Turandot ohne Happy End

Christof Loys Inszenierung des unvollendeten Opernklassikers von Puccini bringt am Theater Basel einen neuen Schluss auf die Bühne. Das Experiment gelingt nur bedingt.

Turandot Theater Basel
Calàf (in der Mitte) und Turandot beim Rätselraten, dahinter die versammelte Pekinger Hofgesellschaft. (Bild: Ingo Höhn)

Die Geschichte des persischen Märchens aus Tausendundeine Nacht ist weithin bekannt: Prinzessin Turandot stellt ihren Brautwerbern jeweils Rätselaufgaben – wer sie nicht lösen kann, wird geköpft. Heirat oder Tod, es geht ums Ganze. Unzählige scheitern und enden mit dem Kopf im Eimer, bis ein namenloser Prinz die Rätsel löst und Turandot für sich gewinnen kann.

Das Märchen wird im 18. und 19. Jahrhundert in Europa populär, nach dem Venezianer Carlo Gozzi widmen sich auch namhafte deutsche Dramatiker wie Friedrich Schiller, Karl Gustav Vollmoeller oder Max Reinhardt dem Stoff. Die Inszenierung Reinhardts soll es gewesen sein, die Giacomo Puccini dazu inspirierte, eine – seine letzte – Oper zu Turandot und damit Musikgeschichte zu schreiben. Am Sonntagabend präsentierte das Theater Basel eine neue Inszenierung von Regisseur Christof Loy – mit einem Schluss, den man so noch nie gesehen hat.

Turandot Theater Basel
Calàf ist besessen von der Idee, Turandot für sich zu gewinnen. (Bild: Ingo Höhn)

Puccini verlagert die Handlung des Märchens an einen mythischen chinesischen Kaiserhof in Peking, wo Turandot einen Verehrer nach dem anderen auf dem Schafott enden lässt. Bei einer weiteren Hinrichtung taucht ein junger Prinz namens Calàf in der Menge auf, der als nächster sein Glück versuchen will. Er ist der Sohn des flüchtigen Tatarenkönigs Timur, der von dessen Sklavin Liù begleitet wird, die wiederum in den Prinzen verliebt ist. 

Calàf gelingt es als Erster, die Rätsel Turandots zu lösen, doch diese will ihn nicht heiraten. Der Prinz bietet ihr einen Ausweg – wenn Turandot bis zum nächsten Morgen seinen Namen herausfindet, darf sie über sein Leben verfügen. Timur und Liù werden gefangengenommen und verhört, sie sollen den Namen des Prinzen verraten. Aus Angst, durch die Folter ihre Standhaftigkeit zu verlieren und ihren Geliebten auszuliefern, bringt sich Liù um.

Über diesen Punkt der Geschichte ist Puccini nicht herausgekommen. Er verzweifelte so lange an einer grossen Liebesszene zwischen Turandot und Calàf, bis ihn der fortschreitende Kehlkopfkrebs schliesslich in die Knie zwang. An der Uraufführung an der Scala in Mailand 1926 blieb die Oper ohne Schluss, in der Folge setzte sich eine Nachkomposition des Finales von Franco Alfano durch, in dem sich Calàf und Turandot schliesslich doch noch glücklich vermählen.

Bei der Turandot-Premiere am Theater Basel am Sonntag wählte Loy nun einen anderen Schluss: Anstatt das Stück durch eine andere Hand vollenden zu lassen, nahm er für den letzten Akt einfach Musik aus einer anderen Puccini-Oper, Manon Lescaut. Eine mutige und kreative Lösung für das Fragment-Problem. Ging sie auf? So halb, könnte man sagen.

Turandot Theater Basel
Das zweigeteilte Bühnenbild: Unten der Hof mit Auftritt des Kaisers, oben Timur und Liù, die besorgt zuschauen. (Bild: Ingo Höhn)

Loy änderte nicht nur den Schluss, sondern stellte der Oper auch einen Prolog voran: Als kleines Mädchen erfährt Turandot, dass ihre Urahnin Lou-Ling von einem tatarischen Eroberer vergewaltigt und umgebracht wurde. Ihr Morden erklärt sich dadurch als grosser Rachefeldzug gegen ein ganzes Geschlecht. Trotz grosser Überspitzung hat das Stück damit Aktualität – es geht um generationale Traumata und die schwierige bis unmögliche Herausforderung der Geschlechter-Verständigung.

Das Bühnenbild der Basler Neuinszenierung, für das Herbert Murauer verantwortlich zeichnet, ist wie ein Splitscreen geteilt: In der unteren Hälfte spielt sich die eigentliche Handlung am kaiserlichen Hof ab. Darüber liegt ein schlichter, weisser Gang, der als eine Art Beobachter-Ebene fungiert – die längste Zeit der Oper befinden sich darin Liù und Timur, die dem Gang der Dinge mit einiger Verzweiflung tatenlos zuschauen.

Dieser nimmt denn auch bei Loy seinen bekannten Verlauf: Calàf ist besessen von Turandot und möchte sie erobern. Nachdem er ihre Rätsel zum grossen Erstaunen von Hof und Volk löst, bleibt Turandot hart und will ihn nicht zum Mann nehmen. Es folgt das Ultimatum der Namensnennung Calàfs und der anschliessende Selbstmord Liùs.

Und dann der Twist: Für den 4. Akt, eigentlich der Schlussakt aus Manon Lescaut, breitet sich der weisse Gang nach unten aus und übernimmt die ganze Szenerie. Liù liegt leblos auf der Bühne, dahinter Turandot und Calàf. Turandot irrt in der Wüste herum und ist am Verdursten. Calàf, der erfolglos nach Wasser sucht, kann sie nicht retten – Turandot bricht zusammen und stirbt. Kurz vor ihrem Tod erklärt sie Calàf ihre bedingungslose Liebe.

Turandot Theater Basel
Prinzessin Turandot in Vollmontur. Die Kostüme repräsentieren den westlichen Blick auf Fernost. (Bild: Ingo Höhn)

So richtig nimmt man Turandot, die im letzten Akt eigentlich die Figur Manon spielt, den Liebestod nicht ab – zu abrupt ist ihr Sinneswandel, zu wenig Bezug nimmt das Geschehen auf Liùs Rolle dabei. Es fehlt ein sinnstiftender Übergang, der die Transformation vom Trauma zu dessen Überwindung schlüssig macht. Dazu kommt der musikalische Rückwärtsbruch: Manon Lescaut ist eine frühe Oper Puccinis, sie entstand über 30 Jahre vor Turandot. Entsprechend verschieden klingt Puccinis Tonsprache, zumal Manon Lescaut mit Frankreich und Nordamerika in einem ganz anderen Kulturkreis als Turandot spielt.

Der Exotismus und Fernost-Fetisch Puccinis in Turandot sorgte im Vorfeld der Basler Inszenierung übrigens für Diskussionen. Die oft plakative Musik – Puccini bedient sich vor allem sehr ausgiebig an Pentatonik und «chinesischen» Klangfarben – bleibt bei Loy wenig überraschend originalgetreu.

Die Kostüme, ebenfalls ein häufiger Kritikpunkt, sind teils klischeehaft gehalten (traditionelle Gewänder, weiss geschminkte Gesichter, der funkelnd-verzierte Kopfschmuck Turandots), teils modernisiert. Es ist kein richtiger Bruch mit Stereotypen zu erkennen, wenngleich diese leicht überzeichnet sind. Angesichts der Tatsache, dass die Oper Puccinis nicht als Historienstück, sondern als westlicher Blick auf ein nach Fernost verlegtes Märchen zu verstehen ist, scheint dieser Umgang aber nicht problematisch.

Turandot
Calàf klammert sich an Liù, die aus Liebe zu ihm Selbstmord begeht. (Bild: Ingo Höhn)

Vollends überzeugen können bei der Basler Turandot-Premiere das Sinfonieorchester unter der Leitung von José Miguel Pérez-Sierra sowie die Sänger*innen der Hauptrollen. Rodrigo Porras Garulo gibt Calàf eine differenzierte und leidenschaftliche Stimme – seine Vorzeige-Arie «Nessun Dorma» gelingt mit eher schlichter Verzierung und bedachtem Spannungsaufbau. Miren Urbieta-Vega singt Turandot nicht nur mit grosser Durchschlagskraft, ihr Schauspiel fesselt von der ersten Sekunde an.

Heimlicher Star des Abends aber ist Sopranistin Mané Galoyan, die als Liù zwei fantastische Arien («Signore, ascolta» und «Tu che di gel sei cinta») auf die Bühne zaubert – ihre Stimme ist klar und sanft, verliert auch in den höchsten Lagen nichts an Feinheit und Intonation.

Alles in allem ist die Basler Turandot-Inszenierung durchaus sehens- und hörenswert, auch wenn sie gewisse konzeptuelle Schwächen aufweist. Wer sich nach einem versöhnlichen Ende des blutigen Märchens sehnt, sollte sich einen Besuch aber gut überlegen.

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Nächste Vorstellungen auf der Grossen Bühne des Theater Basel sind:

  • 08. März, 19.30 Uhr
  • 16. März, 18.30 Uhr
  • 23. März, 18.30 Uhr
  • 19. März, 19.30 Uhr

Weitere Termine im April, Mai und Juni sowie Tickets gibt es auf der Webseite des Theater Basel.

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