Langweilig? Dann zieh dir doch ein bisschen Kultur rein
Kunst ist bekanntlich Geschmackssache und ob Serien dazu gehören, ist umstritten. Die Bajour-Redaktion empfiehlt folgende Bücher, Filme, Alben und so weiter.
Kulturelle Höhepunkte waren im Jahr 2020 gar nicht so leicht zu erreichen. Das Angebot im real life, abseits der Screens, war mager. Ein paar legale Stimmungsaufheller gab es trotzdem. Wir Redaktor*innen haben für dich aufgeschrieben, was uns dieses Jahr kulturell begeistert hat. Viel Spass beim Konsumieren! 🍿
Tipps von Naomi 📚
Bestes Buch: «Normal People» von Sally Rooney. Eine Liebesgeschichte, fein und intelligent und trotzdem gewaltig.
Bester Film: «The Assistant». Ein leiser Film über sexualisierte Gewalt, der nichts zeigt und deshalb sehr viel aussagt. Für mich 2020 die prägnanteste (und unbequemste) Auseinandersetzung mit der Kultur des Wegschauens, die sexualisierten Machtmissbrauch ermöglicht.
Beste Serie: Die englische Serie «Fleabag». Womöglich die beste Serie aller Zeiten. Es geht um eine Frau, die nichts auf die Reihe kriegt. Mehr kann ich dazu nicht sagen, keine Beschreibung wird diesem Wunderwerk gerecht. Schaut's einfach. Jetzt.
Bestes Album: «Róisín Machine» von Róisín Murphy. Hach, Róisín Murphy, Göttin des Electrodiskosynthpop oder wie auch immer man das Feuerwerk nennen will, das du hier produziert hast. Wie kann man dich nicht lieben, verfliegen doch alle Corona-Sorgen sobald du den Mund aufmachst.
Bester Podcast: «How to save a planet» von Gimlet Media. Fragt die wichtigen und unangenehmen Fragen zum Klimawandel, redet mit Expert*innen, erzählt wahnsinnig gut. Ist genau recherchiert und einfach (wie alle Gimlet Podcasts) grosse journalistische Kunst.
Beste Ausstellung: Julian Charrière im Aargauer Kunsthaus. Der Westschweizer Charrière ist einer der besten Künstler, den die Schweiz momentan auf Lager hat. Ich versprech's euch. Und die Ausstellung läuft noch, also hopp hin wenn die Museen irgendwann wieder aufmachen. Bis dahin kann man sich hiermit vertrösten.
Bestes Konzerterlebnis: Evelinn Trouble bei Gärngschee Kutur.
Tipps von Valerie 🎶
Bestes Buch: «Alte weisse Männer» von Sophie Passmann. Sie führte Interviews mit berühmten alten Männern aus Fernsehen, Musik und Medien und fragte: «Sind Sie ein alter weisser Mann?» Ein Buch über Feminismus und toxische Männlichkeit gespickt mit witzigen Anekdoten und absurden Situationen.
Bester Film: «Roma», ein Film völlig ohne Filmmusik, spielt in Mexiko, Hauptfigur ist eine junge Frau, die bei einer Mittelstandsfamilie als Hausangestellte arbeitet. Es geht um Feminismus, Klassenunterschiede und noch viel mehr. Billie Eilish hat auch einen Song darüber geschrieben («When I was older»), dann muss er ja gut sein. 😉
Beste Serie: «Outer Banks» spielt in den USA, gut, um der aktuellen Situation zu entfliehen. Vier Jugendliche, die auf ein Schiffswrack stossen, und dann beginnen, zu ermitteln. Gleichzeitig kämpft einer der vier gegen Foster Care, weil sein Vater verschwunden ist.
Bestes Album: «12» von AnnenMayKantereit, bestes Lied: «Die letzte Ballade». Ist während des Lockdown entstanden. Alle Audio-Aufnahmen wurden mit Handy/Computer gemacht, gibt dem Album einen speziellen, persönlichen Touch. Henning May, der Sänger, singt im Album über die aktuelle Situation, darüber wie Menschen damit umgehen und die drohende und aktuelle Gefahr des Klimawandels. Die Songs thematisieren auch die Nachrichtenflut 2020, und dass das überfordern kann.
Bestes Konzert-Erlebnis: Der Livestream der französischen Künstlerin «Pomme» im Juli 2020, den ich nur schauen konnte, weil ich ennet der Grenze vom Genfersee war und damit Zugriff auf französisches Fernsehen hatte. Ihre Musik kann man wohl am besten beschreiben als Mischung aus Folk und Pop. Fast ausgeflippt bin ich dann, als sie einen Song von Billie Eilish («Bad guy») gecovered hat.
Tipps von Franziska 🎧
Bester Film: Ich habe nicht mehr so viel Filme geguckt, sondern eher Serien gebinged. Aber um die Weihnachtszeit läuft ja immer «Love actually». Und ich weiss, ich weiss, das ist Kitsch pur, aber sowas tut doch auch mal gut. Die kleinen Liebesgeschichten, die mal schöner und mal tragischer verlaufen und die ganze Welt, die sich irgendwie gern hat. Die Flucht in dieses Heile-Welt-Trara ist manchmal nötig.
Bestes Album: Das neue Album von Sophie Hunger, Dino Brandao und Faber. Alle drei singen und raunen dir «Ich liebe dich» ins Ohr. Und ich nehme es allen ab. Das ist momentan meine Kuscheldecke für den Winter.
Bester Podcast: Ach, da gibt es so viele. Mein go to ist immer «This American Life». Kurze Alltags-Geschichten zu irgendeinem Thema, dass Amerika, die Welt, gerade beschäftigt. Aber was ich in letzter Zeit auch oft hör, ist der Untenrum-Podcast von Bajour-Kollegin Naomi. Den kann ich euch echt empfehlen, weil nur Naomi es schafft, dass ihr Gegenüber völlig entspannt Intimstes erzählt. Und du wirst gleich Teil der Runde.
Bestes Konzert-Erlebnis: 2020 ist das grad echt schwierig zu beantworten. Da gab's nicht wirklich viel. Ein lustiges Konzerterlebnis war der Auftritt von «Les Touristes» in den Langen Erlen – weil die einfach top unterhalten können. Hier beweisen sie es.
Tipps von Daniel 📀
Bestes Buch: Jörg Fauser, Rohstoff. Kein anderes Buch hatte so viel Punch. Es ist eine mürbe Männershow, schon klar. Drogen, verkannte Geniegefühle, Liebe, Sex, Vagabundentum, altmodische Themen für wehleidige Kerle. Aber wenn man genau hinschaut, ist auch ziemlich viel Selbstironie und, wenn man wirklich wirklich will, vielleicht sogar ein bisschen kritische Männlichkeit dabei. Ausserdem ist das einfach verdammt gut geschrieben. Ich hatte Spass.
Bester Film: «David Attenboroughs Life of the Birds», oder so, der Mann hat ja sehr viele Tierfilme gemacht. Sonntagnachmittag verstrahlt lockdownstyle auf dem Sofa hängen und dann, Vorhang auf, der Balztanz der Paradiesvögel. Das ist so dermassen lustig und eitel, ich könnte die Szene hundertmal schauen. Hab ich wahrscheinlich auch gemacht. Diese Szene meine ich.
Beste Serie: Ich hab nichts Neues geschaut, weil ich immer den ganzen alten Stuff aufholen muss. Euphoria auf HBO ist für mich die beste Serie des Jahres.
Bestes Album: Alben? Wer hört noch Alben? Das neue von Zeal & Ardor fand ich stark. Wake of a Nation. Politisch stark, musikalisch stark. Sogar das Cover ist stark. Fuck 2020 von Scooter hab ich auch oft gehört.
Bester Podcast: Die Ezra Klein Show bei Vox. Zum Beispiel die Folge, in der ein Neurowissenschaftler über die toxische Verschränkung von Stress und Armut spricht.
Beste Ausstellung: Ich mag die Sticker, die im St. Johann Quartier an den Strassenschildern und Laternenmasten kleben. Die Basler Stickerkultur ist seit ein paar Jahren im Hoch. Bravo!
Bestes Theater-Erlebnis: Trumps Abwahl.
Tipps von Andrea 📼
Bestes Buch: «Herkunft» von Saša Stanišić über die Flucht aus Bosnien und das (Nicht-) Daheimfühlen in Deutschland. Das klingt jetzt so super abstrakt, aber eigentlich erzählt er einfach aus dem Alltag eines Knaben, wie er sich mit seinen Grossvater unterhält, mit Freunden abhängt, sich für seine Eltern schämt. Oh, nein, der hat ja den Deutschen Buchpreis gewonnen. Dann kennen den ja eh schon alle. In dem Fall: «Tamangur» der Bündnerin Leta Semadeni. Sie schreibt wie die Dichterin, die sie ist. Ein Mädchen wächst bei der Grossmutter im Engadin auf. Die Eltern sind weg, weil ihr Bruder ertrunken ist und die Eltern ihr die dran Schuld geben. Zeigt, wieviel – und wenig – ein Mensch braucht, um sich in der Welt einigermassen geborgen zu fühlen.
Beste Serie: «Ted Lasso». Ein amerikanischer Football-Coach trainiert eine englische Fussballmannschaft und weiss nicht mal, was ein Offside ist. Genau wie ich! Trotzdem holt er mit seinen Kalauern und seiner unzerstörbaren Naivität das Beste aus seinen Spielern heraus. Sehr lustig, sehr härzig.
Bester Podcast: Während des Alltags höre ich «nur» News. In den Ferien fange ich jeweils neue Podcasts an. Am Ende lande ich doch wieder bei der «Sternstunde Philosophie» auf «SRF». Ist kein richtiger Podcast, aber ein guter Kompromiss in meinem Leben: Für komplizierte philosophische Texte fehlt mir die Ruhe, die «Sternstunde» serviert sie mir in leicht verständlicher Interviewform. Ausserdem mag ich Barbara Bleisch, diesen klugen Kopf. Wie sie locker mal schnell die griechische Philosophie auf unseren Alltag runter bricht: Ehrfurcht.
Bestes Konzert-Erlebnis: Manuel Gagneux bei Gärngschee Kultur ist mir unter die Haut.
Tipps von Ina 🎭
Bestes Buch: «Damals», Siri Hustvedt. Eine Frau blickt auf ihr Leben zurück – auf damals eben, als sie für ihr Literaturstudium nach New York ging, besondere Freundschaften schloss und versuchte, eine Stimme als Autorin zu finden. Es gibt einige Parallelen zu Hustvedts eigener Biografie. Habe es verschlungen.
Bester Film: «Hillbilly Elegy». Basiert auf den wahren Erlebnissen von J. D. Vance und seiner Familie aus Kentucky. Vances Mutter ist drogenabhängig, seine Grosseltern müssen ihn aufziehen. Später schafft er es zum Jurastudium an die Yale University. Dieser Film hat mich sehr mitgenommen, da er nicht nur die weisse Unterschicht porträtiert, sondern auch zeigt, was Familie bedeutet.
Beste Serie: «After Life» mit und von Genie Ricky Gervais. Gervais spielt einen melancholischen und selbstmordgefährdeten Kleinstadt-Journalisten, der seine Frau verloren hat. Britischer Humor at its best und manchmal zum Heulen traurig.
Bestes Album: Ich habe kein wirkliches Album 2020, aber ein Lied, das ich immer mal zum Aufheitern und Abdancen gehört habe: Don’t Stop Me Now (Queen).
Bester Podcast: Mein Lieblingspodcast ist seit Langem «Armchair Expert with Dax Shepard», daran hat sich nichts geändert. Dax Shepard und seine Co-Hostin Monica Padman sprechen mit Schauspieler*innen, Autor*innen und Wissenschaftler*innen über deren Leben, Leidenschaften und irgendwie höre ich da gern zu. Nichts Anspruchsvolles, einfach ein paar inspirierende Gespräche.
Bestes Theater-Erlebnis: Das Weinen (das Wähnen) im Schauspielhaus Zürich, nach Texten von Dieter Roth, inszeniert von Christoph Marthaler. Typisch Marthaler: schön schräg, klug und sehr unterhaltsam.
Tipps von Adelina 📽
Bestes Buch: «Streulicht» von Deniz Ohde. Sprachgewaltig beschreibt Ohde in ihrem Roman, mit welchen Herausforderungen sie als junge Frau mit Migrationshintergrund konfrontiert war und ist und gibt damit Menschen wie mir eine Stimme.
Bester Film: «Walk the Line» mit Joaquin Phoenix als Johnny Cash und Reese Witherspoon als June Carter. Ich habe den Film tatsächlich erst dieses Jahr zum ersten Mal geguckt. Auf sehr intime und emotionale Weise zeichnet der Film Johnny Cashs Weg zum Star nach, verwoben mit der einzigartigen Liebesgeschichte von ihm und June Carter.
Beste Serie: Tough one. Da gäbe es viele. Ich würde sagen «The Morning Show» mit Jennifer Aniston und Reese Witherspoon in den Hauptrollen. Es geht um Journalismus, es geht um Macht und um #MeToo und ist eindrücklich, unbequem, mitreissend und lässt einen so schnell nicht mehr los.
Bestes Album: Die deutsche Trap-Künstlerin Haiyti hat dieses Jahr gleich zwei neue Alben gedroppt. «SUI SUI» und «Influencer». Die Beats, die Lyrics und Haiytis Attitüde – die mal eiskalt und dann wieder verletzlich ist – überzeugen einfach.
Bestes Theater- oder Konzert-Erlebnis: Ich war leider an keinem Konzert oder einer Aufführung in diesem Jahr. 😢 Vermisse es unheimlich und hatte mich sehr auf die Indie-Rockmusikerin Tess Parks gefreut, die im April in Zürich aufgetreten wäre. Oder das Airwaves Musikfestival in Island, das eigentlich diesen November hätte stattfinden sollen. Aber leider musste beides bis auf Weiteres verschoben werden. Nächstes Jahr möchte ich das Tanzstück «Giselle» im Theater Basel schauen gehen.
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