Schaden Antigentests wirklich mehr als sie nützen?
Antigentests könnten die Pandemie abkürzen. Das BAG sieht das entschieden anders, hat dafür aber nur schwache Argumente.
Der Stand des Wissens ist der: Ob und wie stark ein*e Covid-Infizierte*r ansteckend ist, hängt von der Virenlast ab. Diese kann mit dem PCR-Test gemessen werden. Je weniger Zyklen man braucht, um zu einem positiven Ergebnis zu gelangen, desto grösser ist die Virenlast.
Die Ausgangslage
Die Obergrenze der Anstecklichkeit beginnt bei etwa 30 Zyklen. Laut einer Studie werden 99 Prozent aller Ansteckungen von den wenigen PCR-Positiven verursacht, deren Virenlast unter 23,3 Zyklen liegt. Eine weitere Studie besagt, dass die Anstecklichkeit bei 24 PCR-Zyklen endet.
Ein «regulärer PCR-Test hat 38 Zyklen. Das heisst, er entdeckt auch noch Virenlasten, die eine Million mal tiefer und nicht mehr ansteckend sind.
Der Antigentest ist weniger genau, aber er entdeckt praktisch 100 Prozent aller Virenlasten bis zu 25 PCR-Zyklen. Bei einer Virenlast zwischen 25 und 30 Zyklen liegt die Trefferquote bei etwa 50 Prozent.
Die Swissmedic lässt demnach Selbsttests zu, die mindestens 85 Prozent aller Testpersonen mit Virenlasten bis 30 PCR-Zyklen entdecken. Das sind zwar 15 Prozent Falsch-Positive, die aber alle, wenn überhaupt, nur wenig ansteckend sind.
Die Kehrtwende
So weit, so gut, doch all das gilt jetzt offenbar nicht mehr. Das BAG verbreitet neuerdings die These, dass Antigen-Tests doch nichts taugen. So sagte etwa Virginie Masserey vom BAG gegenüber der NZZ, Antigen-Selbsttest seien für Schulen und Unternehmen nicht geeignet. Damit entdecke man nur eine*n von drei Infizierten. Und Rudolf Hauri, der Präsident der Kantonsärzt*innen meinte: «Wenn man Personen besuchen will, die besonders gefährdet sind, haben Selbsttests keinen Platz.»
Wie begründet das BAG diese Haltung? Kennt es Studien wonach auch Virenträger*innen mit 30 Zyklen oder mehr ansteckend sind?
Auf der Homepage steht dazu nichts. Auch die Pressestelle kennt keine solchen Studien. Ein Sprecher des BAG verweist auf eine Studie der US-Gesundheitsbehörde CDC, die beweisen soll, dass der Antigentest im vorderen Nasenbereich falsche Ergebnisse liefert, weil sich die Viren bei symptomfreien Testpersonen vor allem im Rachenraum befinden. Doch in der Studie wird dieser Sachverhalt nicht überprüft, sondern bloss nebenbei als theoretische Möglichkeit erwähnt.
Die Zeitungen von Tamedia und CH Media zitieren eine Studie von Prof. Gilbert Greub als Kronzeuge gegen die Antigentests. Sie besage, dass nur 33 Prozent aller Personen, die keine Symptome verspürten, von den Antigentests erkannt wurden – obwohl sie gemäss einem PCR-Test mit dem Coronavirus infiziert waren.
Tatsächlich steht aber in der Studie, dass die Falsch-Negativ-Quote bei allen Testpersonen mit Virenlasten bis und mit 28 Zyklen bei allen vier überprüften Antigentests unter 4,5 Prozent lag und dass es unter 25 Zyklen keine Falsch-Negativen mehr gab.
Dass alle asymptomatischen Testpersonen insgesamt eine Falsch-Negativ-Quote von 67 Prozent aufweisen, hängt schlicht damit zusammen, dass diese Gruppe eine kleine Virenlast aufweist, die zwar nicht ansteckend ist, aber im PCR-Test dennoch positiv anschlägt. Wenn schon, wäre Greub der Kronzeuge gegen den PCR-Test.
Mit PCR kann man wegen der beschränkten Laborkapazitäten pro Tag maximal noch nicht einmal ein halbes Prozent der Bevölkerung testen und es dauert zwei bis drei Tage bis die Positiven (von denen mindestens zwei Drittel nicht ansteckend sind) in Isolation geschickt werden können. Mit den viel billigeren Antigentests könnte sich die ganze Bevölkerung mehrmals wöchentlich testen und die Ergebnisse liegen in einer Viertelstunde vor. (Siehe dazu diesen Plan von Professor Thomas Krech).
Da das BAG diese Chance offenbar nicht wahrnehmen will, müsste es diesen Entscheid gut begründen. Solange dies nicht der Fall ist, bleibt ein Verdacht: Antigentests werden in Korea für zirka einen Franken pro Stück hergestellt. Roche verdient für die Vermarktung noch ein paar Fränkli dazu. Die PCR-Tests hingegen sind für Pharma- und Diagnostikindustrie ein Multi-Milliardengeschäft und die Branche weiss ihre Connections zu den Gesundheitsbehörden zu nutzen.
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Werner Vontobel ist gebürtiger Basler und einer der bekanntesten Wirtschaftsjournalisten der Schweiz. Auf Bajour bringt er sich regelmässig zu volkswirtschaftlichen Themen, konjunkturpolitischen Grundsatzdebatten und ökonomischen Sinnfragen ein.