Warum aus der Messe nicht ein Gewächshaus machen? Visionen für einen Neustart

Wie könnte die Messe Basel nach dem Aus der Basel World in eine neue Zukunft transformiert werden? Überraschung: Zu dieser Frage haben sehr viele Menschen in dieser Stadt etwas zu sagen. Das sind ihre Visionen.

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Was darf man bei der Messe noch hoffen? (Bild: Keystone)

So richtig erstaunt war niemand, als die Messe Mitte November die Baselworld absagte. Basel-Stadt ist sich die schlechten Nachrichten in Sachen Messe langsam gewohnt. Das finanzielle Ausmass der Erschütterung ist eine Woche später schwer abzuschätzen, aber obwohl der Schaden noch nicht beziffert ist – für Hotellerie und Gastronomie ist das Aus des prestigeträchtigen Events ein herber Schlag. Der Imageschaden für die MCH-Group ist ebenfalls angerichtet, die Reaktionen der Presse und Politik waren heftig, aber kurz.  Und so scheint es, als habe das Aus dieses Wirtschaftsfaktors Baselworld eine atmosphärische Störung angerichtet, die mittlerweile als Déjà-vue daherkommt. 

Die Déjà-vues heissen Mustermesse Basel («gestorben» 2019) oder – Überraschung – Baselworld, die schon 2019 einmal begraben wurde und unter dem neuen Namen «Houruniverse» nie auferstand. Sie spiegeln sich im Aktienkurs der MCH-Group wider, der in den letzten vier Jahren von 70 Franken auf 11 Franken gefallen ist. Die Déjà-vues tragen die Namen der gefallenen Messe-Chefs – René Kamm oder Michel Loris-Melikoff – und sie stecken im negativen Rauschen, das die Messe begleitete. Die Rede war von Misswirtschaft, Arroganz und überrissenen Mietpreisen, Lohndumping auf der Baustelle und Hackerangriffe auf das IT-System, kurz, die Geschichte der Messe wird seit Jahren als eine Geschichte des Niedergangs erzählt.

Zwar will die Uhren- und Schmuckmesse wieder auferstehen und ein «Format für eine neue Community lancieren», wie Beat Zwahlen, CEO der MCH-Group gegenüber SRF sagte

Doch vielleicht wird es Zeit für eine ganz neue Geschichte. Eine, die in die Zukunft schaut.

Die Messe Basel als Ort der Zukunft?

Der Zeitpunkt dazu scheint günstig. Findet beispielsweise Andreas Ruby, Direktor des Schweizer Architekturmuseums: «Das Zeitalter dieser Riesenveranstaltungen ist möglicherweise vorbei. Man braucht nicht mehr diese Verkündungsanstalten, um über den Fortschritt der Konsumgesellschaft zu informieren.» 

Der historische Wert der Messe ist deswegen aber nicht passé, zumal ihr Basel schillernde Denkmäler in Form riesiger Messehallen baute. Was passiert damit? Ruby: «Immer dann, wenn eine Funktion schneller verschwindet als die Gebäudehülle, die für sie errichtet wurde – dann entstehen interessante Entwicklungsschübe in der Stadt. Eigentlich ist das stadtentwicklungsgeschichtlich immer ein ganz faszinierender Moment.»

Wir haben mit Architekt*innen gesprochen und mit Stadtplaner*innen, mit Projektmanager*innen, Zwischennutzer*innen und Museumsdirektoren und wir haben allen dieselbe Frage gestellt: Wie könnte die Messe Basel als Ort in eine neue Zukunft transformiert werden?

Überraschende Erkenntnis: Zu dieser Frage haben sehr viele Menschen in dieser Stadt etwas zu sagen. Es gibt zahlreiche Pläne, Ideen, Visionen. Teils sind sie noch unausgegoren und abstrakt. Teilweise sind die Pläne so konkret, dass man am Telefon das Papier rascheln hört, auf dem sie notiert sind.

«Kann sich Basel vorstellen, ohne diese Messe als wirkliches Messegelände zu leben?»
Andreas Ruby, Direktor Schweizer Architekturmuseum SAM

Wie wärs zum Beispiel mit Freiraum für die Bevölkerung auf dem Messegelände? Basel-Stadt schaut bekanntlich einer grossen Verdichtung entgegen, bis 2035 sollen laut Prognosen des Regierungsrats 30’000 neue Arbeitsplätze und 15’000 Wohnungen entstehen. Ruby vom Architekturmuseum sagt: «Die Menschen werden das nur akzeptieren, wenn proportional zur Verdichtung neuer Freiraum entsteht». 

Aber der Stadtraum ist nun einmal begrenzt und Freiflächen sind rar. Eine Öffnung von bestehendem, heute abgeschlossenem, Stadtraum nach innen könnte da eine Lösung sein. 

Genau diese Art neuer Freiraum könnte die Messe anbieten. Das Quartier verändert sich sowieso, die Zeichen stehen bereits auf Öffnung. Das Areal Rosental Mitte, die «verbotene Stadt», soll bis 2035 zu einem Stadtteil für Wohnen und Arbeit werden. Die Basler*innen können dann durch das bislang geschlossene Rosental spazieren, bis hoch zum Badischen Bahnhof. «Dieses Porös-werden», sagt Ruby, «muss konsequenterweise von den Messehallen aufgegriffen werden». Vorstellbar sei beispielsweise, dass das Erdgeschoss der altehrwürdigen Halle 2 mit dem Rundhof durch eine partielle Öffnung der Fassaden durchlässig würden und damit Freifläche für eine öffentliche Nutzung entstünden. 

In den Obergeschossen könnten die Hallen weiterhin für Messezwecke genutzt werden. Einfach im kleineren Massstab.

Ideen aus der Bunkerzone

Die Architektin und Mitglied der Projektgruppe «Countdown 2030», Friederike Kluge, hat eine ganz ähnliche Vision, wie sie uns am Telefon erzählt. «Der Ort könnte stärker mit dem öffentlichen Raum davor kommunizieren. Wenn man die Hallen im Sockelbau zugänglicher und offener gestalten könnte, dann würde der Ort viel lebendiger.» Kluge sagt, öffentliche Räume stärkten die Identifikation der Menschen mit ihrer Stadt, auch darum sei es wichtig, diesen Ort mitten im Kleinbasel durchlässiger zu machen. «Wer sich mit seiner Umgebung identifiziert, der geht auch sorgfältiger mit ihr um.»

Dann sprudeln am Telefon die Ideen durch die Leitung. Sie habe mit Studierenden kürzlich über die Umnutzung von ehemaligen Bunkerbauten nachgedacht, und da die Messehallen womöglich zu einem grösseren Teil dunkle, fensterlose Räume anbieten, könnte man für eine zukünftige Nutzung an diese Überlegungen anknüpfen, die ohne oder mit wenig Tageslicht auskommen. Indoor-Sportstätten, Werkstätten, Museen, Veranstaltungsräume, Gewächshäuser mit Urban Farming-Funktion, eine Bibliotheksarchiv, Kinos, Tanzlokale. «Ein Kultur- und Sportzentrum, wie das SESC Pompeia von Lina Bo Bardi, wäre ein tolles Vorbild um Gemeinschaft zu schaffen und Räume zu teilen.» 

Kluge sagt, mit der Corona-Pandemie seien manche Räume aufgrund der Abstandsregeln auch zu klein geworden. Um zu verhindern, dass grössere Flächen langfristig angemietet werden müssen könnte die Messe temporär und flexibel Abhilfe schaffen. Eine ähnliche Idee hatte im September 2020 auch LDP-Grossrat Raoul Furlano, der mit einer Interpellation von der Regierung wissen wollte, ob die Räumlichkeiten der MCH Messe Schweiz nicht für Massnahmen-konforme Veranstaltungen der Universität genutzt werden könnten. Die Interpellation wurde mündlich beantwortet, der Plan seither nicht weiter vertieft. 

Eine weitere Möglichkeit demnach: Kleinteilige Umnutzung für Kultur, Wirtschaft, Bildung.

Und SP-Grossrätin Michela Seggiani schlägt vor, eine Zollfrei-Messe in Basel zu starten.

Ideen entwickelt auch Pascal Biedermann, er hat bereits einen Augenschein vor Ort genommen. Biedermann arbeitet bei Denkstatt, einer Art think tank für Stadtentwicklung und Zwischennutzungen und hat mit Partner*innen unter anderem das ehemalige Industrieareal Gundeldinger Feld, die Markthalle oder die Klara zu lebendigen Orten verwandelt. Biedermann sagt, vor allem die Messehalle 2 mit dem Rundhof und der säulengestützten Galerie sei ein «spannender Ort», der in seinem Kopf sofort die Planungsmaschine zum Arbeiten bringe. 

«Im Erdgeschoss dieser Halle wäre es zum Beispiel denkbar, eine Art Marktplatz einzurichten, während darüber, in den Räumen rund um den Innenhof, Kulturräume, Gastro-Nischen und Begegnungsort entstehen könnten.»

Biedermeier sagt aber auch, solche Pläne ergäben nur dann Sinn, wenn die Halle für eine dauerhaft neue Nutzung frei werde. Eine Zwischennutzung, die alle paar Wochen für eine Messe das Feld räumen müsse, sei in seinen Augen nicht sinnvoll.

Die Sache mit der Verlustangst

Die Messe hat als Eigentümerin die Deutungshoheit über die Zukunft der Hallen. Daneben wird aber auch die Frage entscheidend sein, ob die Basler Bevölkerung bereit ist, sich eine neue Zukunft für diese geschichtsträchtige Institution zu denken. 

«Deswegen müsste man diese Frage als Erstes klären», sagt SAM-Direktor Andreas Ruby mit Blick auf eine Transformationsdebatte. «Kann sich Basel vorstellen, ohne diese Messe als wirkliches Messegelände zu leben?»

Die Messe Basel, sagt Ruby, sei aussergewöhnlich, weil sie nicht wie andere Messen am Rand der Stadt liege, sondern mittendrin. Ihre Funktion als ökonomischer Motor für die Stadt ist eng an den Ort der Messehallen gebunden und eine Debatte über eine funktionelle Transformation würde folglich Verlustängste freisetzen. Ruby nennt das «Status Anxiety». Also die Angst davor, den Status als führende Messestadt der Schweiz zu verlieren. 

Dieselbe Frage stellt sich bei der Transformation der ehemaligen Industrieareale wie dem Klybeck oder von Rosental Mitte. Doch dort sei die Debatte bereits einen Schritt weiter, beobachtet Ruby. Die Menschen haben bereits Abschied genommen von den Kaminen und Fliessbändern mitten in der Stadt. Gestritten wird nun über das Wie dieser Transformation. Auf den grundsätzlichen Plan einer Umnutzung dieser Areale in Stadtteile für Wohnen und Arbeit, darauf hat sich die Stadt aber bereits geeinigt.

Was die Messe findet

Wie sieht es bei der Messe selber aus? Ist sie bereit, ihre Hallen umzurüsten?

Einer, der das ziemlich gut weiss, ist Jonas Scharf, der «Managing Director Venues MCH». Scharf ist ein sachlicher Typ, er sagt, das Konzept Messe als physisches Happening sei noch lange nicht vorbei, «da kriegen wir aus der Branche also ganz andere Signale». Aus diesem Grund sieht Scharf auch keinen Anlass für Umnutzungsfantasien, zumindest nicht im Massstab, wie sie unsere bisherigen Gesprächspartner*innen hegten. Scharf denkt pragmatisch geradeaus, seine Anpassungsstrategie an die Zukunft hat einen technischen Sound:

«Eventfremde Belegungen sind bislang nicht geplant. Dann ist ja die Fläche weg, die wir für die Messen brauchen. Wenn die Fläche weg ist, dann ist die Flexibilität weg.» Scharf sagt, die Bevölkerung sei sich möglicherweise nicht bewusst, wieviele Messen weiterhin stattfinden. Eine Reduktion der Fläche würde bedeuten, dass die grossen Player nicht mehr nach Basel kämen und dann wäre es mit dem Status als Branchenleader der Schweiz vorbei. Also nein, eine grundsätzliche Neuorientierung sei kein Thema.

«Es geht nicht, dass die Messe einfach Räumlichkeiten zur Verfügung stellt, das stiesse nachvollziehbarerweise bei den anderen Aktionären auf Widerstand.»
Christoph Brutschin, sitzt im Verwaltungsrat der MCH-Group

Auch Christoph Brutschin (SP), Alt-Regierungsrat und einer von zwei Delegierten der öffentlichen Hand Basel-Stadts im Verwaltungsrat der MCH-Group sagt: «Wir machen uns natürlich immer wieder Gedanken, wie wir eine bessere Auslastung hinkriegen. Das Problem ist nur, dass immer wieder Veranstaltungen stattfinden. Weniger zwar als wir uns wünschten, aber sie finden statt. Dadurch ist es nicht so, dass wir sagen, für diese oder jene Halle suchen wir nach einer alternativen Nutzung. Spätestens wenn die Art Basel stattfindet, dann brauchen wir alle Hallen.»

Und Brutschin macht dann auch kurz nochmal klar, in welchen marktwirtschaftlichen Realität die Messe arbeitet. Für eine neue Nutzung, brauche es einen Vertrag. «Es geht nicht, dass die Messe einfach Räumlichkeiten zur Verfügung stellt, das stiesse nachvollziehbarerweise bei den anderen Aktionären auf Widerstand.» Man bräuchte also zunächst einen Nutzer mit einer Idee, der in der Lage ist, mehr oder weniger die übliche Miete zu zahlen.

Brutschin bedauert die Absage der Baselworld. Er sagt, das sei «auf dem steinigen Weg der letzten Jahre eine weitere Hürde, die man zu umgehen hoffte». Die komplizierte Lage bilde sich auch am Aktienkurs ab. «Wie zahlreiche andere Messen sind auch wir mit zahlreichen Herausforderungen und Problemen konfrontiert.»

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