Matthea wird fünf

Seit der Gründung vor fünf Jahren ist das Geburtshaus Matthea sehr beliebt bei werdenden Eltern. Die Plätze sind schnell ausgebucht, die Warteliste lang. Aber was bedeutet es eigentlich, im Geburtshaus zu gebären? Und was bedeutet es, diese Geburten zu begleiten?

Matthea Geburtshaus
Ein Familienzimmer im Geburtshaus Matthea. (Bild: zVg)

Mitten im Kleinbasel, an der Klybeckstrasse 70 steht ein unscheinbares Haus, eingeklemmt zwischen Imbissbude und Beautysalon. Draussen quietschende Trams – drinnen ein Kokon aus Wärme und Ruhe. Seit fünf Jahren werden hier im Geburtshaus Matthea Babys geboren und Erwachsene zu Eltern, zu Familien. Kurz vor dem Jubiläumswochenende hat Bajour fünf Frauen aus dem Matthea-Team zum Gespräch getroffen.

Magdalena Brigger ist Teil des Gründungsteams, hat die Geschäftsführung inne und ist Teil der fachlichen Co-Leitung. Sie erzählt, wie alles angefangen hat. «Wir haben beobachtet, dass nach Geburten im Spital immer weniger Zeit für die Pflege der Frauen aufgewendet werden kann. Die Kapazitäten dafür sind nicht da. Da dachten wir, das könnte man auch anders machen und entschieden uns, das Geburtshaus Matthea zu gründen.» Dabei stand ein Grundgedanke immer im Fokus: Das Matthea soll ein vielfältiges Angebot bieten und die schwangere Frau kann darauf basierend entscheiden, welchen Weg sie gehen möchte. Ob sie im Geburtshaus gebiert und dann nach Hause geht, im Spital gebiert und dann fürs Wochenbett ins Matthea geht oder Geburt und Wochenbett im Geburtshaus verbringt.

Matthea Geburtshaus, Magdalena Brigger
«Die Frau ist die Expertin für ihren Körper, ihr Leben und das Geschehen unter der Geburt»
Magdalena Brigger, Geschäftsleiterin

Dementsprechend ist auch die Infrastruktur ausgebaut. Es gibt im Wochenbettbereich sechs Zimmer. Alle sind mit grossen Betten ausgestattet, so dass der Partner oder die Partnerin der Wöchnerin mit im Zimmer übernachten kann. In manchen gibt es zusätzlich Betten für Geschwisterkinder.

Familienzimmer und kein Besuch

 

Wichtig sei, dass die Frau in Ruhe und Geborgenheit in ihrer neuen Rolle als Mutter ankommen kann, sagt Brigger. Und häufig sei das emotionale Supportsystem der Frau die Partnerschaft und die eigenen Kinder. «Wieso sollte sie dieses System nach der Geburt, in diesem verletzbaren Moment, verlassen oder davon getrennt werden? Es ist sehr wertvoll, diese Erfahrungen gemeinsam zu machen, zu verarbeiten und das Neugeborene gemeinsam zu bestaunen.» Es sei ausserdem sehr schön, wenn die Väter von Anfang an eingebunden seien, so würden Berührungsängste gar nicht erst aufkommen.

Wochenbett-Hebamme Verena Probst erlebt oft, dass Väter gerade in den ersten Tagen gut Aufgaben übernehmen können, weil die Frauen in dieser Zeit noch viel liegen müssen und Zeit brauchen, um sich auszuruhen. «Das stärkt die Beziehung zum Kind», sagt sie. Es gebe aber auch Frauen, die das Wochenbett alleine mit dem Neugeborenen im Matthea verbringen, auch diese Variante sei willkommen und durch die intensive Betreuung durch die Hebammen möglich, erzählt Brigger.

Matthea Geburtshaus Verena Probst
«So eine Dankbarkeit erlebt man sonst wirklich selten»
Verena Probst, Wochenbett-Hebamme

Um das Ankommen als Familie möglichst sanft zu gestalten, hat das Hebammen-Team nach der Corona-Pandemie beschlossen, im Wochenbett auf Besuche ausserhalb der Kernfamilie zu verzichten. Während der Pandemie habe das Besuchsverbot den Wöchnerinnen sehr gut getan

Vorher sei die Besuchszeit zwar auch schon auf zwei Stunden pro Tag beschränkt gewesen, aber abends war im Wohnzimmer häufig viel los. «Die «Besucher*innen wollten gar nicht mehr gehen und wir mussten Polizei spielen», sagt Probst. Magdalena Brigger betont, dass diese Entscheidung nicht wegen den Hebammen, sondern wegen den Wöchnerinnen getroffen wurde. «Wir haben oft gemerkt, die Eltern mögen gar nicht mehr, aber trauen sich nicht ihre Gäste rauszuschmeissen. So ist es eine Entscheidung vom Haus und sie müssen sich nicht rechtfertigen. Wer trotzdem Besuch empfangen will, kann den Lift nehmen und unten im Café Freunde und Familie treffen.»

Im Wochenbettbereich gibt es neben den sechs Zimmern Gemeinschaftsbäder, eine Küche, ein Büro und ein grosses Wohn- und Esszimmer im Eingangsbereich. Hier steht morgens das Frühstück bereit. Mittags und abends essen alle, die wollen gemeinsam am grossen Holztisch. Neben dem lilafarbenen Sofa stehen zwei Stubenwagen, in denen hin und wieder Neugeborene schlummern. Die Welt hier oben scheint in Ordnung.

«Es macht mich jedes Mal so dankbar zu sehen, wie froh die Frauen nach der Geburt im Spital sind, hier anzukommen», sagt die Wochenbett-Hebamme Julia Keiner.

Ilenia Geburtshaus Matthea
«Es war eine unbeschreiblich kraftvolle, ja magische Erfahrung und in Bezug auf die erste Geburt sehr heilsam»
Ilenia, Mutter

So ging es auch der jungen Mutter Ilenia. Sie hat vor knapp sechs Wochen ihre Tochter im Matthea zur Welt gebracht. Es war ihr zweiter Aufenthalt in dem Geburtshaus. Schon mit ihrem heute 3-jährigen Sohn war sie dort. Damals allerdings erst für das Wochenbett. Begonnen hatte die Geburt im Matthea, aber nachdem es trotz geplatzter Fruchtblase 24 Stunden lang nicht weiterging, wechselte sie ins Spital. «Diese erste Geburt erstreckte sich über quälende 45 Stunden und hinterliess eine Spur traumatischer Erinnerungen», sagt sie. Als sie dann fürs Wochenbett wieder ins Geburtshaus ging, sei es wie ein Heimkommen gewesen.

Sie war davon überzeugt, dass das frühe Platzen der Fruchtblase bei der ersten Schwangerschaft ein Unglücksfall gewesen war und hielt sich «streberhaft» an alle Regeln, um Stress und Belastung zu verhindern. «Bei der zweiten Geburt kam ich um ca. 22:15 Uhr im Matthea an und meine Tochter kam knapp 2 Stunden später, drei Minuten nach Mitternacht, am Geburtstag meines Mannes und verstorbenen Grossvaters auf die Welt. Es war eine unbeschreiblich kraftvolle, ja magische Erfahrung und in Bezug auf die erste Geburt sehr heilsam», erzählt sie. 

Das Engagement der Matthea-Hebammen mit ihrem enormen Wissens- und Erfahrungsschatz sei ihrer Meinung nach etwas ganz Besonderes. «Das ist auch der Grund, wieso ich trotz meiner ersten Geburtserfahrung es ein zweites Mal im Matthea versuchen wollte», sagt Ilenia.

                 Geburtshaus Matthea, Henriette von Allmen, Bereichsleitung Administration
»Es fällt mir schwer den schwangeren Frauen Absagen zu erteilen»
Henriette von Allmen, Bereichsleiterin Administration

Das Matthea ist innerhalb der fünf Jahre schnell gewachsen. Die Nachfrage war von Anfang an gross. Aktuell ist die Geburtshilfe bis Ende Oktober ausgebucht, das Wochenbett bis Ende Juli. Henriette von Allmen, die Bereichsleiterin Administration muss schwangeren Frauen deshalb immer wieder Absagen erteilen. «Das fällt mir sehr schwer», sagt sie. 

«Dieses rasante Wachstum haben wir unterschätzt», sagt Brigger. «Uns war nicht klar, dass das passieren wird und was es bedeutet, unsere Grundwerte Tag für Tag zu pflegen, auf Leitungsebene und auch jede für sich». Es sei einerseits schön, dass das Geburtshaus so beliebt ist, aber es sei trotzdem kein Selbstläufer. Es brauche viel Achtsamkeit, Flexibilität und ein effizientes Personalmanagement – erst recht in einem Betrieb, der mit so unplanbaren Herausforderungen wie Geburten zu tun hat.

Badewanne Matthea
Die ikonische Badewanne in einem Geburtszimmer. (Bild: zVg)

Trotz des ausgeklügelten Systems von Henriette von Allmen im Sekretariat geht es am Ende nie wirklich auf. Mal sind alle Betten belegt, mal ist der Wochenbettbereich fast leer, je nachdem wie sehr sich die Babys an den errechneten Geburtstermin halten.

Knappe Ressourcen

 

Das Personal ist das limitierende Element beim Wachstum. Das heisst, gäbe es mehr Hebammen, gäbe es auch mehr Plätze für Geburten im Matthea.

Die Geschäftsführerin engagiert sich daher dafür, dass die Berufsgruppe der Hebammen bei der Pfflegeinitiative auch berücksichtig wird und der Kanton Basel-Stadt analog zu anderen Kantonen für die Betriebe, die Hebammen ausbilden Ausbildungszulagen auszahlt. Damit könnte die Anzahl der Praktikumsplätze für Studierende erhöht werden.

Bis dahin müssen die Hebammen im Matthea mit den Ressourcen arbeiten, die sie haben und gut zusammenspannen. Brigger erinnert sich an einen Moment, als angekündigt wurde, dass in einer Stunde eine Zwillingsmama eintreffen wird. «Die Hauswirtschafterin hatte einen wahnsinnigen anstrengenden Tag und war gerade in der Pause, also habe ich geschaut, wer mir helfen kann, das Zimmer und das Bad zu putzen und herzurichten. Am Schluss hat das Leitungsteam gemeinsam geschrubbt, damit alles parat war und die Zwillingsmama gut ankommen konnte.»

Hebammen geleitete Geburt

 

Aber was macht nun eigentlich eine Geburt im Matthea aus? Wie unterscheidet sich die Arbeit der Hebammen im Spital und im Geburtshaus? Das zu verstehen, sei essenziell auch um Ängste abzubauen, sagt Brigger. Immer wieder kämen bei interessierten Schwangeren die Sorge auf, eine Geburt ausserhalb des Spitals sei zu unsicher. Wenn man dann gemeinsam anschaue, was die Unterschiede sind und welche Sicherheitssysteme es gibt, würden sich die Ängste meistens auflösen.

                 Geburtshaus Matthea, Margarita Kennedy, Therapeutin für Ortho Bionomy und Ilan Lev Methode
«Manchmal müssen erst die Tränen fliessen, aber dann kommt der ganze Prozess in Fluss und Knoten lösen sich»
Margarita Kennedy, Therapeutin

Ein wichtiger Grundsatz der Geburtshilfe im Geburtshaus ist, dass sie hebammengeleitet ist. Die Hebamme arbeitet also in eigener Verantwortung und gestaltet die Geburt gemeinsam mit der Frau. «Das geschieht im Wissen darum, dass die Frau die Expertin für ihren Körper, ihr Leben und das Geschehen unter der Geburt ist», sagt Brigger. Die Hebamme verstehe sich als diejenige, die Raum gibt und der Frau hilft herauszufinden, was ihr Weg ist in diesem Grenzgeschehen. «Wir arbeiten mit dem Beleghebammensystem, wir kennen die Frau also gut, wenn sie in die Geburt startet. Wir konnten sie während den Schwangerschaftskontrollen kennenlernen und herausfinden, was sie an Unterstützung braucht.» 

Hier kommt dann oft Margarita Kennedy ins Spiel. Sie ist Therapeutin und bietet verschiedene Kurse zur Begleitung der Schwangerschaft und des Wochenbetts an. «In den Kursen können Frauen lernen, sich über den eigenen Körper zu verstehen und die eigenen Grenzen besser kennenzulernen,» sagt Kennedy. Sie erlebe immer wieder, wie Frauen bei gewissen Themen Blockaden haben, die sich durch die Körperarbeit und den Austausch lösen würden. «Manchmal müssen erst die Tränen fliessen, aber dann kommt der ganze Prozess in Fluss und Knoten lösen sich», sagt sie.

 

Julia Keiner, Matthea Geburtshaus
«Es macht mich jedes Mal so dankbar zu sehen, wie froh die Frauen nach der Geburt im Spital sind, hier anzukommen»
Julia Keiner, Wochenbett-Hebamme

Brigger ist überzeugt, so wird der Boden für ein positives Erlebnis geschaffen. «Wir können so dafür sorgen, dass die Schwangere gesund und mit allem was sie braucht in die Geburt startet, das ist eine ganz andere Herangehensweise als wenn man mit einem akuten Geschehen ankommt und es hauptsächlich darum geht, zu verhindern, dass etwas Schlimmes passiert.

Für die allermeisten Frauen ist eine Geburt im Spital allerdings weiterhin die erste Wahl. Nur ein Bruchteil der Babys in Basel kommt ausserklinisch zur Welt.

Im Notfall ins Spital

Im Matthea finden die Geburten in der Etage unter dem Wochenbett statt. Es gibt zwei Geburtszimmer, beide sind mit der ikonischen, muschelförmigen Holzbadewanne ausgestattet, die auch das Logo ziert.

Trotz der guten Vorbereitung kann es auch im Geburtshaus unter oder nach der Geburt zu Komplikationen kommen. Wirklich schnell gehen muss es vor allem, wenn es nach der Geburt zu starken Blutungen kommt. «Meistens können wir dann aber einfach ins Unispital rüber fahren», sagt Brigger. Notfälle, in denen jemand mit Blaulicht ins Spital gebracht werden muss, gebe es ungefähr einmal pro Jahr. Die Zusammenarbeit mit dem Ärzt*innen- und Hebammen-Team im Unispital lobt Brigger in den höchsten Tönen. «Alle Beteiligten sind immer sehr bedacht um eine gute Übergabe und regelmässigen fachlichen Austausch».

Wenn die Familien das Matthea nach vier Tagen Wochenbett verliessen und sich überschwänglich bedankten für die Unterstützung beim Stillen, die unzähligen Quarkwickel, die beruhigenden Worte und helfenden Hände, dann sei das einer der schönsten Momente für die Wochenbett-Hebamme Verena Probst. «So eine Dankbarkeit erlebt man sonst wirklich selten und es macht so Freude, die Familien ein bisschen zu verwöhnen, hier und da etwas Besonderes für sie zu machen.»

 

Den fünften Geburtstag feiert das Matthea mit einem Tag der offenen Tür am 27. April von 11 Uhr bis 16 Uhr im Geburtshaus. 

Disclaimer: Die Autorin des Artikels hat ihre Kinder im Geburtshaus Matthea geboren und das Wochenbett dort verbracht. 

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