«Aktivismus muss nicht immer Widerstand sein»
Im Zeichen der Tage gegen Gewalt an Frauen möchte das Frauenstark-Filmfestival der Basler Organisation Iamaneh Geschichten von Betroffenen zeigen, die über Klischees hinausgehen und zu Solidarität anstiften. Anlässlich des 10-Jahr-Jubiläums erzählt Festivalorganisatorin Marilyn Umurungi, wie das gelingen kann.
Marilyn Umurungi, um was geht es beim Frauenstark-Filmfestival und was möchten Sie damit erreichen?
Das Frauenstark ist kein klassisches Filmfestival mit einer Jury. Neben den Filmen gibt es Podiumsdiskussionen und Begegnungen. Das ist für uns ein Medium, um innerhalb der Schweiz auf die Themen von Iamaneh aufmerksam zu machen. Wir haben spezifische Projekte mit Partnerorganisationen in südosteuropäischen und westafrikanischen Ländern. In den Filmen und Diskussionen, die wir zeigen, geht es um die Sensibilisierung zu Themen, an denen wir arbeiten, wie Geschlechtergerechtigkeit, häusliche Gewalt oder beispielsweise auch weibliche Genitalbeschneidung.
Sie feiern dieses Jahr das 10-Jahr-Jubiläum des Festivals, was ist dieses Jahr speziell?
Dieses Jahr ist das Thema «Stimmen der Veränderungen». Wir haben ganz allgemein auf unsere Arbeit als NGO in den letzten 10 Jahren zurückgeschaut. Die internationale Zusammenarbeit hat sich in dieser Zeit stark verändert und wir versuchen, dem gerecht zu werden. Es ging in letzter Zeit viel um Dekolonialisierung und um internationale Zusammenarbeit auf Augenhöhe. Wir wollten schauen, wo wir diesbezüglich stehen. Beim Thema häusliche Gewalt schauen wir uns während dem Festival auch die Entwicklungen in Basel an.
Marilyn Umurungi warnt schon zu Beginn des Gesprächs lachend, dass sie beim Reden sehr in Fahrt kommen kann. Sie arbeitet für die Basler Nichtregierungsorganisation Iamaneh, die in Südosteuropa und Westafrika Projekte zu Gendergerechtigkeit und Gesundheitsförderung umsetzt. Umurungi ist ausserdem Co-Kuratorin am Landesmuseum Zürich sowie Kunst- und Kulturvermittlerin.
Was können uns Filme im Kontext der Festival-Themen besonders gut vermitteln?
Das lässt sich schwer quantifizieren. Aber Kunstpraktiken in Film und Musik machen Themen greifbarer und erreichen viel mehr Leute, als wenn ich ihnen einfach einen Text gebe. Filme schaffen einen Raum, in dem sich die Zuschauer*innen mit den dargestellten Erfahrungen identifizieren können. Damit kann man auch schwere Themen vermitteln.
Welche der Geschichten, die Sie für das Festival ausgewählt haben, berühren Sie besonders?
Im Dokumentarfilm «1001 Days» geht es um die alltäglichen Kämpfe von werdenden Müttern in einem Township in Südafrika. Der Film zeigt die Mütter in den ersten 1001 Tagen nach der Geburt. Die Frauen leben in gewaltbedingten Umständen und haben keine Erholung nach der Geburt. Es hat mir gezeigt, dass Mutter sein mit tagtäglichen Kämpfen verbunden ist, die oft nicht gesehen und anerkannt werden. Allgemein zum Thema häusliche Gewalt gibt es sehr viele Filme. Doch die Rollen sind oft recht klar verteilt, der Mann ist gewalttätig und die Frau kann sich nicht lösen. Es ist schwierig einen Film zu finden, der keine Klischees reproduziert. Im italienischen Film «Morgen ist auch ein Tag» gelingt dies. Mir gefällt, wie die Protagonistin Widerstand auf ihre eigene Art leistet – und am Schluss überrascht. Man merkt, die Regisseurin Paola Cortellesi hat mit Betroffenen und Netzwerken geredet und gefragt, welche Geschichte sie nicht mehr hören wollen.
«Es ist schwierig einen Film zu finden, der keine Klischees reproduziert.»
Die Festival-Themen sind schwer. Wie können Sie die Leute motivieren, sich mit ihnen auseinanderzusetzen?
Das ist eine riesige Herausforderung. Es steckt viel Arbeit in einem Festival und man möchte, dass die Leute dann kommen. Ich kenne die Herausforderungen von anderen Human-Rights-Filmfestivals. Es kommt immer eine «Bubble», die uns treu ist. Ich habe aber das Gefühl, dass sich in der Weihnachtszeit viele Menschen viel eher dazu bewegen lassen, sich mit den Realitäten anderer Menschen zu beschäftigen. Es ist kein Zufall, dass die Tage gegen Gewalt an Frauen in dieser Zeit gesetzt werden.
Was tun Sie, um Personen ausserhalb dieser «Bubble» anzusprechen?
Wir möchten auch Schüler*innen ansprechen, dieses Jahr mit dem Film «Sisterhood», danach reden wir gemeinsam über weibliche und männliche Rollenbilder mit einem Experten vom Männerbüro Basel. Wir achten uns generell sehr darauf, wen wir als Expert*in einladen. Dann laden wir statt einer*m Wissenschaftler*in zum Beispiel auch mal eine*n Künstler*in zur Diskussion ein. Wir möchten dem Publikum möglichst unterschiedliche Perspektiven bieten.
Was kann Solidarität und die Auseinandersetzung mit anderen Realitäten bewirken?
Die Geschichte zeigt uns, wie schwer es ist, alleine Veränderungen anzustossen. Für politische Entscheidungen braucht es einen Zusammenschluss von verschiedenen Personen. Insbesondere bei Veränderungen für marginalisierte Gruppen ist Solidarität sehr wichtig. Ohne Solidarität und Unterstützung auch von nicht Betroffenen, kommen diese Bewegungen nur schwer voran. Zusammen sind wir stärker – ausserdem können Menschen ausserhalb des Problems manchmal auch die nötige emotionale Distanz mitbringen, um Veränderungen in Bewegung zu setzen.
«Bei Veränderungen für marginalisierte Gruppen ist Solidarität sehr wichtig.»
Sie engagieren sich gegen rassistische Diskriminierungen und haben in einem Interview erwähnt, dass Sie sich auf sogenannte «Healing Spaces» fokussieren. Kann ein Filmfestival einen Raum dafür bieten?
Direkt auf Ungleichheiten zu zeigen, kostet sehr viel Energie. Das hat mich persönlich sehr müde gemacht. Jetzt will ich mich mit Sachen auseinandersetzen, die mich und andere stärken. Das heisst, dass ich mich mit Menschen treffe, die ähnliche Diskriminierungen erfahren haben oder mich in Netzwerken austausche. Aktivismus muss nicht immer Widerstand sein. Wenn ich das auf die Filme des Festivals übertrage, denke ich an den Film «Morgen ist auch noch ein Tag». Dort sieht man, wie die Protagonistin in der Stille Widerstand leistet, in einem System, das sie unterdrückt.
Was wünschen Sie sich von den Besucher*innen des Festivals?
Dass sie sich nicht nur emotional berühren lassen, sondern auch bereit sind, das Geschehene in ihrem persönlichen oder beruflichen Umfeld weiterzutragen. Zum Beispiel durch Gespräche, Unterstützung von Projekten oder aktivem Eintreten für Gleichstellung.
Das Frauenstark-Filmfestival hat am 28. November begonnen und geht noch bis zum 6. Dezember. Die Filme werden im Kino Küchlin Saal1 gezeigt. Hier findest du das Programm und weitere Infos.