Machtstrukturen im Nachtleben: Ein Kollektiv hält dagegen

Die Gruppe will ein Zeichen setzen – gegen Diskriminierung und für mehr Sichtbarkeit von Minderheiten im Nachtleben: Für sein Engagement erhält das OKRA-Kollektiv den Basler Kulturförderpreis. Gründungsmitglieder Katie und Mirco erzählen, was ihre Arbeit ausmacht und warum sie von Awareness-Konzepten nichts halten.

Okra Kollektiv
(Bild: Noëmi Laux )

Kennengelernt haben sich die beiden über die Musik, beide legen auf. Dass sie einmal zusammen Partys organisieren würden, kam deshalb nicht unbedingt aus dem Nichts. Katie und Mirco gehören zum Gründungsteam des OKRA-Kollektivs, das sich für diskriminierungsfreie Räume einsetzt und ebensolche Partys organisiert. 

Vier Jahre nach ihrer Gründung erhält die Gruppe den Basler Kulturförderpreis. Am heutigen Montag überreicht der Basler Regierungsrat die mit 10’000 Franken dotierte Auszeichnung im Rahmen einer kleinen Feier im Rathaus. Als Kollektiv, das nicht kapitalorientiert arbeitet, bringt sie der Preis in ein moralisches Dilemma: Einerseits sind sie auf finanzielle Unterstützung angewiesen, andererseits widerspricht dies ihren antikapitalistischen Prinzipien. Dennoch wollen sie mit dem Geld bewusst umgehen und freuen sich über die Anerkennung.

«Das Geld gibt uns eine Basis, auf der wir aufbauen können», sagt Mirco. «Wenn wir so weitermachen wollen, brauchen wir finanzielle Unterstützung», ergänzt Katie. Momentan fokussiert sich die Gruppe auf das Organisieren von Partys, «von Black People für Black People», fügt Katie an und macht eine kurze Pause, bevor sie weiterspricht. «Unsere Partys stehen allen offen, aber in erster Linie wollen wir unsere Community stärken, uns eine Plattform schaffen und sichtbarer werden.»

«Am Anfang wollten wir einfach einen Raum schaffen, in dem wir sicher sind und uns wohlfühlen, einen Raum, in dem unsere eigenen Regeln gelten.»
Katie über die Kollektivgründung

Denn als BPoC (Black and People of Color) fühlen sich Katie und Mirco häufig nicht gesehen, von der Gesellschaft anders wahrgenommen, als die weisse Mehrheit. Katie, 27, nennt ein Beispiel: Als junge Frau, lange bevor sie selbst auflegte, war sie oft auf Afrobeat-Partys. «Dort war ich hauptsächlich von weissen Männern umgeben: die Veranstalter, die DJs, die Gäste – alle waren weiss.» Irgendwann konnte und wollte sie nicht mehr auf diese Partys gehen, erzählt sie. «Ich dachte mir: ‹What the fuck, das ist meine Kultur.›»

Später als DJ erlebte sie ähnliche Formen der Diskriminierung. Wenn sie gebucht wurde, dann in erster Linie wegen ihrer Hautfarbe, sagt sie, nicht wegen der Musik. «Mit einer Schwarzen Frau im Line-up warben die Veranstalter mit einem diversen Programm. Aber kaum jemand hat das Grundproblem verstanden.» Es gehe darum, sich selbst zurückzunehmen, Macht abzugeben, doch dazu später mehr.

Die Anfänge

Wir schreiben das Jahr 2020, das Jahr, in dem die Black-Lives-Matter-Bewegung erstmals globale Aufmerksamkeit erlangte; das Jahr, in dem so viel über Rassismus gesprochen wurde wie selten zuvor. «Und wer hat da vor allem gesprochen? Wer wurde auf Podien eingeladen?», fragt Katie und beantwortet die Frage gleich selbst: «Viel zu selten die Menschen, die selbst von Rassismus betroffen sind.» Angetrieben von der BLM-Bewegung haben sie umgesetzt, was sie schon lange geplant hatten: ihr eigenes Kollektiv.

«Am Anfang wollten wir einfach einen Raum schaffen, in dem wir sicher sind und uns wohlfühlen, einen Raum, in dem unsere eigenen Regeln gelten», so Katie. Doch dann kam die Pandemie. Statt grosse Partys veranstalteten sie zunächst kleine Küchensessions bei Katie zu Hause. «Wir trafen uns, kochten zusammen, machten Musik und hatten einfach eine gute Zeit.» Als die Pandemie vorbei war, die Clubs wieder aufmachten und die Menschen wieder feierten, wollten sie diesen «Space», den sie sich während der Pandemie geschaffen hatten, erhalten und nach aussen tragen. So wurden aus den privaten Küchentreffen offizielle Partys, das Kollektiv bekam einen Namen: OKRA. Okra ist ein bohnenartiges Gemüse, aussen ist es hart, innen glitschig: «So wie wir», fügt Katie an und lacht.

Okra Kollektiv
(Bild: Samuel Bramley @samuel_bramley)

Ihre Veranstaltungen wurden schnell grösser, offizieller, aber ihre Grundüberzeugungen blieben: Schwarze Künstler*innen pushen, diskriminierungsfreie Räume schaffen, bestehende Machtverhältnisse aufbrechen – eine Herausforderung in einer Branche, die von Machtstrukturen und klaren Hierarchien geprägt ist. Ohne Regeln sei das unmöglich, sagt Katie: «Die Clubbesitzer*innen, mit denen wir zusammenarbeiten, müssen sich zunächst selbst hinterfragen, das Team schulen und zum Beispiel bereit sein, BPoC an die Tür zu stellen».

Awareness-Konzepte und Plakate – bringt's das?

Dass es im Ausgang häufiger zu diskriminierenden Übergriffen komme, hänge damit zusammen, dass oft Alkohol und Drogen im Spiel seien, die Menschen fühlten sich ausgelassen, erzählt Katie. Das ist kein Tabuthema mehr. Übergriffe werden öffentlich und Menschen sprechen zunehmend über ihre Diskriminierungserfahrungen. Immer häufiger hängen in Nachtclubs oder Bars Plakate an den Wänden, die darauf hinweisen, dass jede Form von Diskriminierung nicht geduldet werde. Veranstalter*innen werben mit Awareness-Konzepten.

Doch das löse das Problem nicht, im Gegenteil: «Der ganze Hype um Awareness und Safe Spaces führt dazu, dass viele Veranstalter*innen das Gefühl haben, das Problem sei gelöst, jetzt wo sie ein Plakat aufgehängt haben und den Menschen am Eingang erklären, dass sie sich benehmen sollen», so Mirco. Was fehle, sei eine ehrliche Auseinandersetzung und der Wille, sich mit den tiefer liegenden Mechanismen der Diskriminierung zu beschäftigen.

Mirco spricht von einem Backlash, der in der männerdominierten Clubszene noch stärker zu spüren sei als in anderen gesellschaftlichen Bereichen. «Solange die Männer sich nicht selbst hinterfragen und erkennen, dass sie Teil des Problems sind, bleiben die Machtstrukturen erhalten», fasst er zusammen. 

«Wenn du etwas verändern willst, musst du Macht abgeben. Oder einfach still sein.»
Mirco, OKRA-Kollektiv

Doch wie lässt sich ein diskriminierungsfreier Raum schaffen? «Das geht gar nicht», erwidert er. «Denn die Mechanismen von Diskriminierung sitzen meist so tief, dass sie den Täter*innen oft gar nicht bewusst sind.» Man könne nur sensibilisieren und die Menschen dazu bringen, ihre eigenen Positionen zu reflektieren. «Bei unseren Veranstaltungen gibt es keine Plakate», fügt Katie an. «Unsere Hauptaufgabe besteht darin, den Dialog zu suchen und die Ursprünge und Mechanismen hinter jeder Form von Diskriminierung aufzuzeigen.» Wenn ihre Regeln eingehalten werden, seien ihre Veranstaltungen für alle offen.

Mirco und Katie leben, was sie sagen. Das zeigt ihre Arbeit, das wird aber auch im Gespräch deutlich. Hauptsächlich Katie erzählt, beide lassen sich ausreden, hören zu und ergänzen – auf Augenhöhe. Es geht um Respekt für das Gegenüber. Einmal sagt er: «Wenn du etwas verändern willst, musst du Macht abgeben. Oder einfach still sein.» Um ihre Prinzipien ehrlich leben zu können, mussten sie bei sich selbst anfangen. Auch ihr Kollektiv habe sich mit der Zeit verändert. «Wir haben uns von Leuten getrennt, die nicht verstanden und verinnerlicht haben, wofür wir stehen.»

Das Kollektiv besteht heute aus neun Künstler*innen: Jean Foncé, Joy Asumadu, Anouchka Enziga, Glenn Asumadu, Tidiane Sane, Mirco Joao-Pedro, Imani Fux, Abdulmalik Abdi und Katie Omole. Ihr Ziel ist es, eines Tages von ihrem Engagement leben zu können, und: «Irgendwann wollen wir nicht mehr nur Veranstaltungen organisieren, sondern ein gemeinsames Zuhause schaffen, einen Ort, an dem wir alle zusammen leben, zusammen kreativ sind und vor allem einen Ort, an dem wir uns sicher fühlen.» Auch wenn ihnen klar ist, dass sie allein das bestehende System nicht verändern können, halten sie an ihren Überzeugungen fest und leben, wofür sie stehen.

zwei Herzen
Wir sind kein Kollektiv, haben aber eine Kollekte

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