Rufen Sie zum Trump-Mord auf, Pfarrer Dürr?
Martin Dürr wünsche Trump das Ende, schrieb die «BaZ». Und «Blick» zog nach. Der Pfarrer fühlt sich falsch verstanden, der Journalist habe ihn nicht einmal Stellung nehmen lassen.
Am Ostersonntag veröffentlichte Martin Dürr auf Facebook einen Post mit dem Titel «Nachtgedanken 22». Darin bezieht sich der Co-Leiter des Pfarramts für Wirtschaft und Industrie, ein Verbindungsorgan zwischen Kirche und Wirtschaft, auf den 75. Todestag von Dietrich Bonhoeffer. Der Theologe und Holocaust-Widerstandskämpfer war bei der Planung des Attentats auf Hitler vom 20. Juli 1944 dabei. Pfarrer Dürr fragt sich: «Wie hätte ich gehandelt? Hätte ich meine Stimme erhoben, wenn ein Diktator den totalen Krieg ausgerufen hätte?»
Und dann schlägt Dürr in seinem Facebook-Post einen Bogen, der ihm zum Verhängnis wird. Seine Gedanken zu den USA und deren Präsident Donald Trump formuliert er so: «Wie kann es sein, dass Millionen von Evangelikalen (...) einen pathologischen Lügner und Narzissten wählten und ihn weiterhin anbeten, als wäre er Gott? Wann ist der Moment gekommen, einen faschistischen Diktator umzubringen?»
Zwar präzisiert Dürr weiter unten: «Natürlich zögere ich, zum Tyrannenmord aufzurufen». Die Frage sei, wann Nichtstun die grössere Schuld ist. «Ich kann diese Frage nicht beantworten.» Doch das lässt «BaZ»-Autor und Freikirchler Daniel Wahl nicht gelten. In einem Kommentar schrieb der Journalist am Montag, Dürr habe zum Mord an Donald Trump aufgerufen. «Für einen Geistlichen kam die Inspiration aus finsteren Tiefen – weniger vom Gehirn, mehr aus dem Herzen, das eine Mördergrube ist» schrieb Wahl. Und der «Blick» doppelte am Abend nach, der Titel lautete ebenfalls: «Basler Pfarrer Dürr ruft zum Mord an Trump auf».
Mordaufruf, Mördergruben-Herz, das sind krasse Vorwürfe. Wir von Bajour wollten wissen: Was ist da dran? Und riefen bei Martin Dürr an.
Martin Dürr, rufen Sie zum Tyrannenmord gegen Donald Trump auf?
Nein. Aber ich habe mich offensichtlich in meinem Facebook-Post missverständlich ausgedrückt und damit viele Leute verletzt. Das tut mir leid.
Sie nennen Trump in einem Satz einen Narzissten und im nächsten sprechen sie von Tyrannenmord. Da kann man schon auf den Gedanken kommen, dass Sie einen Mord an Trump für eine mögliche Option halten.
Diese Schlussfolgerung hat mich völlig überrascht. Und auch die Reaktionen der «BaZ»-Leser*innen. Seit der Artikel gestern Abend online publiziert wurde, bekam ich unzählige Hassmails. Was ich zugeschickt bekommen habe…ich will es gar nicht ausformulieren. Aber jetzt weiss ich, was Leute meinen, wenn sie vom Hass im Netz reden.
Sie nennen Trump auf Facebook einen Narzissten und fragen im nächsten: «Wann ist der Moment gekommen, einen faschistischen Diktator umzubringen?»
Diese Frage bezieht sich auf den Holocaust-Widerstandskämpfer Dietrich Bonhoeffer. Er hat ein Attentat auf Hitler geplant. Ich frage mich: Was hätte ich an seiner Stelle getan? Hätte ich mich öffentlich gegen den Judenhass gewehrt? Hätte ich mich Hitler entgegengestellt?
Stellen Sie die heutige Situation in den USA mit dem Holocaust gleich?
Nein, sicher nicht, das wäre nicht angebracht.
Warum schlugen Sie dann den Bogen von Nazideutschland zum Amerika unter Trump?
Wenn ich amerikanische Medien lese, stelle ich fest, dass sich Trump über die Gewaltentrennung hinwegsetzt.
Haben Sie ein Beispiel?
Lesen Sie mal die amerikanischen Zeitungen.
Meinen Sie das Impeachment? Nennen Sie mir ein Beispiel, in dem die Gewaltentrennung ausgesetzt wurde.
Das Impeachment ist ein Beispiel. Aber dazu kommt Trumps Tonfall: Er äussert sich abwertend über andere Religionen, über Menschen, die nicht weiss sind, über Homosexuelle. Und ich frage mich, wenn ich an Bonhoeffer denke: Wann darf man nicht mehr schweigen? Wann ist es ein Verbrechen, sich nicht gegen eine solche unchristliche Politik zu wehren?
Wünschen Sie Trump den Tod?
Nein, das tue ich nicht. Aber ich habe amerikanische Freunde, Christen, die in der republikanischen Partei sind und Trump unterstützen. Und diese frage ich: Wie könnt ihr eine Politik unterstützen, die so offensichtlich gegen christliche Werte wie Nächstenliebe ist? Das müssen die Amerikaner*innen selbst beantworten, ich stelle nur die Frage.
Gibt es Ihrer Meinung nach einen Zeitpunkt, an dem Tyrannenmord gerechtfertigt ist?
Das ist gerade die Frage, die ich stelle.
Und was ist Ihre Antwort?
Ich habe keine. Sicher ist: In der Schweiz funktioniert die Gewaltentrennung. Zwar gibt es auch hier Leute, die dem Bundesrat im Moment diktatorische Züge unterstellen. Aber unsere föderalistische Demokratie unterbindet zu grosse Macht.
Und in den USA?
Dort haben die Ungerechtigkeit und Polarisierung ein Mass erreicht, das nicht mehr erträglich ist.
Ist Trump in Ihren Augen ein Tyrann?
Nein, aber wie viele Beobachter*innen auf der Welt mache ich mir Sorgen.
Stellen Sie deshalb die Frage des Tyrannenmords?
Ja, aber vom Tyrannenmord rede ich wegen Bonhoeffer. Ich selber will den Mord nicht als valable Option zur Diskussion stellen, sondern diskutieren, ab wann Ungehorsam gegen die Machthaber zwingend wird. Und mit Ungehorsam meine ich nicht Mord, sondern gewaltlosen Widerstand.
Warum fordern Sie in Ihrem Text denn nicht explizit gewaltlosen Widerstand ein?
In meinem Text heisst es weiter unten: «Darum stehen wir auch morgen wieder auf. Und stehen ein für die Hoffnungslosen, die Verzweifelten, die Zerbrochenen und die von der Angst Gelähmten. Wir stehen auf für unsere Freunde und sogar unsere alten Feinde, die keine Kraft mehr haben. Wir stehen auf für die Menschlichkeit jenseits aller religiösen und kulturellen Unterschiede. Wir stehen auf und wir stolpern, wir fallen und richten uns gegenseitig wieder auf. Wir stehen auf und machen Fehler, wir sind nicht perfekt und wir wissen nicht alles im Voraus. Wir stehen auf und setzen auf die Fantasie der Liebe und die Kraft der Vergebung. Wir stehen auf und brauchen unsere Vernunft und unser bestes Wissen und folgen unserem tiefstem Empfinden für die Wahrheit.» Ich kann derzeit nicht besser und eindeutiger formulieren, was gewaltloser Widerstand ist.
Heisst das, Sie sind weniger radikal als Dietrich Bonhoeffer?
Ja. Deshalb löst er bei mir so viele Fragen aus. Aber ich habe mich offensichtlich nicht klar genug ausgedrückt.
Haben Sie sich der «BaZ» erklärt?
Nein, die «BaZ» hat mich nie kontaktiert, ich konnte nicht Stellung nehmen. Daniel Wahl kennt mich seit langem persönlich. Es wäre einfach gewesen, sich bei mir zu melden.
Anmerkung der Redaktion: Bajour hat Daniel Wahl gefragt, weshalb Dürr nicht Stellung nehmen konnte, wie es Richtlinie 3.8 des Journalistenkodexes des Presserats vorschreibt. Daniel Wahl sagte, er habe einen kritischen Kommentar unter Dürrs Post auf Facebook geliked, worauf Dürr ihn gesperrt habe. Daraufhin habe er ihn nicht mehr kontaktiert.
Martin Dürr hat sich nach Erscheinen des «BaZ»-Artikels auf Facebook für seinen Post über den Tyrannenmord entschuldigt und sich ein Schreibverbot auferlegt: «Ich habe viel dazugelernt. Und muss noch vieles lernen.