unerwartet aufwändig, das Kunstwerk vom Teer wegzukriegen? Das BVD kann das nicht beantworten – zuständig ist offenbar eine externe Firma. Mehr ist auf die Schnelle nicht herauszufinden. Als Brücke macht man einiges mit.

In den letzten Monaten hat sich Basel immer wieder für Grossanlässe in Hochglanz-Schale geworfen. Und auch die Mittlere Brücke musste ran. Zuerst für den Eurovision Song Contest: Oldtimerfahrzeuge! ESC-Delegationen! Feierliche Parade! TÜRKISER TEPPICH! (Palästinaflaggen!) Basel wollte sich dem Millionenpublikum von seiner besten, saubersten, einladendsten Seite präsentieren – und mittendrin die Mittlere Brücke mit schönem Blick auf die Stadt. Richtig instagrammable. 

Während der Eröffnungszeremonie glänzte die Mittlere Brücke im Rampenlicht. (Bild: Kanton Basel-Stadt, Marc Gilgen)

Kaum war der ESC vorbei, wehten die nächsten Grossevent-Flaggen im Wind: Unaufgeregt gewöhnlich wirkten diejenigen der Art Basel. Immerhin brachte der Art Parcours auch Kunstwerke auf die Mittlere Brücke. Ob die Bänke mit den seltsamen Sprüchen eine Wohltat waren, sollen andere beurteilen.

Und dann: Women’s Euro in der Host City am Rheinknie. Statt türkisem Teppich – der nun immerhin rezykliert wird – zierten Kunststoff-Fussbälle den grauen Belag auf der Mittleren Brücke. «Bridge Kick» hiess das Ensemble aus insgesamt fünf Bällen mit je elf Metern Durchmesser. Sie sollten die fünf hier ausgetragenen Fussballspiele repräsentieren, liess der Kanton verlauten. Damit aber noch nicht genug. «Mit dieser Kunstintervention generieren wir die gewünschte Aufmerksamkeit für den Frauenfussball», liess sich Sabine Horvath, die Gesamtprojektleiterin der Women’s Euro in Basel zitieren. Und sie ergänzte: «Mit Bridge Kick entstehen am Boden und aus der Luft einzigartige Bilder aus Basel, die um die Welt gehen werden.» 

Was folgte waren (gemäss einer Zählung von LDP-Grossrat Philipp Karger) sechs weitere Medienmitteilungen zu «Bridge Kick» und symbolträchtige «Unterzeichnungsakte» mit Nationalspielerinnen, die auf den klebrigen Fussbällen ihre Unterschrift hinterliessen. Ob sich jemand von den internationalen Zuschauer*innen an die Bälle auf der Brücke erinnern wird? Basel – das war doch dort, wo die Fussbälle auf so einer schmucken Brücke klebten! Echt jetzt? Man darf jedenfalls daran zweifeln, wie entscheidend die fünf Fussbälle zur Aufmerksamkeit für den Frauenfussball in den letzten Wochen beigetragen haben.

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Die Schweizer-Nati-Spielerin Coumba Sow signiert einen Fussball auf der Mittleren Brücke. (Bild: Kanton Basel-Stadt, Andreas Zimmermann)

Fest steht hingegen: Sie hat in den letzten Monaten viel Besonderes erlebt, diese Mittlere Brücke.

Nun ist also Schluss mit der ungewöhnlich grossen Aufmerksamkeit. Der ESC und die EM sind in der Stadtgeschichte Basels als erfolgreiche Grossanlässe verbucht, die Besucher*innen-Massen wieder abgezogen, allgemeines Sich-auf-die-Schultern-Klopfen. Zurück bleiben schöne Erinnerungen. Und Stickerreste auf der Mittleren Brücke, zumindest vorübergehend. 

Zwar wehen jetzt rot-weisse und schwarz-weisse Flaggen anlässlich des 1. Augusts. Fürs bevorstehende Volksfest braucht es aber offenbar kein Picobello-Bild der Brücke zwischen Gross- und Kleinbasel. Einzigartige Bilder aus der Luft sind wohl dieses Mal keine geplant. 

Mir soll es recht sein. Dann sieht die Strasse halt ein bisschen abgeranzt aus, bis der Putztrupp fertig ist. Das fühlt sich heimeliger an, als von Symbolik strotzende Inszenierungen.

Und sowieso, wen kümmert schon der Untergrund, wenn es zum Zeitpunkt des grössten Publikumsaufkommens an der 1.-August-Feier am Rhein eh dunkel sein wird? Die Blicke der Feiernden werden vor allem nach oben gen Feuerwerkshimmel gehen. Oder zum nächsten Bierstand. 

Bleibt abzuwarten, für was die Mittlere Brücke bis zur Schmückung des Käppelijoch mit der Weihnachtsmütze noch so hinhalten muss. Eine Rückkehr zur Normalität ohne Hochglanzfassade hat sich der älteste Rheinübergang Basels jedenfalls verdient. Und wir uns auch.

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Nach einem Masterstudium in Geisteswissenschaften und verschiedenen Wissenschafts- und Kommunikations-Jobs ist Michelle bei Bajour im Journalismus angekommen: Zuerst als Praktikantin, dann als erste Bajour-Trainee (whoop whoop!) und heute als Redaktorin schreibt sie Porträts mit viel Gespür für ihr Gegenüber und zieht für Reportagen durch die Gassen. Michelle hat das Basler Gewerbe im Blick und vergräbt sich auch gern mal in grössere Recherchen.

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