Magersüchtige nur für die Show: Darf Kunst das?
Für ein Stück über Jeanne d’Arc sucht das Theater Basel explizit Laiendarsteller*innen, die akut an Magersucht leiden. Die Regisseurin Lies Pauwels schreibt über Jeanne d'Arc: «Bekannt ist, dass Jeanne sehr wenig ass und sogar im Gefängnis das Essen verweigerte.» Der Aufruf ging gezielt an Ärzt*innen und Netzwerke, die mit Betroffenen arbeiten. Mehrere Fachleute äussern sich in der BaZ empört. Insbesondere, weil die Inszenierung über sieben Monate dauern wird, und die Anforderung, dass die jungen Menschen akut krank sein sollen, eine Genesung unterbindet. Pauwels hat ein ausführliches Konzept erstellt, in dem sie schreibt: «Ich möchte menschliche Verletzlichkeit integrieren, nicht ausbeuten. Natürlich sehe ich, dass das ein schmaler Grat ist.» Ausserdem verweist sie auf frühere Erfahrungen, bei denen Betroffene durch Bühnenarbeit gestärkt worden seien. Im Rahmen einer Recherche lädt das Theater Basel kommende Woche zu einem Infoabend ein.
Hinweis: Wir haben diesen Kontext wegen eines Korrigendums am Freitagmittag angepasst.
Richtigstellungen 1 von 2
Als Mitglied der Schauspieldirektion am Theater Basel bin ich für das Projekt mit verantwortlich. Leider wird in der Berichterstattung einiges falsch dargestellt. Dies trägt zu einer Skandalisierung bei, die weder im Sinne einer künstlerischen Arbeit noch im Sinne von betroffenen Personen sein kann.
- Die Aussage, dass die gesuchten Laiendarstellerinnen Jeanne d’arc darstellen sollen, ist frei erfunden. Jeanne d’arc soll von einem Schauspieler des Ensembles dargestellt werden.
- Die Berichterstattung der BAZ, wir hätten auf unserer Website einen Aufruf publiziert und explizit «Laiendarstellerinnen und -darsteller im Alter von 16 bis 30 Jahren, die akut unter Anorexie leiden und untergewichtig sind» gesucht, ist ebenfalls falsch. Ein solcher Aufruf stand nie auf unsere Website. Entsprechend ist auch die Aussage falsch, wir hätten den Aufruf inzwischen gelöscht. Die Suche nach Mitwirkenden lief lediglich über Emailverkehr mit Fachpersonen.
Die Kunst darf alles - die Regie nicht
Es ist normal, dass auch physische Eigenschaften an eine Rolle geknüpft sind. Das gehört zum Theater. Die Kunst darf sowieso alles ;-) Ich habe allgemein eher Mühe mit Hyperrealismus. Hier soll eine an Anorexie leidende Person Dank ihrer Krankheit Hunger darstellen. Ich frage mich, ob das so tatsächlich notwendig ist. Zuletzt liegt es aber an der spielenden Person selbst zu entscheiden, ob sie da mitmachen will. Und viel liegt auch daran, wie die Regie damit arbeitet. Die Regie darf nicht alles. Sie darf zum Beispiel die Spielenden nicht ausnutzen. Abgesehen von meinen grundsätzlichen Zweifeln an der Notwendigkeit des Realismus, ist hier die Hauptfrage, wie die Regie am Schluss damit arbeitet.
Es gibt Leute, die sehr dünn aussehen ohne magersüchtig zu sein. Diese darf man aufrufen, sich für das Projekt zu melden. Wie im Club der roten Bänder, wo eine Hauptdarstellerin es eben „darstellt“, nicht „ist“ , deshalb gibt es ja SchauspielerInnen. Magersucht ist eine schwere psychische Krankheit, das kann sehr schief laufen für die Person; vielleicht auch erst nach dem Projekt, wenn sie dann wieder auf sich gestellt ist und evtl. in ein tieferes Loch fällt.
Pauwels ist eine verantwortungsbewusste Regisseurin
Ich habe als Schauspieler mit Lies im „Steppenwolf“ gearbeitet. Es war eine experimentelle Theaterarbeit in einem sehr sorgfältigen Setting.Ich habe vollstes Vertrauen in die Arbeitsweise von Lies Pauwels. Sie würde NIE die Integrität eines Darstellers, einer Darstellerin gefährden zugunsten einer „Show“. Das entspricht nicht ihrem künstlerischen Ansatz. Eine missbräuchliche Regie hat am Theater Basel in der Compagnie keinen Raum. Never.
Eine arme Irre?
Warum ist sich die Regisseurin Lies Pauwels so sicher, Theorien gibt es nämlich zuhauf. Hier eine Gegendarstellung von Barbara Sichtermann 2012: „Die Historikerzunft des 20. Jahrhunderts wie auch des unseren hingegen hatte und hat ihre liebe Not mit dem Unerklärlichen, zu dem neben Jeannes Siegeszug ihre Stimmen aus dem Himmel gehören. Auch gestehen sie ungern ein, dass es etwas geben könnte, was „sich jeder Kategorie entzieht“. Man nahm die moderne Psychologie zu Hilfe und machte aus Jeannes Laufbahn eine Krankengeschichte. Ihre Stimmen als Halluzinationen zu qualifizieren, mag noch hingehen. Ihr dann aber auch noch Magersucht, Amenorrhoe und Schizophrenie anzudichten, das geht eindeutig zu weit. Es macht aus der kriegerischen Sendbotin Gottes eine arme Irre. Und das war sie als Allerletztes.“ Einmal eine Carmen als Trans, nun Jeanne als Magersüchtige, gehen dem Theater die Ideen aus?
Medienkritik
Anja Dirks' Richtigstellungen zeigen, dass das Bajour-Geschäftsmodell der Abschreiberei, hauptsächlich aus BaZ und bz – eine einfältige Komponente aufweist, dass nämlich mehrfach dinge ungeprüft übernommen wurden (und werden, wie es hier offenbar der fall sein könnte), dies dann jeweils zu einer Aufbauschung führt, die immer auch eine mit eindeutiger politischer Schlagseite sein muss und sachfremde Elemente einführt beziehungsweise des Sachverstandes ermangelt. kurzum, wer bezahlt bajour für eine solche Tätigkeit des unsachlichen Diskurses? Junge & junggebliebene JournalistInnen dürfen ruhig mal Fehler machen, aber eine tägliche frühmorgendliche Abschreibe-Übungspraxis ohne Überdenkzeit? Wäre nicht mein ding, sone Schnellschiesserei. peng!