Der Provokateur
Benjamin von Falkenstein ist ein Meister darin, linke Basler*innen mit Tweets zum Augenrollen zu bringen. Nun koordiniert der 24-Jährige den kantonalen Wahlkampf der LDP. Über die Macht der Kommunikationsmittel und Politik am familiären Küchentisch.
Leuten ausserhalb Basels muss man immer erklären, was die LDP genau ist – quasi die FDP, bürgerlich, im Vergleich eher konservativ-liberal als wirtschafts-liberal. Der alten Partei des Grossbürgertums hängt das Stigma des elitären Filz an. «Das ist eh Daig», heisst es dann.
Benjamin von Falkenstein würde es ja nicht mal stören, dass man ihm vorwirft, Teil einer ominösen, altreichen und einflussreichen Basler Oberschicht zu sein. «Wenn es wenigstens stimmen würde», sagt der 24-Jährige. Benjamins Ur-Grossvater, Freiherr Ralph von Falkenstein, kam erst vor 90 Jahren aus dem sächsischen Vogtland nach Basel. Auch die anderen Familienzweige sind nicht ur-baslerisch. Hier ist seine Familie höchstens Neo-Daig – denn Einfluss hat die Familie trotzdem.
Kurzer Stammbaum: Seine Mutter Patricia von Falkenstein ist Nationalrätin. Sein Vater Christoph Eymann wurde in Benjamins Geburtsjahr Basler Erziehungsdirektor und später Nationalrat. Heute ist seine Cousine Stephanie Eymann Polizeidirektorin. Schwester Annina von Falkenstein ist Grossrätin, auch Stiefmutter Corinne und Onkel Felix Eymann waren mal im Kantonsparlament. Alle in der LDP. Gut, sein anderer Cousin, der ebenfalls an Regierungsambitionen nicht arme Grossrat Balz Herter, politisiert in der Mitte, dafür immerhin jahrelang als ihr Präsident.
Die LDP wäre nicht, was sie ist, ohne die Familien Eymann-von Falkenstein. Wir haben versucht Übersicht über die weitläufigen Familienverhältnisse zu schaffen.
Mit diesen der Basler Öffentlichkeit gut vertrauten Familienverhältnissen und einem Namen wie ein Graf aus den Bibi-Blocksberg-Filmen bleiben dem Nachwuchs zwei Optionen: Entweder man nutzt die magische Möglichkeit des Türöffners, die sich dadurch ergibt. Oder man rebelliert gegen das Elternhaus und lässt keine Gelegenheit aus, um die gegenteiligen Werte zu vertreten.
Benjamin von Falkenstein studiert wie seine beiden Eltern Jus. Im August beginnt er nach dem Master sein Volontariat in der einflussreichen Anwaltskanzlei Vischer. Hier arbeitete auch schon LDP-Regierungspräsident Conradin Cramer und der frühere LDP-Finanzdirektor Ueli Vischer.
Konsequenterweise ist Benjamin von Falkenstein auch in der LDP, seit kurzem als Teil des Bürger*innengemeinderats. Seit 2023 ist er Präsident der Jungliberalen und damit auch Teil des LDP-Vorstands. Und aktuell ist er damit beschäftigt, die Partei so aufzustellen, dass man im Basel des 21. Jahrhunderts versteht, warum es diese Partei braucht, damit sie eben nicht nur als Posten-Geschacher für Industriellenfamilien wahrgenommen wird – von Falkenstein ist Wahlkampfmanager für die kantonalen Wahlen im Oktober.
Denn nach zehn erfolgreichen Jahren bei kantonalen und nationalen Wahlen – die LDP hat wieder einen Nationalratssitz und einen zweiten in der Kantonsregierung – waren die Liberaldemokrat*innen bei den nationalen Wahlen 2023 die grossen Verlierer*innen (-4,5 Prozentpunkte). Die Jungliberalen erzielten das schlechteste Ergebnis aller Jungparteien.
«Auf X zeigt er ein anderes Gesicht.»Wegbegleiter*in von Benjamin von Falkenstein
«Uns wurde vorgeworfen, dass wir zu wenig Inhalte haben», sagt Benjamin von Falkenstein (wenn er «wir» sagt, meint er nicht die Jungliberalen, sondern die LDP, aber dazu später mehr). Er findet, das stimme nicht, aber die Inhalte würden zu wenig gut verkauft. «Es gibt einen grossen Gap zwischen dem, was im Parlamentsalltag passiert und was wirklich wahrgenommen wird. Wir haben in der Vergangenheit unser Engagement und unsere Erfolge zu wenig gut kommuniziert», sagt er und das sehr selbstbewusst in der Rolle des Wahlkampfmanagers.
Aber ist von Falkenstein der Richtige, um diesen Gap zu schliessen? Denn anstatt lediglich die LDP-Erfolge aus dem Parlamentsgeschehen zu vermarkten, hat Benjamin von Falkenstein in den vergangenen Jahren vor allem Benjamin von Falkenstein vermarktet. 7500 Tweets finden sich auf seinem X-Account – das sind mehr als alle anderen Beiträge von LDP-Accounts zusammengerechnet.
Nun ist X zwar ein soziales Netzwerk der Nische, aber eben einer einflussreichen: der Politik- und Journalist*innen-Bubble. Und zumindest in der Basler Blase kennt man Benjamin von Falkenstein. Egal, welches politische Thema, er äussert sich dazu – und bedient sich dabei durchaus pointiert Kampfbegriffen wie «Rotgrün», die ein linkes Feindbild aufbauen. Zuletzt ist es immer wieder Baudirektorin Esther Keller von der GLP, gegen die von Falkenstein schiesst.
Im linken politischen Lager sehen manche seinen Stil fast schon als «SVP-Style»: stänkern, zum Teil im giftigen Ton. Bei manchen ist das Augenrollen durch die Telefonleitung zu hören, wenn man sie dazu kontaktiert. Aber alle, die ihn in der realen Welt kennen und mit ihm im politischen Tagesgeschäft zu tun hatten, sagen auch: So sei er nur auf X. Er sei umgänglich, engagiert in der Parteiarbeit, aufgestellt, für manche auch zurückhaltend im persönlichen Gespräch. «Auf X zeigt er ein anderes Gesicht», kommentiert ein*e Wegbegleiter*in.
«Beni gelingt es, zu provozieren», sagt Jonas Lüthy, bis vor kurzem Präsident der Jungfreisinnigen Basel-Stadt (mittlerweile ist er Schweizer JF-Chef). Viele Basler Bürgerliche seien auf X eher zu wenig aktiv, findet Lüthy. Von Falkenstein erklärt, dass er gerade deshalb die Plattform nutze: «Wenn ich mich dort prägnant zu einem aktuellen Thema äussere, greifen das Journalisten viel öfter auf, als wenn wir eine Medienmitteilung verschicken. So kriegt man den Fuss in die Türe.» Immerhin hat er jetzt schon eine Kolumne bei Prime News.
Er sieht X als Möglichkeit, um sich in einer Diskussion anzumelden. Die kurze Zeichenzahl (es sind nur 280 Zeichen erlaubt), zwinge zu prägnanten Formulierungen. Und auch die Tonalität führt zu mehr Aufmerksamkeit: «Konstruktive Posts der Jungliberalen kriegen kaum Likes. Und auch Good News ziehen weniger, als wenn man ein bisschen meckert.» So «funktioniere» X aber seiner Meinung nach nunmal, sagt von Falkenstein dann: «Das Bild, das viele von mir haben, ist eben nur diese X-Seite. Dabei ist das nur eine bestimmte Art der Kommunikation, die ich der Plattform angepasst habe.»
Benjamin von Falkenstein weiss, wie er provozierende Sprache nutzen muss, um Aufmerksamkeit zu bekommen. Das heisst aber nicht, dass er als Wahlkampfmanager die Tonalität der LDP in eine andere Bahn lenken wird. Geschweige denn kann, schliesslich ist sein Job keine One-Man-Show.
Ein Wahlkampfmanager muss hauptsächlich koordinieren: Fototermine für die Kandidat*innen organisieren, Kontakte knüpfen mit Verbänden für Wahlvorschläge, Website-Design vorantreiben, die Themengruppen leiten, Aufgaben in den Wahlkreisgruppen delegieren. Die inhaltlichen Schwerpunkte setzen andere. Von Falkenstein passt vielmehr darauf auf, dass die Kommunikation dieses Mal so funktioniert, dass die Inhalte der Partei wahrgenommen werden.
«Ich mache nicht einfach, was meine Mutter mir sagt, sondern ich denke selbst.»Benjamin von Falkenstein
Für einen Jungpolitiker ist von Falkenstein sehr eingebunden in das LDP-Parteigefüge. Im Vergleich zu anderen Jungparteien ist seine Nähe zur Mutterpartei eher ungewöhnlich: Man denke an die Juso-Kritik an SP-Bundesrat Beat Jans, an die Jungfreisinnigen als «Stachel im Gesäss der FDP», die rechten Entgleisungen der JSVP und das Junge Grüne Bündnis, das die Grünen-Kandidatur für die Basler Ersatzwahlen verhindern wollte. Das wäre bei den Jungliberalen derzeit nicht denkbar.
Die Jungliberalen fallen nämlich nicht als sonderlich eigenständiger politischer Flügel in der Mutterpartei auf. Das sieht auch Benjamin von Falkenstein so: «Es ist wichtig, dass wir in der Partei junge Perspektiven einbringen. Wir sehen uns aber nicht als Korrektiv der LDP.»
Dabei war es nicht immer so, dass die Jungliberalen so nah an der Mutterpartei politisieren. Hinter vorgehaltener Hand berichtet ein ehemaliges Jungmitglied, dass es ihm vorgekommen sei, als habe Patricia von Falkenstein durch ihren Sohn Einfluss auf die Jungpartei genommen. «Ich habe mich zum Teil bespitzelt gefühlt. Er hat seinen kompletten Freundeskreis mitgebracht in die Partei, die alle gleicher Meinung sind.»
Hält Patricia von Falkenstein ihre schützende Hand über die Jungpartei? Ein Indiz dafür zeigte sich dafür im Mai 2023, als die Jungliberalen eine Medienkonferenz zum Klimaschutzgesetz organisierten und dafür alle anderen Basler Jungparteien (ausser der JSVP) ins Boot holten. Journalist*innen kamen keine, auch die Bajour-Redaktion nicht. Im Nachgang war es Patricia von Falkenstein, die sich in einer Mail an die Redaktion beklagte, dass es über den Event keine Berichterstattung gab.
Michael Hug, ehemaliger Jungliberalen-Präsident und heute LDP-Grossrat, beobachtet, dass Benjamin von Falkenstein die Jungliberalen strukturell «erwachsener» aufgestellt habe und für einen Jungpolitiker viel im lokalen Tagesgeschäft politisiere. Das habe die Sichtbarkeit der Jungliberalen erhöht. «Dass gerade als Präsident eine Schnittstelle zum Vorstand entsteht, lässt sich nicht ganz verhindern», so Hug. Doch Benjamin von Falkenstein habe seine eigenständige politische Haltung durchaus bewiesen. Zum Beispiel, als er sich entgegen der Parteilinie gegen einen Zusammenschluss im Wahlkampf mit der SVP im Oktober aussprach.
Benjamin von Falkenstein ist es gewohnt, dass er nicht als politisch eigenständiger Mensch wahrgenommen wird. «Ich mache nicht einfach, was meine Mutter mir sagt, sondern ich denke selbst. Natürlich habe ich von meinen Eltern am Küchentisch sehr viel über Politik erfahren. Aber deshalb sind wir nicht immer der gleichen politischen Meinung.» Beispiele, wo er eine andere Haltung als seine Eltern hat, kann er auf Nachfrage nicht nennen. Ein Blick in Smartvote zeigt: Es sind vor allem die Bereiche Umweltschutz und Sozialstaat, wo Benjamin «linkere» Haltungen als seine Mutter einnimmt.
Zumal er das Politisieren «gegen die Mutterpartei» eben auch nicht als sonderlich sinnvoll ansieht: «Als Jungliberale arbeiten wir lieber mit unseren Grossrätinnen und Grossräten zusammen und bringen dadurch konkrete Vorstösse ein.» Die Verbesserung des Status von «Care Leavern», also ehemaligen Pflegekindern; eine Motion für Gratis-Tests für sexuell übertragbare Krankheiten; eine Petition für bezahlbaren ÖV für FHNW-Studierende und eine andere zur Sicherung der Uni-Finanzierung – all das hätten die Jungliberalen so aufgleisen können.
Das zeigt: Auch ohne Sitz im Grossen Rat nimmt Benjamin von Falkenstein im Rahmen seiner Möglichkeiten Einfluss auf die Basler Politik. Bereits jetzt ist er bestens vernetzt und (dank X) auch bestens bekannt.
Was also kann man von ihm in Zukunft erwarten?
«Beni ist ambitioniert», sagt Michael Hug. «Er zeigt viel Engagement für die Partei, auch wenn es um eher unangenehme Jobs wie Flyern geht.» Oder eben jetzt: Wahlkampfmanager. Ein koordinativer Fleissjob. Von Falkenstein hat sich dazu bereit erklärt, weil er wegen seines Studiums so viel Zeit wie niemand sonst im Vorstand dazu habe.
Dass er ein politischer und auch kompromissfähiger Teamplayer ist, wie Hug es dem jungen Amateur-Fussballtrainer attestiert, muss er für die Öffentlichkeit, die hauptsächlich sein X-Profil kennt, erst noch unter Beweis stellen.