Die Förderkommission Literatur verlangte für ein Fördergesuch von Autor Alain Claude Sulzer, dass er erklärt, weshalb er in seinem Buch das Wort «Zigeuner» verwendet. Der Autor sieht das als Zensur. Die Amtsleitung widerspricht. Es gäbe durchaus künstlerische Gründe, ein Wort wie «Zigeuner» zu verwenden, jedoch sei wichtig, dass man sich dann mit der Problematik des Begriffs auseinandersetze.

Ist der Fall Sulzer Zensur?

Der Fachausschuss Literatur verlangt für ein Fördergesuch von Autor Alain Claude Sulzer, dass er erklärt, weshalb er in seinem Buch das Wort «Zigeuner» verwendet. Der Autor sieht das als Zensur. Der Fachausschuss widerspricht. Es gäbe durchaus künstlerische Gründe, ein Wort wie «Zigeuner» zu verwenden, jedoch sei wichtig, dass man sich dann mit der Problematik des Begriffs auseinandersetzt. Was denkst Du?

1278 Stimmen
Michelle Isler
Michelle Isler
Moderation
Top antworten
Daniela Dill
13. Juni 2023 um 08:00

völlig okay

Der Fachausschuss Literatur ist eine Förderkommission, und dass diese keine Literatur fördern möchte, die besagten Begriff allenfalls ohne kritische Auseinandersetzung reproduziert, ist begrüssenswert und zeitgemäss. Sie hat das Gesuch ja nicht einfach abgeschmettert, sondern den Autor um eine Ausführung seiner Auseinandersetzung mit dem Begriff gebeten. Ich danke den Kommissionsmitgliedern für ihre Umsicht.

Valerie Wendenburg
13. Juni 2023 um 14:25

Berechtigte Nachfrage

Es kann durchaus Sinn machen, umstrittene Begriffe, die heute als diskriminierend gelten, in einem Buch z.B. im Anhang zu erläutern. Wenn ein solches Wort (wie in diesem Fall „Zigeuner“) im historischen Kontext genannt wird, sollte das klar ersichtlich sein – daher finde ich die reine Nachfrage durchaus berechtigt und sehe darin noch keine Zensur.

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Johannes Sieber
Grossrat GLP

Bloß keine Fehler?

Der Zensur-Vorwurf ist Hanebüchen. Zwar ist die Rückfrage der Abteilung Kultur Ausdruck eines Problems. Aber nicht jenes der Zensur, sondern des Problems der 100-fachen Absicherung gegen berechtigte und unberechtigte Vorwürfe in der Kulturförderung. Das Resultat: Vorwürfe. Fazit: Nicht nur die Literatur muss korrekt sein, auch die Kulturförderung darf keine Fehler machen. Langweilig!

Katrin Grögel
Katrin Grögel
Kulturbeauftragte Kanton Basel-Stadt

Als Förderstelle ist uns die künstlerische Freiheit sehr wichtig. Wir wollten einfach wissen, welche künstlerische Relevanz die verwendeten Begrifflichkeiten haben. Es ist für die Beurteilung wichtig zu wissen, ob sich der Autor mit der Problematik des Begriffs auseinandergesetzt hat. Den Vorwurf der Zensur weisen wir aufs schärfste zurück. Die Kulturabteilung entscheidet nicht darüber, ob ein Buch veröffentlicht wird oder nicht, sie redigiert auch keine Texte. Die Fördergremien machen zuhanden der Amtsleitungen ausschliesslich Empfehlungen, ob ein Manuskript gefördert werden soll. Eine Förderung ist kein Automatismus. Als öffentliche Förderinstitution möchten wir sichergehen, dass wir die Intention des Autors korrekt verstanden haben. Wir spekulieren darüber grundsätzlich nicht. Wenn Fragen offen bleiben, fragen wir nach. Denn es ist Teil unserer Aufgabe, dass wir Entscheide öffentlich – gegenüber der Politik und den Medien – begründen.

Christoph A. Müller
Antwort auf Basel Briefing

Wie kommt Bajour dazu, eine solche Lappalie als „Frage des Tages“ emporzustilisieren? Ein Autor schreit „Zensur!“, weil ihm eine staatliche Kulturkommission nicht gleich 25’000 Franken überweist, sondern sich erdreistet, eine Frage zu stellen. Dem Autor steht der Werkbeitrag doch zu. Schliesslich hat er schon mehrere bekommen. Und Gewohnheitsrecht steht in unserem Rechtsstaat ja an oberster Stelle. Oder etwa nicht? Was erdreistet sich da ein Fachausschuss, eine Frage zu stellen. Eine FRAGE, bitteschön! Natürlich ist das Zensur. Und Majestätsbeleidigung obendrein. Die NZZ druckt es. Bajour erhebt es zur „Frage des Tages“. Eigentlich ist es ein Fall für den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte.

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Hans-Peter Wessels
13. Juni 2023 um 08:52

Zu fein, um eine simple Frage zu beantworten

Wenn sich Herr Sulzer zu fein ist, eine simple Frage des Fachausschusses zu beantworten, dann soll er halt auf den Förderbeitrag verzichten.

Markus
13. Juni 2023 um 06:16

ich mach was ich will höhöhö

das ganze schreit nach einem weiteren alten weissen Mann, der in seinem Leben noch nicht einmal diskriminiert wurde und sich nun hinter der künstlerischen Freiheit versteckt.

… Wie gross das Privileg ist, sich der gestellten Frage einfach zu entziehen …

Jolanda Winter
13. Juni 2023 um 05:10

Zensur- Jein

Das Buch handelt in einer Zeit, wo der Begriff Zigeuner normal war. Die heutigen Begriffe zu verwenden, würden evtl. die inhaltlichen Aussagen verfälschen.

Ich bin keine Freundin von Zensur in der Literatur, finde aber, dass Herr Sulzer sehr wohl ein Statement abgeben müsste. Auch ist es wichtig, für LesereInnen, welche sich mit den Begrifflichkeiten und dem Zeitgeschehen nicht so auskennen, im Buch eine Erklärung festzuhalten.

Der Schriftsteller Alain Claude Sulzer in der Damatti Bar in Basel am Mittwoch, 9. Oktober 2019. Sulzer ist mit seinem Buch Unhaltbare Zustaende fuer den Buchpreis 2019 nominiert. (KEYSTONE/Georgios Kefalas)
Alain Claude Sulzer
Schriftsteller

Es ist doch Bevormundung, wenn der Fachausschuss mir sagt, du bekommst das Geld nur, wenn du erklärst, warum du das Wort «Zigeuner» verwendest. Das ist ein klarer Eingriff in den Vorgang, wie diese Werkbeiträge vergeben werden. Es ist noch kein Verbot, aber bereits Zensur. Ich rede gerne darüber, ob die Kunst Begriffe wie Zigeuner verwenden darf. In einem Podium oder einem Interview. Aber nicht in einer Bewerbung für einen Werkbeitrag gegenüber einer Fachkommission. Wenn ein Fachausschuss Angst hat, dass sie Kunst mit heiklen Begriffen fördert und deswegen nachher kritisiert wird, können wir grad aufhören mit Förderung. Dann vergeben wir lieber Preise für Bücher mit nettem Inhalt. Alles andere ist gar nicht praktikabel, schliesslich liest eine Fachkommission jeweils nur ein paar wenige Seiten eines Manuskripts und nicht das ganze Buch. Sie kann gar nicht vorhersehen, ob der Rest des Buches justiziable Stellen enthalten wird.

leserin
13. Juni 2023 um 06:11

es fängt oft subtil an

bedenklich wie zunehmend versucht wird, das kleinste unbehagen vorauseilend aus dem weg zu räumen! trigger warnungen und sogar text "korrekturen" um möglichst alle ecken und kanten glatt zu hobeln. das ist eine totale verarmung, bilden doch oft gerade die unbequemen momente beim lesen gelegenheit für "aha" einsichten . ich darf mir gar nicht vorstellen wie das endet; siehe amerika wo eine einzige person bereits bücher aus bibliotheken und schulen entfernen lassen kann. gruselig

dan
Dan Wiener
13. Juni 2023 um 09:27

Nur ja nix falsch machen

Dana Grigorcea Monioudis, Mitglied im Fachausschuss Literatur, hat betont, dass sie den Brief an Alain Claude Sulzer nicht geschrieben und erst im Nachhinein gesehen habe. Ja, es gab eine Diskussion, aber die (einstweilige) Verweigerung einer Unterstützung hat nicht mit fachlichen Gründen zu tun, sondern gründet offenbar auf der Angst der Abteilung Kultur nachher für die Unterstützung eines Texts gerade stehen zu müssen. Wie heisst das erste Beamtengesetz: Nur ja nix falsch machen.

Dorothea Schmid
Antwort auf Basel Briefing

Einschränkung Freiheit eines Autors

Es ist noch keine Zensur, aber Einschränkung der Freiheit eines Autors. Früher war das Wort üblich, die Geschichte nimmt Bezug zu damals...hm...das nachträglich zu kaschieren wäre Verfälschung.

martin_friedlin
Martin Friedlin
13. Juni 2023 um 08:33

Was für eine Frage!?

Wer verwendete Begriffe im Kontext einer ganzen Geschichte nicht einordnen kann, der oder die sollte auch nicht über Förderbeiträge entscheiden.

Eleonore Wettstein
14. Juni 2023 um 09:43

Unglaublich öde, phantasielos und streng kommt mir diese Sprachzensur daher. Zigeuner soll man nicht sagen, aber in Rumänien nennen sich die Romas, Sintis (?) – weiss nicht genau welcher Ethnie sie abstammen – Zigans. Wir wollen eine korrekte Sprache, aber das Volk selber dulden wir hier nicht, unterschreiben Petitionen, dass sie nicht mehr betteln dürfen. Wie scheinheilig ist denn das? Das gleiche mit der Mohren-Terminologie. Wir sprechen ehrfürchtig von maurischer Kunst z.B. in Andalusien, aber jeder historische Mohr in der Schweiz wird unerbittlich entfernt.

Mir gefällt diese verbissene Diskussion, die vor allem von jungen Menschen geführt wird, gar nicht. Gerade in der Jugend – die Zukunft vor Augen, sollte man möglichst viel Bewegtes, Farbiges, Lebendiges spüren und erleben. Leider wirft die Weltpolitik und das Klima bereits schon schwarze Schatten, umso mehr Trotz, Frechheit, Überlebenswille, Mut und Vielfalt ist gefragt.

Ueli Keller
13. Juni 2023 um 07:10

Verhältnisirrsinn

Während Mächtige und Reiche politisch oberlehrerkorrekt sagen, was Sache ist, und rücksichts- und verantwortungslos tun oder lassen, was und wie sie wollen, busseln Literaten und Kastraten ellenlang an Wörtern herum, in denen der dicke Hund des Rassimus begraben sein soll.

Andy Wüthrich
Journalist/Texter

Vorauseilende Überkorrektheit

Ich würde die Reaktion des Fachausschusses Literatur auf die Eingabe von Alain Claude Sulzer nicht als direkte Zensur bezeichnen, aber als anmassend, von oben herab,

vorverurteilend, bevormundend und überängstlich empfinde ich dieses Einfordern einer Rechtfertigung für die literarische Verwendung des Begriffs Z... schon. Diese vorauseilende Wokeness-Korrektheit der Förderkommission scheint mir massiv übertrieben und der Freiheit der Kunst alles andere als zuträglich. Abgesehen davon sollten die Damen und Herren des Ausschusses A.C. Sulzer zu gut kennen, um sich das Recht herausnehmen zu dürfen, ihn in irgendeiner Form einer rassistischen Haltung zu verdächtigen.

Mütze Kopie 2
Mathis Reichel
Pensioniert, Musiker, Tänzer

Sulzer

Tolle Moderation, bravo! Kommentare: 1. Angst beherrschte die Runde, ja nichts falsches sagen. Nur Sulzer leistete Widerstand 2. Ob es Politik ist oder Literatur ist eine überflüssige Frage, Literatur ist Politik, alles ist Politik, das heutige Thema erst recht! 3. Ist es Zensur? Wenn ein Schriftsteller wegen eines angeblich falsch gewählten Wortes auf Fr. 30`000.- verzichten muss, weiss ich keine anderes Wort als Zensur. 4. Wörter werden verboten und niemand weiss so recht, von wem. Weder der Duden noch Wikipedia geben dem Wort Zigeuner einen pejorativen Charakter. Wer hat das in die Welt gesetzt? Antwort: der Wokismus, der wie das Wetter vom Westen kommt und in Europa flächendeckend Sprachen, Religionen, Geschichte und Traditionen zerstört. Das nennt man Totalitarismus, das hat es in unseren Breitengraden schon mal gegeben. Es war interessant zu beobachten, wie auch eine intelligente und aufgeklärte Runde diesem Ismus unterliegt. Ausser Sulzer.

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