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Sie chrampfen und chrampfen und werden trotzdem benachteiligt

Christina verdiente 2000 Franken weniger als der gleichqualifizierte Arbeitskollege. Die Lohndiskriminierung von Frauen hat System und sie nimmt zu.

03/04/21, 09:17 AM

Aktualisiert 03/04/21, 09:24 AM

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 Der Balanceakt zwischen Homeoffice, Care-Arbeit und Haushalt ist für viele Frauen sehr anspruchsvoll. Denn noch immer sind alle diese Dinge oft Frauensache.

Der Balanceakt zwischen Homeoffice, Care-Arbeit und Haushalt ist für viele Frauen sehr anspruchsvoll. Denn noch immer sind alle diese Dinge oft Frauensache. (Foto: Standsome Worklifestyle)

Christina* ist aufgebracht: «Ich kam mir betrogen vor. Für dumm verkauft. Ich habe so viel für diese Firma getan. Und das war also der Dank». Fünf Jahre arbeitete Christina für ein regionales Logistikunternehmen als Teamleiterin im Bereich Administration.

Mit den Jahren nahmen ihre Aufgabenbereiche zu, die Verantwortung stieg. Der Lohn blieb aber gleich: Knapp 5'500 Franken verdiente Christina, die gelernte Kauffrau im Bereich Spedition und Transportlogistik ist. Eine Lohnerhöhung stand in diesen Jahren nie zur Diskussion. Christina hat sich aber auch nie aktiv darum bemüht, wie sie sagt. Und als die Pandemie kam und ihre Firma Kurzarbeit anmelden musste, schob sie den Gedanken erst recht zur Seite. «Das Geld war mir nicht so wichtig.» Sie genoss ihre verantwortungsvolle Position, fühlte sich von ihrem Team und ihrem Chef wertgeschätzt. «Ich bin ledig und habe keine Kinder. Für mich hat der Lohn immer gut gereicht.»

Gleicher Job, 2000 Franken mehr Lohn

Doch dann wird vergangenen Sommer einer von Christinas Arbeitskollegen, ebenfalls Teamleiter aber in einer anderen Abteilung, wegen der Corona-Sparmassnahmen entlassen. «Da wurde er plötzlich ganz gesprächig und ich erfuhr, dass sein Lohn, obwohl er mir eigentlich gleichgestellt war, fast 2000 Franken höher war als meiner.»

Christina ist Teil der Gärngschee-Community. Sie hat sich auf Facebook bei uns gemeldet. Der Grund: Das Bundesamt für Statistik publizierte kürzlich die neuesten Zahlen zu Lohnungleichheit zwischen Männern und Frauen. Fazit: Die Lohnschere ist nicht etwa kleiner geworden, sondern grösser.

Frauen verdienten im Jahr 2018 rund 19 Prozent weniger als Männer. Damit vergrösserte sich der Unterschied im Vergleich zur Erhebung von 2016 um 1 Prozent. Der unerklärbare Teil betrug dabei 45,4 Prozent. Soweit die Zahlen. Wir von Bajour wollten wissen: Welche Erfahrungen machen Basler*innen mit der Lohnungleichheit?

Nebst Christina haben zahlreiche andere Frauen den Post kommentiert. Yasmin etwa schrieb, bei ihr im Team verdienten alle gleich. Laura dagegen zeigte sich «stocksauer»: Ihr männlicher Kollege sei viel jünger und habe direkt ab Lehre schon mehr verdient als sie.

Toya Krummenacher (SP) setzt sich als Gewerkschaftssekretärin des VPOD seit Jahren für Gleichstellung und insbesondere für Lohngleichheit ein. Fälle wie die von Christina kennt sie zu genüge. «Ich muss aufpassen, dass das nicht frustriert klingt, aber die neuen Zahlen zur Lohnungleichheit machen mich wütend. Wir kämpfen schon so lange für Gleichstellung. Da kann es doch nicht sein, dass sich so wenig getan hat.»

Die Politik habe verschlafen, rechtzeitig wirksame Instrumente einzuführen. «Es zeigt, dass die Freiwilligkeit der Lohngleichheitsüberprüfung nicht gereicht hat. Es braucht griffige Kontroll- und Sanktionsmechanismen.»

Am 1. Juli 2020 trat das neue Gleichstellungsgesetz in Kraft, das Unternehmen ab 100 Mitarbeiter*innen dazu verpflichtet alle vier Jahre Lohnanalysen durchzuführen und die Angestellten über das Resultat zu informieren. Krummenacher geht das aber nicht weit genug. «Wir haben viel mehr gefordert. Unternehmen sollten, wenn Lohndiskriminierung festgestellt wird sanktioniert werden und dazu verpflichtet sein, automatische Ausgleichszahlungen vorzunehmen, das heisst nicht erst auf Antrag der Diskriminierten.»

«Wie soll man verhandeln, wenn man nicht weiss, was andere fordern?»

Toya Krummenacher, Gewerkschaftssekretärin VPOD

Diese und weitere Forderungen, die dem Gesetz mehr Biss verliehen hätten, scheiterten aber am «bürgerlichen Männerparlament», sagt Krummenacher.

Die mangelnde Lohntransparenz verstärke das Problem. «In der Privatwirtschaft herrscht ein neoliberaler Ansatz, dass Löhne verhandelt werden. Wer sich nicht wehrt, verliert. Aber dabei fehlt die Grundlage. Wie soll man verhandeln, wenn man nicht weiss, was andere fordern?» In transparenten Lohnsystemen wie sie vor allem die öffentlichen Verwaltungen kennen, sei die Lohndiskriminierung darum auch deutlich weniger ausgeprägt.

Darum will sich Krummenacher weiterhin für mehr Lohntransparenz und gegen Lohndiskriminierung einsetzen, wenn nötig auch nach 2032 – dem Ablaufdatum des Gleichstellungsgesetzes.

«Ein Grossteil der Lohnungleichheit ist erklärbar.»

Saskia Schenker, Direktorin Arbeitgeberverband Basel

Saskia Schenker, Direktorin des Arbeitgeberverbandes Basel und aktuell noch Baselbieter FDP-Präsidentin, sieht die Gründe für Lohnungleichheit woanders. Die Unternehmen hätten in den letzten Jahren viel Sensibilisierungsarbeit in Sachen Frauenförderung geleistet. «Der Diskurs findet bei den Arbeitgebern statt. Ich halte aber politische Instrumente nicht für zielführend, wenn wir nicht am Anfang ansetzen.»

Mit Anfang meint Schenker die Gesellschaft. «Ein Grossteil der Lohnungleichheit ist erklärbar. Frauen arbeiten öfter Teilzeit, haben weniger Führungspositionen inne und arbeiten in wertschöpfungsschwächeren und damit tiefer bezahlten Branchen. Ich glaube vielmehr, dass wir als Gesellschaft in der Verantwortung sind und darüber diskutieren sollten, warum das so ist.»

Man müsse schon früh ansetzen und Frauen auch rund um Fragen ihrer Berufswahl sensibilisieren und dazu ermutigen in Richtungen zu gehen, die vielleicht als Männerdomäne bekannt sind. 

Frauen wählen das Ernährermodell

Eine aktuelle Befragung vom Magazin Annabelle und dem Meinungsforschungsinstitut Sotomo zeigt: Die Mehrheit der Frauen bevorzugt immer noch ein Familienmodell mit dem Mann als Haupternährer. Ausserdem ist die Mehrheit der Frauen finanziell abhängig vom Ehemann. Saskia Schenker gibt zu bedenken: «Das hat Auswirkungen bis in die Altersvorsorge und darüber müssen wir vermehrt sprechen.»

Im Rahmen einer repräsentativen Studie haben Annabelle und Sotomo über 6000 Frauen in der Deutschschweiz gefragt: Wie geht es euch? Jede Zweite gibt an, finanziell von ihrem*ihrer Partner*in abhängig zu sein. Und: Am nervigsten finden Frauen in ihrer Partnerschaft, dass der Haushalt grösstenteils an ihnen hängenbleibt.

Im Rahmen einer repräsentativen Studie haben Annabelle und Sotomo über 6000 Frauen in der Deutschschweiz gefragt: Wie geht es euch? Jede Zweite gibt an, finanziell von ihrem*ihrer Partner*in abhängig zu sein. Und: Am nervigsten finden Frauen in ihrer Partnerschaft, dass der Haushalt grösstenteils an ihnen hängenbleibt. (Foto: Sotomo)

Die Lohnstatistik des Bundes überzeugt Schenker jedoch nicht. Die Analyse sei zu wenig detailliert, als das weiterführende Aussagen getroffen werden könnten. «Die effektive Berufserfahrung, Erwerbsunterbrüche und wesentliche Informationen zur Ausbildung wie Weiterbildungen, Informatik- und Sprachkenntnisse werden zum Beispiel nicht erfasst. Wir müssen mehr erfahren über den nicht erklärbaren Teil.»

Detailliertere Studien aus dem Ausland zeigten aber, dass auch unterschiedliche Persönlichkeitsmerkmale von Frauen und Männern wie Selbstvertrauen, Verhandlungssicherheit und Risikobereitschaft einen Einfluss auf das Lohnniveau haben. Hier wiederum setze die Frauenförderungsarbeit der Arbeitgeber*innen an, sagt Schenker. 

In einem Punkt sind sich Krummenacher und Schenker einig: Die Pandemie hat die Ungleichheit verschärft. Zwei Drittel der Tieflohnbezüger*innen sind Frauen. Sie sind es, die das Nachsehen haben, wenn es um Sparrunden und Entlassungen geht.

Bei Bajour haben wir Einheitslöhne.

Christina ist verhalten optimistisch. Sie arbeitet mittlerweile nicht mehr für die Firma. Sie wurde pandemiebedingt letzten Winter entlassen. «Besonders traurig bin ich darüber nicht.» Nächste Woche fängt Christina eine neue Stelle an. Ihr neuer Arbeitgeber habe von Anfang an sehr transparent über den Lohn gesprochen.

Rückblickend sagt sie: «Ich habe meine Lektion gelernt. Ich bin nicht mehr so naiv oder gutgläubig.» Die negative Erfahrung hat Christina zwar getroffen, desillusioniert ist sie deshalb aber nicht. «Es tut sich etwas. Das spürt man schon. Ich würde mir aber für die Zukunft wünschen, dass es mehr Kontrolle gibt, was die Lohnsituation angeht. Es kann nicht sein, dass man Angst haben muss, seinen Job zu verlieren, wenn man sich für eine Lohnerhöhung einsetzen will.»

* Namen und andere persönliche Angaben wurden zum Schutz der Person abgeändert

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