«Wir sind kein politisches Festival»
In den kommenden Tagen findet in Basel zum elften Mal das Mizmorim-Festival statt, dieses Jahr unter dem Motto «Exil». Über veränderte Vorzeichen, Verständigung und ein besonderes Eröffnungskonzert.
«Exil»: So lautet der Titel der elften Ausgabe des Mizmorim Kammermusik Festivals, das diese Woche jüdische mit westlicher Kunstmusik in Basel kombiniert. «Exil» im Zusammenhang mit Judentum und Israel – angesichts der Geschehnisse der letzten Monate in Nahost ist es kein Wunder, dass dies im Vorfeld einige Fragen auslöste.
Dass der Themenschwerpunkt so aktuell sein wird, war nicht Teil der Pläne des Festivals, wie Gründerin und Leiterin Lewkowicz erklärt: «Wir haben das Thema ‹Exil› im Sommer 2022 diskutiert und uns im Frühjahr 2023 darauf geeinigt. Um es einzugrenzen, setzten wir einen Zeitrahmen, vom Ersten Weltkrieg bis heute. Wir gehen es also historisch an – die aktuelle Lage macht es aber natürlich hochaktuell.»
Der 7. Oktober 2023 und was darauf folgte spielte für die Planung jedoch keine Rolle – das sagt auch Heidy Zimmermann, Musikwissenschaftlerin und Kernmitglied des Mizmorim-Teams: «Wenn man einen weltpolitischen Zusammenhang herstellen möchte, dann am ehesten mit dem Ukraine-Krieg, der das Thema ‹Exil› gegenwärtig machte. Das hat unsere Wahl unterstrichen, der 7. Oktober aber in keiner Weise.»
«Es ist die Aufgabe eines Festivals, im Kontext der Musik aktuelle Themen einzubeziehen. Wir sollten keine Angst davor haben.»Michal Lewkowicz, Leiterin Mizmorim-Festival
Das Thema und das Programm aufgrund der politischen Brisanz zwischenzeitlich anzupassen, kam für Lewkowicz nie in Frage: «Wir dachten: Jetzt passt es doch erst recht. Ich finde, es ist die Aufgabe eines Festivals, im Kontext der Musik aktuelle Themen einzubeziehen. Wir sollten keine Angst davor haben.» Man möchte also die Musik sprechen lassen.
Ein explizites politisches Statement zum Nahostkonflikt vonseiten Mizmorim gibt es nicht – und das soll laut Lewkowicz auch so bleiben: «Wir sind ein Musikfestival und kein politisches Festival. Die Musik soll im Zentrum stehen und verschiedene Ebenen der Auseinandersetzung ermöglichen.»
Ein Deal mit dem Teufel
Eingeweiht wird die diesjährige Ausgabe am 30. Januar im Stadtcasino mit einem speziellen Eröffnungskonzert und einem zum Festivalfokus passenden Werk: Gespielt wird «Histoire du soldat» von Igor Strawinsky – ein frühes Beispiel des 20. Jahrhunderts für Musik, die im Exil entstanden ist.
Strawinsky wuchs in St. Petersburg auf, verliess Russland Anfang der 1910er-Jahre auftragsbedingt und kehrte aufgrund des Ersten Weltkriegs und der Revolution nicht mehr dauerhaft zurück. Er lebte einige Jahre in der Schweiz, in Frankreich und ab 1940 in den USA.
«Histoire du soldat», 1918 in Lausanne uraufgeführt, handelt von einem Soldaten, der einen Deal mit dem Teufel eingeht: Er lehrt ihm das Geigenspiel, dafür erhält er im Gegenzug Zugang zu grossem Reichtum. Die Sache hat allerdings einen Haken – der Soldat darf nicht mehr in seine Heimat zurückkehren.
Ein zeitloses Stück, das am Mizmorim-Festival nicht nur aufgrund der Weltlage aktuell wird, sondern auch künstlerisch auf die jüngste Zeit hin aktualisiert wird: Der Basler Medienkünstler und DJ Janiv Oron – Artist in Residence der diesjährigen Festivalausgabe – hat extra für das Eröffnungskonzert elektronische Interventionen komponiert, die der Geschichte vom Soldaten eine neue Dimension hinzufügen.
Und noch etwas anderes macht die Aufführung speziell: Nicht nur die Bühne, sondern gleich der ganze Parkettbereich des Musiksaals wird genutzt, um Text, Tanz, Musik und Licht zu präsentieren – das Publikum wird das Geschehen vom Balkon aus verfolgen. So etwas hat es seit der Wiedereröffnung des Stadtcasinos noch nicht gegeben.
Musikgeschichte Basels
Dass ausgerechnet Strawinsky und «Histoire du soldat» das Festival eröffnen, hat neben dem thematischen Aspekt auch direkt mit der Musikgeschichte Basels zu tun. 1975 wurde hier – einen Katzensprung vom Stadtcasino entfernt – bei der Neueröffnung des Stadttheaters die Fassung mit der Übersetzung von Mani Matter (ja, dieser Mani Matter!) erstmals aufgeführt, damals unter der Leitung von Erich Holliger, dem älteren Bruder des Dirigenten, Oboisten und Komponisten Heinz Holliger.
«1983 erwarb der Basler Dirigent und Mäzen Paul Sacher den Nachlass von Strawinsky und holte ihn aus den USA nach Basel.»Heidy Zimmermann, Musikwissenschaftlerin
Dazu kommt, dass etliche Originaldokumente des Stücks in Basel liegen, wie Zimmermann schildert: «1983 erwarb der Basler Dirigent und Mäzen Paul Sacher den Nachlass von Strawinsky und holte ihn aus den USA nach Basel. Das war gleichzeitig der Hauptauslöser, aus Sachers Privatsammlung ein Forschungsinstitut zu machen.» So entstand die Paul Sacher Stiftung am Münsterplatz, heute eines der weltweit wichtigsten Forschungszentren für die Musik des 20. und 21. Jahrhunderts.
Sacher kannte Strawinsky übrigens persönlich – Letzterer schrieb sogar zwei Werke im Auftrag des einflussreichen Basler Musikmäzens: das «Concerto en re» für Streichorchester (1947) sowie die Kantate «A Sermon, a Narrative and a Prayer (1962). Beide wurden vom Basler Kammerorchester unter der Leitung von Sacher selbst uraufgeführt. Bereits 1930 kam Strawinsky auf Einladung Sachers zum Konzertieren nach Basel.
Doch zurück zum Mizmorim-Festival, denn da finden nach der Eröffnung am 30. Januar noch viele weitere Konzerte und Events statt: In «Different Names» etwa reflektiert Oron im Teufelhof seine eigene Herkunft, im Kunsthaus Baselland spielen Ilya Gringolts, Silke Gäng, Reto Bieri und andere namhafte Musiker*innen Kammermusik von Dvořák und dem 19. Jahrhundert bis zu Hed Bahack und dessen Auftragswerk «zwei allein (wohin?)».
In Dialog treten
Neben mehreren Führungen gibt es auch einen Programmpunkt im Stadtkino. Abgeschlossen wird die diesjährige Mizmorim-Ausgabe am 2. Februar im Tabourettli mit der eklektischen Sängerin Lea Kalisch, die jüdische Volksmusik mit allen möglichen Richtungen der Popmusik kombiniert.
Ein vielseitiges Programm also, das entsprechend unterschiedliche Publikums- und Gesellschaftsgruppen anziehen soll: «Mizmorim hat mit der Idee begonnen, die jüdische Kultur zu öffnen», sagt Lewkowicz. «Es ist unser Ziel, Menschen mit unterschiedlichen Ansichten zusammenzubringen. Ich finde es wichtig, dass wir miteinander sprechen, uns austauschen – einen konstruktiven Dialog zu führen ist schon ein grosser Schritt, gerade in einer Zeit voller extremer Meinungen. Mizmorim möchte einen Beitrag zur Verständigung leisten.»