Schwammstadt

Regenwasser neu denken

Im Volta Nord soll Regenwasser künftig nicht mehr im Gulli entsorgt werden, sondern vor Ort versickern, Bäume versorgen und das Quartier kühlen. Wie die Schwammstadt funktioniert und welche Massnahmen für sie nötig sind, erklärt Frieder Kaiser, Leiter Fachbereich Klima, im Interview.

Interview Frieder Kaiser Schwammstadt
Eine zentrale Massnahme bei der Schwammstadt ist das Entsiegeln der Böden. (Bild: zVg, Collage: Bajour)

Herr Kaiser, was ist eine Schwammstadt?

Die Schwammstadt ist ein städtebauliches Konzept, das seine Ursprünge in Asien hat und insbesondere in Europa immer mehr Anwendung findet. Dabei geht es darum, Städte zu kühlen und Regenwasser als Ressource zu nutzen. Im Prinzip bedeutet es einen Paradigmenwechsel im Umgang mit dem Regenwasser. Es wird nicht mehr einfach abgeleitet in die Kanalisation und entsorgt, sondern als Ressource für die Vegetation genutzt, weil wir immer mehr mit Trockenheit zu kämpfen haben. Ausserdem dient das Konzept als Vorsorge gegen Überschwemmungen infolge von Starkregen. 

Fehlt das Regenwasser dann an anderer Stelle?

Ich denke nicht, nein. Wir arbeiten in der Schwammstadt vorwiegend mit wenig verschmutztem oder sauberem Regenwasser. Es braucht zwar eine gewisse Menge an Wasser in der Kanalisation und in der Kläranlage, damit die Leitungen gespült sind und es nicht zu Geruchsbelästigungen kommt, aber dafür wird es immer noch genügend Wasser geben. Wir nutzen es nur besser.

Sie haben die Trockenheit und den Starkregen angesprochen. Sind es diese Faktoren, die die Schwammstadt notwendig machen?

Genau. Der Klimawandel ist schon jetzt spürbar in den Städten, es bilden sich Hitzeinseln, weil die Böden in den Städten versiegelt sind. Und durch die Hitze kommt es zu stärkeren Regenfällen in kürzerer Zeit, was irgendwann die Kanalisation überlastet. 

Welche baulichen Massnahmen sind konkret notwendig?

Das Wichtigste ist das Entsiegeln beziehungsweise erst gar nicht zu versiegeln. Wenn man durch die Stadt geht, sieht man, dass in den vergangenen Jahrzehnten sehr viel mit Beton und Asphalt gebaut wurde. Wir versuchen, jetzt mehr Natur in die Städte zu bringen.

Visualisierung Weinlagerstrasse
Visualisierung Weinlagerstrasse. (Bild: Westpol Landschaftsarchitektur, Basel)

Ist es für die Bewohner*innen klimatisch spürbar angenehmer in einer Schwammstadt zu leben?

Die Auswirkungen des Klimawandels stellen ein ernstes Problem für vulnerable Gruppen dar. Wir von der Stadtgärtnerei wollen grosse und alte Bäume in der Stadt haben, weil das die besten Klimaanlagen sind. Damit Bäume gross und alt werden, brauchen sie gesunde Standorte mit viel Wurzelvolumen. In einer Stadt, in der es grosse und alte Bäume gibt, weil sie genügend Platz und Wasser haben, lebt es sich auch angenehmer und gesünder. 

Welche Verbesserung bringen die Massnahmen in Bezug auf den zunehmenden Starkregen?  

Dabei geht es im Prinzip um Sicherheit und um Vorbeugen von hohen finanziellen Schäden an der Infrastruktur, aber auch an Leib und Leben.

Im Volta Nord starten Sie nun bald mit dem Pilotprojekt. Was ist da genau geplant? Alte, grosse Bäume wachsen ja nicht von heute auf morgen.

Das Besondere am Areal Volta Nord ist, dass es das erste grosse Transformationsareal ist, in dem das Stadtklimakonzept konkret angewandt wird. Hier können wir die Prinzipien der Klimaanpassung, also Entsiegelung, Versickerung von Regenwasser integral planen. Das ist im Transformationsareal einfacher als im Bestand, weil man viel weniger Zwangspunkte hat, an die man sich halten muss. Weniger bestehende Gebäude, Bäume und so weiter. Man kann meistens einfacher als in der gewachsenen Stadt planen. Es wird zum Beispiel zwei grosse Parkanlagen geben.

Den Lysbüchelplatz und den Saint-Louis-Park?

Genau, das eine ist eigentlich ein Platz – es sind aber zwei grosse Grünanlagen. Der Saint-Louis-Park ist mit 22'200 Quadratmeter eine grosse Parkanlage mit einer grossen Naturschutzfläche. Der Lysbüchelplatz mit 5000 Quadratmeter wird ein Platz mit vielen Bäumen werden. Daran sieht man, dass sich der Begriff vom Platz stark gewandelt hat. Es ist nicht mehr der städtische Platz, den man aus dem Zentrum von Siena oder Rom kennt, sondern es wird ein sehr grüner Quartierplatz voller Bäume.

Visualisierung Saint-Louis-Park
Visualisierung Saint-Louis-Park (Bild: Skala Landschaft Stadt Raum GmbH, Zürich)

Parks sind ja aber in den Städten ohnehin nicht die grossen Hitzeinseln. Was wird sich zwischen den Häusern auf der Strasse verändern?

Die öffentlichen Strassen sind das Besondere, weil wir hier das Schwammstadt-Prinzip erstmals planen und umsetzen werden. Das Regenwasser wird von den Strassen über Baumstandorte weitergeleitet und versickert beidseitig in den Mulden.

Sehen die Strassen im Volta Nord dann ganz anders aus als in anderen Quartieren?

Ich glaube, es sieht gar nicht so anders aus. Was wir testen, sind neue Bauweisen – beispielsweise sogenannte Tiefbeete. Das sind Rabatten, die um 20 bis maximal 50 Zentimeter abgesetzt sind, dort wird das Wasser gestaut. Es entspricht dem Prinzip der Schwammstadt, dass man das Wasser an der Oberfläche führt bis zu dem Ort, an dem es versickert. 

Damit man keine Schächte und Rohre braucht und mehr Platz für die Wurzeln der Bäume hat?

Genau. Sobald das Wasser im Untergrund ist, wird es teuer und kompliziert, es wieder rauszuholen. Ausserdem ist die Qualität des Wassers ein wichtiger Faktor in der Schwammstadt. Wenn es versickert, wird es immer auch gereinigt über eine belebte Oberbodenschicht, die Schadstoffe binden kann, damit keine Gefahr besteht für das Grundwasser. Schadstoffe können Schwermetalle sein oder Reifenabrieb – von PFAS hört man immer mehr. 

Was braucht es im Boden, damit er das Wasser reinigt? 

Das macht die sogenannte Oberbodenpassage. Man nimmt dafür im Prinzip einen gewachsenen Boden von einem anderen Ort. Wir arbeiten aber auch intensiv mit dem Amt für Umwelt und Energie an Forschungsprojekten, in denen wir untersuchen, wie wir den Boden durch Substrate ersetzen können.

Visualisierung Lysbüchelplatz
Visualisierung des Lysbüchelplatz. (Bild: Westpol Landschaftsarchitektur, Basel)

Der Boden eines ehemaligen Industrieareals eignet sich da wahrscheinlich nicht so gut. 

Ja, deshalb werden wir nicht den Boden verwenden, der dort vorhanden ist. Im Volta Nord gibt es eigentlich keinen Boden, weil alles ehemalige Gleisstandorte sind. 

Also Boden im Sinn von Erde?

Richtig. Wir meinen damit die obersten 50 Zentimeter von einem Feld oder von Rasenfläche. Und von dem gab es im Areal Volta Nord wenig bis keinen, genau wie in anderen Arealen. Das heisst, wir müssen ihn irgendwo beschaffen. Meist kommt er dann von einem Bauvorhaben an einem anderen Ort, bei dem Grünfläche abgetragen wurde – was eigentlich keine nachhaltige Lösung ist. Deshalb wollen wir lokale und nachhaltige Substrate produzieren.

Ist es nachhaltiger, Substrate selbst herzustellen, als den Boden zu verwenden, der an anderer Stelle wegen Bauvorhaben nicht mehr gebraucht wird?

Es ist sinnvoller, wenn die Erde dort bleibt, wo sie entstanden ist. Ausserdem ist sie ja auch endlich. Wenn wir Substrate produzieren, dann können wir die Kreislaufwirtschaft mit einbeziehen und lokale Materialien verwenden. Und wenn beispielsweise im Laufental ein grosser Investor auf der grünen Wiese etwas baut, dann tut es uns weh, wenn wir da hunderte Kubikmeter Material beschaffen von diesem Ort.

Was wird der Investor denn sonst machen mit dem Material? 

Das Ziel muss natürlich sein, dass kein Boden mehr versiegelt wird. Da gibt es auch raumplanerische Gesetze in der Schweiz, die den Bodenverbrauch reduzieren. Und sonst, finde ich, müsste man das am besten sehr lokal wiederverwenden mit den ganzen Lebewesen, die darin leben. 

Wo soll das Substrat überall zur Anwendung kommen?

Durch den Fernwärmeausbau wird in Basel viel begrünt. Das sind wirklich sehr grosse Volumen und wir wissen jetzt noch gar nicht, woher wir diesen Boden kriegen sollten. Da könnten wir das eigene Substrat gut gebrauchen. Ausserdem ist die Belastung des städtischen Bodens sehr hoch – wegen den Schadstoffen, Hunden, Velos, die abgestellt werden und so weiter. Die Substrate sind verdichtbar im Gegensatz zum normalen Boden, der dann schnell schlammig wird.

Volta Nord
Modell des Areals mit Blick von Südwesten. (Bild: Ruedi Walti, Basel)

Wann starten Sie mit der Bebauung im Volta Nord?

Im zweiten Quartal 2026, oder spätestens im dritten werden die ersten Bausteine eingesetzt. Wir beginnen in der Weinlagerstrasse mit den Projekten. Ein erster grosser Versuch wird sein, dass wir den Bäumen mehr Wurzelraum geben, indem wir das Substrat, über das wir gesprochen haben, unter die Trottoirbeläge und die Fahrbahnbeläge geben. Bisher hat der Baum genau diese zwei Meter Grünstreifen zwischen Fahrbahn und Trottoir gehabt. Weil es ein Pilotprojekt ist, können wir viel ausprobieren und schauen, was sich bewährt. 

Wann kann man mit ersten Resultaten aus der Evaluierung rechnen? 

Wir werden jährlich Auswertungen machen, aber bis die ersten Resultate öffentlich vorliegen, wird es mindestens zwei Jahre dauern. So lange braucht es, bis man eine Systematik erkennt.

Ist es möglich, dass man nach der Evaluation beschliesst, das Ganze abzubrechen, weil es nicht den gewünschten Effekt erzielt hat?

Nein, ich glaube nicht, dass ein Abbruch notwendig ist. Was interessant wird, ist zu beobachten, wie sich die PFAS-Diskussion weiterentwickelt. Darüber wird gerade immer mehr gesprochen und diese Ewigchemikalien sind überall zu finden, auch im Grundwasser. Das wird uns sicher noch beschäftigen. Vielleicht werden einzelne Ideen nicht weitergeführt, aber dafür ist das Pilotprojekt da, damit wir ausprobieren, was wir an anderen Orten in Basel anwenden können. 

Wird die Basler Innenstadt irgendwann auch zur Schwammstadt?

Das erste Areal wird das Volta-Nord sein. Das zweite ist das Areal Walkeweg. Das kommt kurze Zeit später. Und dann ist im Prinzip die grosse Masse, die bestehende Stadt, dran. Da ist der Fernwärmeausbau ein grosser Treiber. Im nächsten Jahr fangen wir im Bachlettenquartier an zu bauen mit Schwammstadt-Massnahmen – also Quartierstrassen, bei denen das Regenwasser versickert.  

Kürzlich hat der Regierungsrat 280’000 Franken für das Monitoring des Pilotprojekts gesprochen. Für was genau wird dieses Geld eingesetzt?

Wir haben die Themen Umwelt, Infrastruktur und auch Wirtschaftlichkeit definiert, also Oberbegriffe. Und wollen darunter verschiedene Themen wissenschaftlich untersuchen und auswerten, um herauszufinden wie die Pilotprojekte wirken und was deren auswirkungen sind. Hierfür werden wir auch einiges an Sensorik verbauen und die Daten gründlich mit Hochschulen zusammen analysieren und auswerten.

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