Utopievorschläge in die Kommentare
Perspektivenwechsel: Pauline Lutz antwortet Anita Fetz: «Ehrlich gesagt interessiert mich die Rente noch nicht so fest.» Gedanken um die Zukunft macht sie sich aber trotzdem. Und um die psychische Gesundheit junger Menschen.
Liebe Anita
Rente ... Du hast Recht: Ehrlich gesagt interessiert mich sie noch nicht so fest. Ich musste mit einer Freundin telefonieren, die mir wieder einmal erklärt hat, wie das mit den drei Säulen funktioniert. (Das hat sie mir glaub schon fünfmal erklärt.) Ich vergesse es immer wieder.
Noch einmal kurz für meine jugendlichen Mitlesenden, die das vielleicht auch gerade wieder vergessen haben: Die erste Säule, das ist die AHV. Die heutigen AHV-Renten der Pensionierten werden durch die heutigen AHV-Beiträge der arbeitenden Bevölkerung bezahlt, es gibt also eine Art Generationenumlagerung. Die zweite Säule sind die Pensionskassen. Das ist Geld, das du nur für dich und deine eigene Rente sparst, in ebendieser Pensionskasse. Sie legen das Geld dann auf dem Finanzmarkt an, damit es sich vermehrt. Die dritte Säule ist nicht obligatorisch, es ist die private Vorsorge. Dort kannst du noch selber Geld sparen, das du dann bekommt, wenn du pensioniert bist.
Nun gibt es eben diese zwei Probleme: 1. Die Menschen werden immer älter und brauchen darum immer länger Geld. 2. Es gibt immer mehr alte Menschen und weniger Junge, die den Alten die Renten zahlen. Im Jahr 2020 war die Altersvorsorge nach der Corona-Pandemie und ihren Folgen die zweitgrösste Sorge der Schweizer*innen.
Anita Fetz fragte letzte Woche im Generationen-Pingpong: Pauline, machst du dir Gedanken um deine Rente?» Den ganzen Brief und die Vorschläge zur Sicherung der Altersvorsorge von Anita Fetz liest du hier.
Anita, du sagst dazu: «Zur Lösung dieses Dilemmas sehe ich nur einen Weg: Wir müssen die Altersvorsorge umbauen in gute, existenzsichernde AHV-Renten und dafür das Pensionskassen-Obligatorium abschaffen». Und das unterschreibe ich total. Es war die Versicherungswirtschaft, die vor rund fünfzig Jahren den schrittweisen Ausbau der AHV zur Volkspension stoppte. Private Pensionskassen sind heutige unglaublich mächtige Institutionen. Und vielen ist nicht bewusst, dass sie über die Geldanlagen ihrer Pensionskassen durchschnittlich nochmals so viel Klimagasausstoss verantworten wie mit ihren täglichen Aktivitäten.
Fun fact am Rande: Das Bundesamt für Umwelt hat einen Klimatest lanciert für die Pensionskassen, der gratis war und – Achtung – freiwillig. 65 von 1000 Instituten haben diese Möglichkeit genutzt. Ok, immerhin halten die 65 Pensionskassen, die mitgemacht haben, die Hälfte der von Pensionskassen verwalteten Vermögen. Doch gerade die grösste Bank der Schweiz, die UBS, ist extrem intransparent mit ihren Investitionen.
Die Pensionskassen investieren also extrem umweltunfreundlich. Eine Abschaffung des Pensionskassen-Obligatoriums liegt für mich aber auch aus gesamtgesellschaftlicher Perspektive auf der Hand. Die AHV ist eine zutiefst solidarische Idee, in der die Generationen sich gegenseitig unterstützen. Es geht darum, gegen die Individualisierung der Menschen vorzugehen: Nicht jeder Einzelne, der für sich spart und das Geld für sich selber aufbewahrt, sondern eine Gemeinschaft, die sich generationenübergreifend unterstützt und trägt.
«Die psychische Gesundheit der Studierenden beschäftigt mich gerade mehr als meine Altersvorsorge.»
Dein Vorschlag, anstatt eines klar definierten Rentenübertrittsalters (heute 65 für Männer und 64 für Frauen) eher die Anzahl gearbeiteter Jahre vorzuschreiben, stösst bei mir aus studentischer Sicht jedoch sauer auf. Schon durch die Bologna-Reform, die das System der Kreditpunkte eingeführt hat, verkommt das Studium in neoliberaler Art und Weise immer mehr zu einem Produkt. Wir Studierenden werden zu Konsument*innen der Bildung. Der Druck, das Studium möglichst rasch abzuschliessen ist heute schon enorm gross, wenn dann noch die Rente erst mit 70 oder sogar 75 winkt, leidet nur die Bildung und die psychische Gesundheit der Studis. Die ohnehin schon genug in Mitleidenschaft gezogen wird.
Die psychische Gesundheit der Studierenden beschäftigt mich gerade mehr als meine Altersvorsorge. Auch wenn ich den Frühlingsanfang spüre und mir längere Tage und gute Menschen in meinem Umkreis Hoffnung machen, sehe ich den Leidensdruck vieler Studierenden und Mitmenschen.
Zu versuchen, Denkansätze ausserhalb der Hochleistungsgesellschaft zu finden, ist schon mal ein guter Ansatz.
Schlussendlich geht es meiner Ansicht nach um eine grundsätzliche Einstellung zur Arbeit. Lebe ich, um zu arbeiten? Zu versuchen, Denkansätze ausserhalb der Hochleistungsgesellschaft zu finden und zu träumen, ist, glaube ich, schon mal ein guter Ansatz. Stichwort bedingungsloses Grundeinkommen. Oder sonst ganz viel, was ich mir noch gar nicht vorstellen kann. Bitte Utopievorschläge in die Kommentare.
Was mich sonst noch so beschäftigt: Eigentlich so ziemlich alles, aber die Altersvorsorge ist auf meinem Sorgenbarometer recht weit unten. Etwas jugendliche Unvernunft schadet nicht. Vielleicht ist das dumm. Nun ja. Dann ist das halt so. Ich hoffe, du kannst mit meinen Denkanstössen trotzdem etwas anfangen.
Herzlich,
Pauline
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Pauline Lutz (2002) ist aktiv beim Klimastreik und in der Genfer Studierendengewerkschaft (CUAE). Sie lebt in Genf und ist Basel aufgewachsen. Die Kleinunternehmerin und ehemalige Ständerätin Anita Fetz (1957) politisierte bei der SP.