Die AHV muss existenzsichernd werden

Die Politik nimmt einen neuen Anlauf, um die AHV zu reformieren. Während heute der Ständerat darüber berät, fragt Anita Fetz, die nun offiziell AHV-Bezügerin wird, im Generationen-Ping-Pong die junge Klimaaktivistin Pauline Lutz: «Machst du dir Gedanken um deine Rente?»

AHV-Reform
Damit spätere Generationen auch etwas davon haben: Die AHV muss wachsen. (Bild: Micheile Henderson via Unsplash)

Liebe Pauline

Jetzt ist es soweit: die AHV hat mir geschrieben, ich werde dieses Jahr 64 Jahre alt und damit AHV-Bezügerin. Es ist schon ein Einschnitt. Bin ich jetzt alt? Gehöre ich jetzt zu einer Risikogruppe? Ich will auf jeden Fall noch ein paar Jahre erwerbstätig sein. Da ich seit mehr als 30 Jahren eine eigene Firma habe, konnte ich die Angebote nicht nur nach dem Bedarf der Kund*innen, sondern auch nach meinem ausrichten.

Ja, ich habe das Privileg, meine Erwerbsarbeit ausgesprochen gerne zu machen. 

Ich nehme an, liebe Pauline, in deinem Alter interessierst du dich noch nicht so für die Altersvorsorge, das war bei mir nicht anders. Mit 20 ist man mit der Ausbildung beschäftigt, mit dem Berufseinstieg, dem Studium, der Suche nach Jobs, um das Leben während des Studiums zu finanzieren, und mit Tausend anderen Dingen.

Doch manchmal erschüttert es mich schon, dass viele Junge kaum mehr wissen, wie die AHV funktioniert und welch grosse soziale Bedeutung sie hat. Jene, die sehr viel verdienen,  zahlen deutlich mehr in die AHV ein, als sie später als Rente bekommen, weil die Maximalrente beschränkt ist (2021: 2‘390.-). 

Die Aktiven bezahlen direkt die Renten der Pensionierten. Doch die die AHV läuft in Finanzprobleme, weil wir immer älter werden und weil meine Generation, die «Babyboomer» viel grösser ist als die Generationen X, Y oder Z. Wie siehst du das, Pauline? Machst du dir Gedanken um deine Rente?

«AHV 21»: Kommt die Erhöhung des Rentenalters für Frauen?



Bis 2030 soll die AHV das finanzielle Gleichgewicht erreichen und um 1,4 Milliarden Franken entlastet werden. Das will der Bundesrat mit dem Reformpaket «AHV 21», das heute im Ständerat beraten wird.

Der neuste Versuch, die Altersvorsorge umzugestalten, ist jedoch stark umstritten. Der Vorschlag beinhaltet verschiedene Massnahmen, um die AHV mittelfristig zu sichern, darunter auch die Erhöhung der Mehrwertsteuer und die Anhebung des Rentenalters für Frauen von 64 auf 65 Jahre. Die Haltung des Bundesrates wird von den bürgerlichen Parteien gestützt, SP und Grüne lehnen die Erhöhung des Rentenalters hingegen dezidiert ab. Rückenwind erhalten sie von den Gewerkschaften, die mit einer Petition mehr als 300'000 Unterschriften gegen die Massnahme gesammelt haben.

Die Gründe der Linken: Frauen haben tiefere Löhne, oft grosse Lücken bei den Beitragszahlungen und deshalb tiefere Renten. Um die Massnahme abzufedern und mehrheitsfähiger zu machen, schlägt der Bundesrat Ausgleichsmassnahmen im Umfang von 700 Millionen Franken für die am stärksten betroffenen Jahrgänge vor, die Renten dieser Frauen würden bei einem vorzeitigen Bezug weniger gekürzt. Ob dieser Kompromiss erfolgreich sein wird, ist – zumindest im Ständerat – fraglich, die rot-grüne Mehrheit will nämlich beim Rentenalter 64 bleiben. Und ein weiteres Thema wird zu reden geben: Die Erhöhung der Ehepaarrente. Der Antrag, der von der Kommission für soziale Sicherheit und Gesundheit (SGK-S) kommt, geht weiter als der Vorschlag des Bundesrates.

Seit 20 Jahren wird um eine Reform der AHV gestritten. Vier Mal ist eine solche schon gescheitert. Dabei geht es jeweils immer um die Angleichung des Frauenrentenalters (heute 64) an jenes der Männer (65) und den sozialen Ausgleich, den die Frauen dafür bekommen sollen.

Gerade jetzt wieder: Neu wird von den Bürgerlichen der soziale Ausgleich gegen die Erhöhung der Ehepaar-Rente ausgespielt. Bleibt das so, ist der nächste Scherbenhaufen vorprogrammiert.

Bei diesem ganzen AHV-Drama geht vergessen, dass die ganz grossen Probleme in der Altersvorsorge nicht bei der AHV liegen, sondern bei der 2. Säule, der beruflichen Vorsorge. Von der AHV allein lässt es sich kaum mehr leben. Die Pensionskassen sind aber nach dem Kapitaldeckungsverfahren finanziert: Deine zukünftige Rente wird mittels Beiträgen von dir und dem*der Arbeitgeber*in angespart.

Damit die versprochene Rentenhöhe dereinst ausbezahlt werden kann, muss das einbezahlte Kapital verzinst werden. Das ist seit rund 10 Jahren immer schwieriger, weil die Zinsen kontinuierlich gesunken sind und heute sogar im Minus-Bereich liegen. Und die Lebenserwartung steigt immer noch. Schon 1 Prozent weniger Ertrag reduziert die Rentenhöhe um etwa 20-30 Prozent! 

«Wir müssen die Altersvorsorge umbauen in gute, existenzsichernde AHV-Renten und dafür das Pensionskassen-Obligatorium abschaffen.»

Wer heute pensioniert wird, hat mit den gleichen Beiträgen eine entsprechend niedrigere Rente als die Kollegin, die 10 Jahre früher gegangen ist. Unterdessen liegen etwa 1200 Milliarden Franken auf PK-Konten. Diese enorme Summe provoziert einen riesigen Anlagedruck und erklärt, warum so viele Pensionskassen in Immobilien investieren.

Und da beginnt das Dilemma der Linken: auf der einen Seite kämpft man gegen die Senkung des Umwandlungssatzes bei den PK’s, damit die Renten nicht sinken, andererseits setzt man sich für preisgünstige Mieten ein. Immerhin müssen PK’s nicht auch noch Aktionäre mit Dividenden bedienen wie viele Immobilienfirmen.

Zur Lösung dieses Dilemmas sehe ich nur einen Weg: Wir müssen die Altersvorsorge umbauen in gute, existenzsichernde AHV-Renten und dafür das Pensionskassen-Obligatorium abschaffen. Menschen mit unteren und mittleren Einkommen ermöglicht die 2. Säule nämlich kaum eine substanzielle Rentenhöhe und für die hohen Einkommen ist sie vor allem ein Steueroptimierungsinstrument.

Vermutlich könnten dann sogar die Lohnprozente (AHV und PK zusammengezählt) reduziert werden und die Altersdiskriminierung auf dem Arbeitsmarkt würde wegfallen. Ab 55 bezahlt man 18% PK- Beiträge, was die Anstellung von älteren Arbeitnehmer*innen für viele Arbeitgeber*innen unattraktiv macht.

Wir wollen mit dir alt werden.

Auch die Debatte um einen fixen Altersrücktritt halte ich für überholt. Eine zukunftsorientierte Alterssicherung sollte nur die Jahre festschreiben, die jemand arbeiten muss, bis er*sie eine volle Rente erhält.

Ob man das am Stück oder unterbrochen von anderen Tätigkeiten erfüllt, wäre dann sekundär. Und ob jemand nach einer Lehre mit 20 im Berufsleben steht oder nach einem Studium erst mit 25, würde keine Rolle mehr spielen. Der eine kann früher gehen, die andere eben erst später.

Berufsleute mit harter körperlicher Arbeit wie Bauarbeiter oder Pflegerinnen sollten aber 5 Jahre früher in Rente gehen können. Bauarbeiter können das heute schon, Pflegerinnen nicht und das ist unfair.

Liebe Pauline, die Altersvorsorge ist ein kompliziertes Thema, besonders wenn man jung ist. Doch ich befürchte, dass deine Generation am meisten darunter leiden wird, wenn es nicht gelingt, Reformen voranzubringen, die sie modern und sicher für alle zu machen.

__________

Die Kleinunternehmerin und ehemalige Ständerätin Anita Fetz (1957) politisierte bei der SP. Pauline Lutz (2002) engagiert sich bei der Basler Klimajugend und hat bis im Dezember internationale Beziehungen in Genf studiert.

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