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Basler Lobbying gegen den ökologischen Wandel

Wer die Schweizer Pestizidinitiative unterstützt, hört oft, dass dann die unökologischen Produkte aus der EU-Landwirtschaft auf unseren Tellern landen. Dafür, dass die pestizidabhängigen Monokulturen der EU noch möglichst lange erhalten bleiben, kämpft ausgerechnet eine Firma aus der Schweiz an vorderster Front: die Basler Syngenta.

05/20/21, 04:00 AM

Aktualisiert 05/20/21, 07:10 AM

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Im April 2021 demonstrieren Aktivist*innen vor dem Sitz der Syngenta in Basel.

Im April 2021 demonstrieren Aktivist*innen vor dem Sitz der Syngenta in Basel. (Foto: Keystone / Georgios Kefalas)

Mit Basler*innen ist nicht zu spassen, wenn es um Tiere und Pflanzen geht. Den Schachbrettfalter im Hafen mir nichts dir nichts dem neuen Hafenbecken 3 opfern? Vergiss es. Die Politik sucht Ersatzflächen für die seltenen Pflanzen- und Tierarten auf der Trockenwiese. 

Und in der Schweiz stehen gleich zwei Initiativen zur Abstimmung, welche unsere Tier- und Pflanzenwelt und die Artenvielfalt schützen wollen: Die Trinkwasser- und die Pestizidinitiative. 

Die beiden Initiativen stellen das aktuelle Landwirtschaftssystem mit intensiv bewirtschafteten Monokulturen infrage. Denn Monokulturen sind besonders anfällig auf Schädlinge und deshalb auf Gift angewiesen. Und Gift hat Nebenwirkungen.

Im Jahr 2020 generierte Syngenta unter chinesischer Führung 78 Prozent ihres weltweiten Umsatzes mit dem Verkauf von Pflanzenschutzmitteln.

Wenn ein Weizenfeld vor Blattläusen und Mücken befreit wird, trifft das Insektizid auch Schmetterlinge und Bienen. Gegen Mäuse helfen Giftköder. Aber das schadet den Vögeln und Füchsen, welche die vergifteten Mäuse fressen. Wenn ein Unkraut den Weizenähren Licht und Nährstoffe streitig macht, sprüht die Landwirtin Pflanzengift. Aber dieses sickert auch in Grundwasser, Flüsse und Seen, wo die Chemikalien weitere Lebensräume unter Druck setzen. Der Kampf um Schachbrettfalter und Trinkwasser hierzulande scheint jedoch bedeutungslos, wenn man sich die intensive Monokultur-Landwirtschaft weltweit anschaut.

Mittendrin: Eine Basler Firma.

Die Syngenta ist eine der grossen Profiteur*innen des aktuellen Landwirtschaftssystems. Im Jahr 2020 generierte die Basler Chemie-Produzentin unter chinesischer Führung 78 Prozent ihres weltweiten Umsatzes mit dem Verkauf von Pflanzenschutzmitteln. Vom Konzerngewinn sind sogar über 90 Prozent der Pflanzenschutzsparte zuzurechnen

So ein Geschäft gibt niemand gerne auf. Aber genau das müsste die Syngenta tun, wenn die internationalen Biodiversitätsziele erreicht werden sollten.

Knapp zwei Fünftel der Landfläche Europas werden landwirtschaftlich bewirtschaftet.

Die Intensivierung der konventionellen Landwirtschaft ist einer der Hauptgründe für den Rückgang der biologischen Vielfalt in Europa. So steht's im Bericht des Weltbiodiversitätsrats aus dem Jahr 2018, einer UNO-Organisation, die den wissenschaftlichen Konsens in Sachen Biodiversität für die Politik verständlich zusammenfasst. Laut der europäischen Umweltagentur sind «die aktuellen landwirtschaftlichen Praktiken [die] mit Abstand dominantesten Treiber» für den Druck auf Lebensräume und einzelne Spezies. Knapp zwei Fünftel der Landfläche Europas werden landwirtschaftlich bewirtschaftet. 

Mitverantwortlich für die landwirtschaftlichen Praktiken in Europa ist die «Gemeinsame Agrarpolitik» (GAP) der EU. 378,5 Milliarden Euro (33,5 Prozent) des EU-Budgets gehen zwischen 2021 und 2027 an die europäische Landwirtschaft. Das ist weniger als früher, aber immer noch der grösste Budgetposten der EU. Ein grosser Teil davon fliesst als Subvention in die Landwirtschaftsbetriebe. 

Je grösser der Betrieb, desto höher die Subvention: Es profitieren daher in erster Linie grosse Monokulturbetriebe. Oder anders formuliert: Es profitiert der Status quo – und damit die Syngenta.

Bis 2030 soll der Pestizidverbrauch in der EU um 50 Prozent zurückgefahren werden.

Eines der Ziele der «Farm to Fork»-Strategie

Die EU-Kommission hat das Problem erkannt. Erstens will sie die Subventionspolitik so anpassen, dass die grössten Betriebe weniger profitieren. Zweitens formulierte sie im Rahmen ihres «European Green Deal» die «Farm to Fork»-Strategie, die unter anderem folgendes Ziel beinhaltet: Bis 2030 soll der Pestizidverbrauch in der EU um 50 Prozent zurückgefahren werden. Ein Frontalangriff auf das Geschäftsmodell der Syngenta.

Und Syngenta mag keine Eingriffe in ihr Geschäftsmodell. Gegen eine EU-weite Einschränkung der Bienen-gefährdenden Neonikotinoide zog sie vor den Europäischen Gerichtshof, wo sie aber unterlag. Die Schweizer NGO Public Eye beschuldigt das Unternehmen zudem, interne Kritik am hochgiftigen Wirkstoff Paraquat ignoriert zu haben, um das Produkt länger auf dem Markt zu halten. Syngenta weist die Anschuldigungen zurück.

Noch ist die «Farm to Fork»-Strategie erst eine Zielvorgabe ohne bindende Wirkung. Eine neue Richtlinie zum Pestizidverbrauch wird erst im kommenden Jahr erwartet. Der Streit darüber ist aber schon voll im Gang – zum Beispiel bei der aktuell zur Diskussion stehenden Ausgestaltung der «Gemeinsamen Agrarpolitik» (GAP) für die nächsten sieben Jahre. Die GAP bestimmt zwar nicht direkt wie viel Pestizide ausgetragen werden dürfen, aber sie bestimmt welche Art von Landwirtschaft von EU-Geldern profitiert oder nicht.

Syngenta gibt jährlich 1,5 bis 1,75 Millionen Euro für ihr EU-Lobbying aus. Das ist mehr als die meisten Firmen mit Hauptsitz in der Schweiz.

Die Syngenta ist gut aufgestellt, um sich für ihre Interessen in der EU einzusetzen. Laut EU-Transparenzregister gibt sie jährlich 1,5 bis 1,75 Millionen Euro für ihr EU-Lobbying aus. Das ist weniger als andere Agrochemie-Konzerne wie Bayer, die Mutter der weltweiten Saatgut- und Glyphosatproduzentin Monsanto, und BASF, die ihren Hauptsitz in der EU haben, aber es ist mehr als die meisten Firmen mit Hauptsitz in der Schweiz. Nur die Novartis und Dow Europe geben mehr für ihr EU-Lobbying aus.

Syngenta schliesst sich in ihrem Lobbying mit anderen Unternehmen zusammen, um ihren Einfluss zu verstärken. So ist sie Mitglied der Lobbyorganisationen der Biotechnologieunternehmen (Europabio), der Saatguthersteller*innen (Euroseeds), der Pestizidhersteller*innen (CropLife Europe) und anderen Organisationen. 

Die Mitgliedschaft in diesen Organisationen ist nützlich, da die EU-Kommission sich nur selten mit einzelnen Firmen trifft. Das bekam die Syngenta im vergangenen Jahr zu spüren, als sie mehrmals versuchte, mit der Kommission in Kontakt zu treten, um über die ökologoische «Farm to Fork»-Strategie zu sprechen. Wiederholt wurde sie mit dem Hinweis darauf abgewiesen, dass die Kommission sich nur mit Branchenverbänden treffe statt mit einzelnen Firmen. Dies zeigen Dokumente, die der Lobby-Watchdog «Corporate Europe Observatory» (CEO) veröffentlicht hat.

Wir gehen der Sache auf den Grund.

Die Dokumente zeigen auch, wie der Branchenverband der Pestizidhersteller*innen versucht, die Pestizidreduktionsziele herunterzuschrauben. Eine Reduktion um 50 Prozent sei unrealistisch, kommunizierte der Verband in einem Meeting mit der EU-Kommission im Jahr 2020. Stattdessen warb der Branchenverband um ein Reduktionsziel von lediglich 25 Prozent.

Die Behauptungen sind aber kaum überprüfbar, weil der Branchenverband sich weigert, der Kommission Zahlen zum Pestizidverbrauch in Europa zuzustellen. Man habe diese Zahlen gar nicht, sagt CropLife Europe auf Anfrage. Und auf die Nachfrage, wieso man die Zahlen nicht bei den Mitgliedern einhole, sagt der Branchenverband, «das ist nicht unsere Aufgabe». 

Das mag sein. Aber Fakt ist: Ohne aktuelle Zahlen ist das Reduktionsziel nur schwierig umzusetzen. Während die Branche sich im Grundsatz einverstanden erklärt mit der «Farm to Fork»-Strategie, scheint sie deren Umsetzung so lange wie möglich hinauszögern zu wollen.

«Mit den Grossgrundbesitzern pflegt die Syngenta ein speziell inniges Verhältnis.»

Nina Holland, Landwirtschaftsexpertin von Lobby-Watchdog CEO

Im Streit um die Zukunft der GAP spannt die Lobby der Pestizidhersteller*innen laut Analysen des Lobby-Watchdogs «Corporate Europe Observatory» (CEO) mit der Lobby der Grossbauern «COPA-COGECA» und den europäischen Grossgrundbesitzern (ELO) zusammen. Sie alle haben ein Interesse daran, dass die Monokultur-Landwirtschaft weiterhin grosszügig subventioniert wird.

Die Pestizid-Lobby CropLife Europe bestreitet dies kategorisch. Man sei «völlig agnostisch» gegenüber dem durch die GAP geförderten Landwirtschaftssystem. Das wiederum kann der grüne Europa-Parlamentarier Martin Häusling nicht glauben. «Natürlich will die Pestizid-Industrie, dass die GAP die Pestizid-intensive Landwirtschaft fördert statt ökologischer Alternativen», sagt das langjährige Mitglied des Ausschuss für Landwirtschaft im europäischen Parlament.

Syngentas Kampf für die Landwirtschafts-Subventionen des Fürsten von Monaco

Die Syngenta nahm keine Stellung zu den Positionierungen ihres Lobby-Verbands. Sie nimmt aber nicht nur durch ihre Branchenverbände Einfluss auf die EU-Politik, sondern bringt sich auch selbst ein.

«Mit den Grossgrundbesitzern pflegt die Syngenta ein speziell inniges Verhältnis», sagt Landwirtschaftsexpertin Nina Holland vom Lobby-Watchdog CEO. Einmal im Jahr organisieren der Verband der Grossgrundbesitzer und Syngenta zusammen den grössten Landwirtschaftsanlass der Brüsseler EU-Bubble – das Forum für die Zukunft der Landwirtschaft.

«Syngenta hat schon immer mit Innovationen dazu beigetragen, dass Landwirte, die Umwelt und unsere Lebensmittel sicher sind.»

Syngenta

Die Grossgrundbesitzer besitzen meistens viel landwirtschaftlich genutzte Flächen und sind deshalb interessiert an EU-Subventionen, die grosse Betriebe bevorzugen. Viele von ihnen sind Nachkommen europäischer Adelsfamilien. Der Generalsekretär der Grossgrundbesitzer-Lobby ELO entstammt einer belgischen Adelsfamilie, der Vize-Präsident ist ein deutscher Prinz und im Vorstand der deutschen Filiale der ELO finden sich ein Freiherr, ein Fürst und drei Grafen. In der Vergangenheit erhielten auch Königin Elizabeth und der Fürst von Monaco grosszügige Beiträge aus dem agrarpolitischen Fördertopf. Die ELO liess alle unsere Kontaktanfragen unbeantwortet.

«Die Syngenta und andere Akteure der Agrochemie sind sich bewusst, dass sie den Wandel in der Landwirtschaftspolitik nicht vollständig verhindern können», sagt Nina Holland. Stattdessen arbeite sie gemeinsam mit anderen Profiteur*innen des Status quo darauf hin, dass der Wandel so langsam wie möglich stattfinde, sagt die Landwirtschaftsexpertin von Lobby-Watchdog CEO.

Die Syngenta bestreitet, dass sie sich gemeinsam mit der ELO gegen den Wandel in der EU-Agrarpolitik einsetze. «Syngenta hat schon immer mit Innovationen dazu beigetragen, dass Landwirte, die Umwelt und unsere Lebensmittel sicher sind, und wir unterstützen die europäische Landwirtschaft auch weiterhin nachdrücklich bei dieser Aufgabe», sagt das Unternehmen auf Anfrage. Es habe Platz für viele verschiedene landwirtschaftliche Praktiken und deren Einfluss müsse sauber und gründlich untersucht werden.

Während die Basler Politik um eine Wiese streitet, bringt sich die Basler Syngenta im EU-weiten Streit um Pestizide ein. Dabei gilt es, die Relationen zu beachten. Die Basler Trockenwiese mit dem Schachbrettfalter erstreckt sich über eine Fläche von 20 Hektaren, die landwirtschaftlich genutzte Fläche Europas über zwei Fünftel des Kontinents.

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