Rot-Blau einmal anders
Sowohl bei der LDP als auch bei der SP werden diese Woche neue Präsidien gewählt. Gabriel Nigon beziehungsweise Julia Baumgartner verbindet politisch zwar kaum etwas, charakterlich sind sich die zwei neuen Chef*innen aber nicht unähnlich.
Diese Woche laden SP und LDP zu richtungsweisenden Versammlungen ein. Hüben (LDP) wie drüben (SP) wurden und werden neue Präsidien gewählt. Überraschungen geben dürfte es dabei allerdings keine. Bei den Liberalen ist der Grossrat Gabriel Nigon gestern von den Delegierten bereits bestätigt worden, somit übernimmt er nach zwölf Jahren die Partei von LDP-Nationalrätin Patricia von Falkenstein.
Und bei den Genoss*innen wird Julia Baumgartner am Donnerstag wohl ebenfalls zur Präsidentin gewählt. Sie beerbt Lisa Mathys. Die beiden neuen Köpfe der Parteien werden von einem Co-Vizepräsidium unterstützt. Im Falle von Nigon bestehend aus dem Grossrat Michael Hug und Noëmi Crain Merz, Einwohnerrätin und Präsidentin der LDP Riehen Bettingen. Und im Falle von Baumgartner stellen sich SP-Grossrätin Barbara Heer und Thomas Fastermann, zuständig für die Online-Kommunikation beim Schweizerischen Gewerkschaftsbund, fürs Co-Vizepräsidium zur Verfügung.
Wer sind die beiden und was darf man von ihnen erwarten?
Grosse Flossen, kleine Klappe
Zuerst zu Nigon. Der 69-Jährige ist seit 2014 Mitglied der LDP und sitzt seit 2023 für sie im Grossen Rat. Bekannt ist der Vater zweier Kinder der Basler Bevölkerung auch als ehemaliger Profi-Fechter und Anwalt, tätig bei Nigon Rechtsanwälte, dessen Kanzlei sich direkt am Marktplatz befindet. Hier erzählt Nigon bei einem Kaffee, dass er seinen Degen heute nur noch privat in die Hand nimmt, Sport aber immer noch ein wichtiger Bestandteil in seinem Leben sei. Er sitzt in der Justiz-, Sicherheits- und Sportkommission, ist Stiftungsrat der Basel Sportstiftung sowie Mitglied beim Basler Sportbeirat. Als Anwalt hat er viel mit Immobilienrecht zu tun, da passt es gut, dass er, der in seiner Freizeit auch bildender Künstler ist, auch in der Raumplanungskommission Einsitz hat.
«Ich habe grössere Füsse als Patricia.»Gabriel Nigon, LDP-Grossrat und neuer Parteipräsident
«Nein, es ist nie mein Ziel gewesen, Präsident der LDP zu werden», sagt er. Und lacht. Als Patricia von Falkenstein sich am letzten Tag vor dem Jahreswechsel bei ihm meldete, sei er überrascht gewesen und habe erstmal «tief schnaufen müssen». Nicht etwa, weil er Angst davor habe, in ihre grossen Fussstapfen zu treten: «Ich habe grössere Füsse als Patricia», sagt er mit Selbstironie und hebt sie hoch, «ich habe grosse Flossen». Und Nigon lacht erneut. Er, der Quereinsteiger, der keine politische Karriere hinter sich habe, der aus dem Anwaltsberuf, dem Sport komme. Doch: «Als ich mich mit dem Amt und der Geschichte der Partei auseinandergesetzt habe, hat es mir den Ärmel reingenommen.» Zum Glück, möchte man hinzufügen, denn die LDP hat sich, zumindest von aussen betrachtet, einigermassen schwer getan, mögliche Kandidat*innen für die Nachfolge der «Grande Dame der Basler Politik», wie von Falkenstein gerne genannt wird, zu finden. Zuletzt sagte LDP-Grossrat Alex Ebi ab, er erachte sich (mit seinen 61 Jahren) als «viel zu alt». Zur Erinnerung: Nigon ist 69 Jahre alt.
Als neuer Präsident möchte er, der gebürtige Franzose, «dagegenhalten, dass die demokratischen Strukturen und der Rechtsstaat weiter erodieren.» Nigon sagt: «Wir haben hier in Basel und der Schweiz viele Privilegien, denen wir uns nicht mehr bewusst sind.» Er möchte an Bewährtem festhalten, es sei toll, was von Falkenstein aufgebaut habe. Die mit dem Neustart verbundene politische Agenda wird er jedoch nicht alleine, sondern zusammen mit dem Vorstand und der Fraktion erarbeiten. So möchte er sich auch (noch) nicht dazu äussern, wie er sich die zukünftige Zusammenarbeit mit den bürgerlichen Parteien vorstellt. Weder möchte er sagen, ob er eines Tages mit der FDP fusionieren wolle (was von Falkenstein immer ablehnte), noch wie er sich gegenüber künftigen Schulterschlüssen mit der SVP positioniert (die von Falkenstein verteidigte).
«Nigon braucht eine Crew, die mit ihm arbeitet.»Olivier Battaglia, LDP-Grossrat
Was er heute sagen könne, ist, dass er die LDP neu organisieren werde. So solle es künftig Kompetenzteams geben, die mit viel Autonomie ausgestattet würden. Derzeit werde definiert, welche Handlungsfelder es brauche. Sport werde auf jeden Fall eines davon sein («Wir brauchen neue Sportanlagen!»). Auch an der Sichtbarkeit möchte Nigon arbeiten, hat die LDP in der Vergangenheit doch selbstkritisch eingeräumt, die Jungen nicht allzu gut zu erreichen. Bauunternehmer Flavio Spaini, neu Vorstandsmitglied der LDP, soll hier zusammen mit Benjamin von Falkenstein, dem Sohn von Patricia von Falkenstein, der die letzten Grossratswahlen tätschmeisterte und sich selbstironisch als Twitter-Rambo bezeichnete, vorwärts machen. Dass Nigon ein Teamplayer (oder wie er selbst sagt: «Teamcoach») ist, bestätigt sein LDP-Grossratskollege Olivier Battaglia auf Anfrage: «Nigon braucht eine Crew, die mit ihm arbeitet.» Er sei gut vernetzt und wisse, wohin es gehen solle, auch wenn er eher der ruhige Schaffer sei.
Ist Nigon nun der lebende Beweis dafür, dass die LDP keine Erbdynastie ist, wie von Falkenstein erst gerade kürzlich in der bz wieder betonen musste? Nigon sagt, er habe die LDP nie als Erbdynastie empfunden. «Aber klar, es ist wie im Sport: Es gibt Familien, in denen alle Mitglieder Sport machen, da haben die Kinder das Know-how quasi in der DNA, das Gleiche gilt für die Politik.»
Während die SP (und auch die Mitte) auf jüngere Parteispitzen setzen, ist Nigon schon im fortgeschritteneren Alter. Ist das ein Vor- oder Nachteil? «Ich habe einen grossen Rückspiegel, gleichzeitig bin ich vorwärts orientiert, durch den Sport, durch meinen Beruf. Aber ja, mein Alter ist mit ein Grund, warum ich mit meinen Vizes auch jüngere Menschen ins Boot holen wollte.» Er ist überzeugt: «Somit ist die LDP für die Zukunft gut aufgestellt.»
Julia for SP-Präsidentin
Das Gegenteil von alt ist dafür das neue Gesicht der SP. Ab Donnerstag wird die wählerstärkste Partei des Kantons wohl von der 30-jährigen Neo-Grossrätin Baumgartner präsidiert; das Dreiergespann (mit Heer und Fastermann) tritt konkurrenzlos an, weshalb die Wahl reine Formsache sein sollte. Baumgartner folgt auf Lisa Mathys, die sich nach vier Jahren, davon zwei Jahre intensiver Wahlkampf, nicht mehr zur Verfügung stellt. In ihre Amtszeit fallen einige Erfolge der SP, etwa die Verbesserungen im Bereich der Kitas sowie der Mindestlohn.
«Sie kennt das Business des Politspiels.»Michela Seggiani, SP-Grossrätin und Fraktionschefin
Baumgartner zählt nicht zur ersten Garde der Basler SP, wie die bz nach Bekanntgabe ihrer Kandidatur schrieb, dennoch ist die Begeisterung über ihre Kandidatur in der Partei gross. Und sie selbst sagt beim Treffen mit Bajour im Klara: «Ich habe viel Erfahrung», in Basel-Stadt, dem Baselbiet (als ehemalige Co-Präsidentin der Juso), aber auch national, wo sie zu 60 Prozent im Zentralsekretariat der SP-Frauen arbeitet. «Ich bin in der Partei stark verankert, kenne deren Breite und Vielfalt».
Als Kampagnenleiterin weiss sie neben der politischen Arbeit im Parlament auch, wie Bewegungsarbeit geht: 2021 war sie zum Beispiel bei der Abstimmung zum Mindestlohn federführend. Sie weiss zu mobilisieren, was Menschen beschäftigt. Zu ihrer neuen Herausforderung sagt sie: «Ich kandidiere, weil ich den Gestaltungsraum der Politik nutzen will – für echte Verbesserungen im Alltag der Menschen.»
In der Partei scheint Baumgartner auch wegen ihres jungen Alters Support zu geniessen. So wünscht sich beispielsweise SP-Fraktionschefin Michela Seggiani: «Dass sie es schafft, Junge zu motivieren, in die Politik zu gehen.» Nicht zuletzt lobt Seggiani die Erfahrung von Baumgartner auf nationaler Ebene: «Sie kennt das Business des Politspiels.» Die beiden Frauen sitzen gemeinsam in der Finanzkommission. Hier meint Seggiani: «Baumgartner ist analytisch und überlegt, sie ist kompetent und arbeitet sich gut ein.» Auch Baumgartner wird als zurückhaltend bezeichnet, scheint als ehemalige Chorleiterin aber dirigieren zu können. Doch sie kann auch aufdrehen, möchte bei Sprudelwasser mit Zitrone mal schnell die Welt verbessern. Und fängt damit in Basel an.
«Wir müssen soziale Sicherheit als breiteren Begriff denken.»Julia Baumgartner, SP-Grossrätin und designierte Parteipräsidentin
Dem Kernanliegen der SP, der sozialen Gerechtigkeit, bleibt sie treu, sie möchte den Kanton lebenswerter gestalten: «Dafür müssen wir soziale Sicherheit als breiteren Begriff denken, die Menschen müssen sich ökonomisch, aber beispielsweise auch auf den Schulwegen sicherer fühlen.» Auch brauche es besseren Schutz vor Gewalt; «soziale Gerechtigkeit heisst, niemanden zurückzulassen – besonders nicht jene, die oft übersehen werden.»
Spricht man mit Baumgartner, spürt man schnell, dass ihr der weltweite Backlash durch Trumps und Co. zu schaffen macht. Doch sie sagt: «Ein Rückzug ins Private ist keine Option, wir leben hier nicht auf einer Insel. Wir nutzen im Kanton unseren politischen Spielraum, um konkret etwas zu verändern. Und wir tun dies mit einem klaren Kompass: solidarisch, offen und gerecht» Ihre Vision für die Partei? Sie möchte die Vielfalt in der Partei pflegen und an den Parteistrukturen arbeiten, damit sich junge Eltern künftig politisch einfacher engagieren können.
Wie tief gründen stille Wasser?
Weder Nigon noch Baumgartner haben bisher an vorderster Front für ihre Parteien gekämpft – und mussten das auch nicht zwingend. Ob sie ihre bescheidene Art ablegen, wenn sie ab dieser Woche ihre neuen Hüte tragen, wird sich zeigen. «Stille Wasser gründen bekanntlich tief», sagt Claudia Baumgartner, GLP-Grossrätin und selbst Vizepräsidentin. GLP-Baumgartner ist zuversichtlich, dass die beiden in ihre neue Rolle «hineinwachsen».
«Stille Wasser gründen bekanntlich tief»Claudia Baumgartner, GLP-Grossrätin und selbst Vizepräsidentin
Nigon hofft für die zukünftige Zusammenarbeit mit der SP, «dass keine unserer Parteien für sich beansprucht, die alleinige Heilsbringerin für unseren Kanton zu sein.» Und: «Zusammengesetzte Perspektiven ergänzen sich und produzieren bessere Lösungen.»
Und Baumgartner sagt: «Der respektvolle Austausch ist wichtig, erleben wir doch eine gewisse Verrohung in der Gesellschaft.» Doch Tatsache ist auch, dass die beiden Parteien für diametral verschiedene Anliegen kämpfen: «Das Klientel der SP lebt im Klybeck, jenes der LDP auf dem Bruderholz.»