Kein Papi, aber ganz viel Liebe
Über die Entscheidung, ein Kind ohne Vater auf die Welt zu bringen.
«Ich bräuchte noch die Telefonnummer des Kindesvaters - nur für den Notfall», sagt die Empfangsdame an der Anmeldung für die Geburt im Berliner Krankenhaus St. Joseph. «Es gibt keinen Vater», sage ich. Mein Gegenüber korrigiert schnell und leicht irritiert: «Dann irgendeine Nummer.» Sie vergräbt sich in ihre FPP2-Maske und wiederholt: «Nur für den Notfall.»
Natürlich hat biologisch gesehen jedes Kind einen Vater. In meinem Fall ist dieser ein Samenspender aus Dänemark, dessen richtigen Namen ich nicht kenne, geschweige denn seine Telefonnummer. Manche Menschen - wie die Frau bei der Aufnahme - reagieren perplex auf die Tatsache, dass ich alleine ein Kind zur Welt bringe. Sie vermuten dahinter wohl ein tragisches Schicksal. Doch dem ist nicht so. Ich habe mich aus freien Stücken dazu entschlossen. So frei die Stücke mit 37 Jahren und tickender biologischer Uhr eben sein können.
Meine Entscheidung eine pragmatische, keine ideologische. Anders als die französische Feministin Pauline Harmange, die mit ihrem Essay «Ich hasse Männer» kürzlich für Aufruhr gesorgt hat, weil sie Männer als gewalttätige, faule und feige Wesen beschreibt, lehne ich das andere Geschlecht nicht ab. Misandrie war kein Beweggrund für mich, meinen Kinderwunsch auf diesem aussergewöhnlichen Weg zu erfüllen. Und so schnell werden Männer auch nicht überflüssig, keine Sorge.
«Eva Illouz sagt: Kinder bräuchten keine traditionelle Familienstruktur. Nur sehr viel: Liebe. Daran glaube auch ich aufrichtig.»
Dennoch gehe ich einig mit der israelischen Soziologin Eva Illouz, die meint, dass die verschiedenen Facetten der Liebe entkoppelt werden sollten: «Macht euren Kinderwunsch nicht abhängig vom Wunsch nach romantischer Liebe», sagte sie schon vor Jahren in einem Interview mit dem Spiegel. Keine Frau brauche einen Ehemann, um Mutter zu werden. Denn Kinder bräuchten keine traditionelle Familienstruktur. Nur sehr viel: Liebe. Daran glaube auch ich aufrichtig.
Das Phänomen, welches sich als «Single Mother by Choice» einen Namen gemacht hat, breitet sich langsam aus, gemäss Erfahrungsberichten auch in der Schweiz. Hierzulande ist die Samenspende für alleinstehende Frauen zwar noch verboten, doch der Weg über die Grenze, beispielsweise nach Bayern oder Baden-Württemberg, wo Inseminationen für Single-Frauen durchgeführt werden, ist nicht weit. Auch Berlin ist leicht erreichbar, wenn nicht gerade Corona sein Unwesen treibt. In der Kinderwunschklinik an der Gedächtniskirche, im Herzen der deutschen Hauptstadt, klopfen laut dem leitenden Chefarzt Matthias Bloechle immer wieder auch Schweizerinnen an.
Optimale Startchancen verwehrt?
Bloechle ist ein Pionier in der deutschen Reproduktionsmedizin, aller Kritik zum Trotz steht er hinter seiner Arbeit. Insbesondere der Vorwurf, mit der Samenspende für Solo-Frauen ein Familienmodell zu fördern, bei welchem die für die Kinder wichtige Vaterfigur fehlt, ist weit verbreitet. Kindern würden dadurch optimale Startchancen verwehrt. Bloechle - selbst mehrfacher Vater - meint dazu gelassen: Es gebe auch aus anderen Gründen «vaterlose» Kinder. Die Präsenz eines Vaters möge für ein Kind als optimal angesehen werden, doch daraus könne nicht abgeleitet werden, dass beispielsweise lesbische Paare oder eben Single-Frauen nicht unterstützt werden sollten in ihrem Wunsch, schwanger zu werden. Und weiter: «Die Gesellschaft ist bunter und vielfältiger geworden in den letzten Jahrzehnten - dieses Phänomen gehört auch dazu.»
Mit denselben Kritikpunkten sind freilich auch werdende Solo-Mütter konfrontiert. Sind sie allesamt Egoistinnen, die ihren Wunsch über das Wohl des Kindes stellen? Nein. Ich behaupte vielmehr, dass sich Frauen, die diesen steinigen Weg wählen, viele Gedanken machen zur Zukunft und dem Wohlbefinden des geplanten Nachwuchses, bevor sie sich zu dieser Entscheidung durchringen - vermutlich sogar mehr als herkömmliche Eltern. Das Kind hat mit 16 Jahren denn auch das Recht, den biologischen Vater über das deutsche Samenbankregister zu kontaktieren, was wichtig ist für die eigene Identitätsfindung. Anonyme Samenspenden sind in Deutschland hingegen illegal.
Auf jeden Fall ist die Entscheidung keineswegs leichtsinnig: Der Prozess ist nicht nur in finanzieller Hinsicht kostspielig - und bleibt demnach ein Privileg. Auch die organisatorische und vor allem emotionale Belastung ist nicht zu unterschätzen. Fruchtbarkeit ist in absurder Weise an den menschlichen Stolz geknüpft. Lässt ein positiver Schwangerschaftstest auf sich warten, zehrt dies schnell am eigenen Selbstwertgefühl. Im Hinterkopf lungern alte Geschichten aus der Jugendzeitschrift Bravo, wonach schwanger wird, wer nur schon an ein Spermium denkt. Und bei manchen Frauen kann man den Eindruck bekommen, dem sei tatsächlich so. Der Druck, erfolgreich zu performen, ist also selbst hier gross. Doch manchmal braucht Fortpflanzung Geduld; in der Klinik an der Gedächtniskirche gilt, dass nach 4 bis 5 Versuchen einer Inseminationsbehandlung 60 Prozent der Frauen schwanger «entlassen» werden, je nach Alter. Danach nimmt die Chance auf Erfolg ab. Der Misserfolg bleibt dabei die grösste Sorge.
«Fortpflanzung scheint eine der letzten Bastionen zu sein, wo das Universum trotz aller medizinischer Fortschritte das letzte Wort hat.»
So scheint Fortpflanzung eine der letzten Bastionen zu sein, wo das Universum trotz aller medizinischer Fortschritte das letzte Wort hat. Die kleinen Seelen entscheiden selber, wann sie sich wohin begeben.
Die Samenspende für Single-Frauen ist in der Regel Plan B - weil der ehemalige Partner keine Kinder wollte, die vorherige Beziehung am Kinderwunsch zerbrochen ist oder der vermeintlich Richtige vielleicht einfach noch nicht dabei war. Die Geschichten sind so unterschiedlich, wie die Frauen selbst, die sich für diesen Prozess entscheiden. Gemeinsam ist ihnen, dass sie mitten im Leben, auf ihren eigenen Beinen stehen - die meisten sind zwischen 35 und 40 Jahren alt. Und dass sie sich einiges zutrauen. So wird der Schritt auch nicht überall als egoistisch betrachtet: Offene, progressivere Teile der Gesellschaft empfinden ihn als mutig und selbstbestimmt. Das ist bestärkend.
Bestärkend ist ausserdem die Vernetzung, die unter angehenden Single-Mamas stattfindet. Geteiltes Leid ist halbes Leid - das gilt nicht nur für den oftmals zehrenden Inseminations-Prozess, sondern auch für die hormonelle Achterbahnfahrt während der Schwangerschaft sowie um und nach der Geburt. In Berlin beispielsweise sind die Spender-Frauen quartierübergreifend organisiert mit dem Ziel, sich gegenseitig zu entlasten, wo immer möglich.
Ein Netzwerk ist das A und O
Wer sich dazu entscheidet, ein Kind alleine auf die Welt zu bringen, der hat im Idealfall eine unterstützende Familie und einen verlässlichen Freundeskreis. Niemand möchte das Krankenhaus nach der Geburt alleine verlassen und während der Zeit im Wochenbett mit schreiendem Baby, Hormonschüben und anfänglichen Stillschwierigkeiten auf sich allein gestellt sein.
Auch die letzten Wochen vor der Geburt sind erträglicher, wenn Freunde einem beim Schuhe binden helfen, Die schweren Einkäufe erledigen bestenfalls die lieben Nachbarn, und für die Wehenarbeit, wenn es denn soweit ist, steht einem eine Doula zur Seite, eine Frau, die selbst viel Geburtserfahrung hat. Meine Doula beispielsweise hat sechs Kinder geboren und würde, wenn sie könnte, alle zwei Monate gerne ein weiteres Kind gebären, derart schön könne das Geburtserlebnis trotz aller Schmerzen sein, sagt sie.
Und was die Wohnform betrifft: Ich bin überzeugt, dass Frauen, die sich in Wohngemeinschaften organisieren, profitieren können, während bürgerliche Kleinfamilien immer öfters an ihre Grenzen stossen. Ohne das eine gegen das andere ausspielen zu wollen: An guten Tagen fühlt es sich an, als würden Single-Mamas alles genau richtig machen.
Freilich, das ist nur die halbe Wahrheit. Denn so sehr Eva Illouz recht haben mag mit ihrer Forderung, die Erfüllung des Kinderwunsches nicht an die romantische Liebe zu knüpfen, so sehr bleibt die Suche nach Geborgenheit und Nähe ein menschliches Bedürfnis, das Familie und Freunde kaum abzudecken vermögen.
«Mutter und Kind - das ist wohl nur selten die Familie, wie frau sie sich vorgestellt hat. Ein einsamer Beigeschmack bleibt.»
So bleibt auch den meisten Solo-Mamas neben ihrer Selbstbestimmtheit und Stärke der Wunsch gemein, dass sie irgendwann doch noch einen Mann kennenlernen, mit dem sie ihr Leben verbringen und der das Kind als sein eigenes akzeptiert. Mutter und Kind - das ist wohl nur selten die Familie, wie frau sie sich vorgestellt hat. Ein einsamer Beigeschmack bleibt. Doch der Pragmatismus geht vor: Erst das Kind, dann - vielleicht - der passende Mann (oder natürlich die passende Frau). Ein gewisses Grundvertrauen in das Leben ist dafür wohl Voraussetzung.
Zurück zur Anmeldung im Krankenhaus St. Joseph. Was es denn werde, «Mädchen oder Junge?», fragt die Frau hinter der Plexiglasscheibe. «Eine Überraschung», sage ich. Und sie wendet ein, dass dies die Vorbereitung auf das neue Glück bestimmt erschwere, nur schon, was die Kleidung für das Baby betreffe: Rosa oder Hellblau?
Über farbliche Rollenklischees möchte ich mit ihr erst gar nicht anfangen zu diskutieren, erkläre aber dennoch: «Meine Schwester hat zwei Mädchen bekommen und ich werde ihre Kinderkleidchen erben. Wenn es also ein Junge wird, muss er halt in rosa Kleidchen herumrennen.» Erneut beginnt sie, sich in ihre Maske zu vergraben und ich sage: «Was für ein armes Kind, nicht wahr: Keinen Vater und dann muss es erst noch rosa Röckchen tragen.» Die Empfangsdame lacht. Sie hat es begriffen. Die Welt ist in Ordnung, wie sie ist: bunt, bunter, am buntesten.
Valerie Zaslawski ist eine Basler Journalistin. Sie lebt in Berlin und erwartet Ende Dezember ihr erstes Kind.