Ein Herz von Tieren
Der grösste Schlachtbetrieb der Schweiz sitzt in Basel. Bell will sich für Tierwohl stark machen, doch in der Debatte um die Massentierhaltungsinitaitive hält sich die Coop-Tochter zurück.
Eine grüne Zukunft: Wenige glückliche Schweine tollen auf der freien Wiese – das verspricht das Kampagnenplakat der Massentierhaltungsinitiative, über die wir am 25. September abstimmen. Als Kontrast dazu ist ein grauer, von tristen Schweinen überfluteter Raum ohne Platz für Bewegung zu sehen: die industrialisierte Gegenwart in den Augen der Initiant*innen.
Für die emojiüberladenen Nein-Kampagne zeichnet das ein falsches Bild: Massentierhaltung, das soll es in der Schweiz bereits heute nicht geben. Hinter der Kampagne stecken hauptsächlich verschiedene Verbände der Schweizer Landwirt*innen, die am unmittelbarsten von einer Annahme betroffen wären. Recht still wird es hingegen, wenn man dem Weg der Nutztieren vom Stall auf den Teller folgt: in die Schlachthöfe.
In Basel liegt der Hauptsitz der Bell Food Group, einem Tochterunternehmen von Coop. Vor 150 Jahren als «Ochsenmetzg» an der Streitgasse gegründet, ist Bell heute Marktführerin unter den Fleischvearbeitungsbetrieben der Schweiz – alt-Bundesrätin Doris Leuthard sitzt im Verwaltungsrat. Auch europaweit ist Bell eine grosse Nummer, vergangenes Jahr hat man 4,2 Milliarden Franken erwirtschaftet.
Wo ein Schlachthof ist, muss es massenhaft Tiere haben. Spricht man da schon von Massentierhaltung? Wäre Bell von der Initiative betroffen? Bell ist zurückhaltend, was politische Äusserungen anbelangt. Das wird klar, wenn man bei Mediensprecher Fabian Vetsch anruft. Direkt betroffen von der Initiative sei man schliesslich nur auf Ebene der Schlachtung – diese soll laut den Initiant*innen möglichst schonend sein, dafür setze sich Bell seit Jahren ein.
SRF 3 gegen Todesangst
Schonendes Schlachten, das klingt nach einem Oxymoron, nach einem Widerspruch in sich. Das bedeutet in diesem Fall, dass der Prozess möglichst stressfrei für die Tiere sein soll und dass sie durch Betäubung nichts mitbekommen und keine Schmerzen haben.
Bei Bell heisst das: Hühner und Schweine werden dann zur Betäubung mit einem CO2-Gasgemisch eingeschläfert und bluten durch einen Schnitt in die Halsschlagader aus. Rinder werden mit einem Bolzenschuss betäubt und dann ebenfalls ausgeblutet – und ihnen wird vor dem Betäuben SRF 3 vorgespielt, wie Bell-CEO Lorenz Wyss in einem Interview erzählte. In allen Bereichen, in denen die Tiere noch leben, ist zudem permanent Videoüberwachung aktiv.
Bell lässt sich auch einmal jährlich unangekündigt vom Schweizerischen Tierschutz kontrollieren und nimmt laut Vetsch die Verbesserungsvorschläge ernst. STS unterstützt laut eigenen Angaben die Ziele der Massentierhaltungsinitiative – zu konkreten Betrieben wie Bell wollte der Tierschutz auf Anfrage aber keine Auskunft geben. Zudem wird jedes einzelne Tier, das in den Schlachthallen von Bell landet, vom jeweils zuständigen kantonalen Veterinäramt kontrolliert. In Basel hat dieses sein Büro sogar praktischerweise auf dem Firmengelände von Bell.
«Wir arbeiten mit hunderten von Lieferantinnen und Lieferanten zusammen. Da können wir nicht jeden Tag in jedem Stall schauen gehen, wie die Verhältnisse vor Ort sind. Wir müssen uns also auch auf die Kontrollen der Behörden verlassen.»Fabian Vetsch, Mediensprecher Bell Food Group
Damit sind wir schon beim Kern der Debatte um die Massentierhaltungsinitiative. Denn hauptsächlich sind die Lieferant*innen betroffen, also die landwirtschaftlichen Betriebe, von denen Bell für seine Fleischproduktion abhängig ist. Die Initiant*innen fordern, dass für die Tierhaltung in der Schweiz die Normen angewendet werden, die heute für das «Knospe»-Label von Bio Suisse gelten.
Würde die Initiative angenommen, müsste der Bundesrat das Tierschutzgesetz so anpassen, dass es sich an den Richtlinien von Bio Suisse von 2018 orientiert. Das betrifft hauptsächlich die Anforderungen an Platz und Gruppengrössen in Ställen und Auslauf der Tiere, die zudem auch Bio-Futter erhalten. Wenn man von den Bio-Suisse-Richtlinien ausgeht, würden die Höchstbestände von 27.000 Hühnern pro Betrieb auf 4000 sinken. Laut Einschätzung des Bundes wären 5000 Betriebe von diesen neuen Höchstbeständen betroffen, also fünf Prozent der Betriebe in der Schweiz. 25 Jahre hätten die Betriebe Zeit, diesen Ansprüchen gerecht zu werden. Auch importiertes Fleisch müsste diesen Anforderungen entsprechen – im Fall von Bell also die Hühner, die in Deutschland und Österreich gehalten werden.
Bei einer Annahme der Initiative müssten die Landwirt*innen ihre Betriebe wohl auf diese Standards (siehe Box) anpassen. Davon wäre damit auch ein Grossteil der Partner*innenbetriebe von Bell betroffen. Das zeigt ein Blick in den aktuellen Nachhaltigkeitsbericht des Unternehmens: Gerade einmal fünf Prozent der Tiere, die Bell einkauft, haben ein Bio-Label.
Bedacht werden muss, dass der Anteil an Bio-Labels den gesamten Geschäftsbereich der Bell Food Group betrifft, also auch wenn Bell in Deutschland Fleisch für den deutschen Markt produziert. Doch gemäss Fabian Vetsch liegt der Bio-Anteil auch in der Schweiz lediglich im einstelligen Bereich.
Ein Blick auf die Eigenschlachtungen zeigt zudem: Der Anteil der Tiere mit Tierwohl-Label (also nicht nur bio), die Bell unter anderem am Standort in Basel selbst geschlachtet hat, sinkt seit Jahren. Das liegt laut Mediensprecher Vetsch daran, dass die Nachfrage nach Fleisch mit Tierwohl-Label abgenommen habe.
«Es gibt nunmal eine gewisse Diskrepanz zwischen den Ansprüchen ans Tierwohl, die in Meinungsumfragen geäussert wird, und beim Kaufverhalten. Schlussendlich bleiben wir ein Dienstleister und müssen produzieren, was nachgefragt wird.»Fabian Vetsch, Mediensprecher Bell Food Group
Doch heisst das jetzt, dass der Grossteil der Bell-Produkte aus Massentierhaltung stammt?
Das ist quasi die Frage, die am 25. September zur Abstimmung steht: ob konventionelle Tierhaltung mit Massentierhaltung gleichzusetzen ist. Für die Initiant*innen ist quasi alles, was nicht Bio-Standards entspricht, Massentierhaltung. Aus Sicht des Nein-Komittees, das nicht müde wird, auf die im europäischen Vergleich hohen Tierschutzanforderungen in der Schweiz hinzuweisen, gibt es hingegen hierzulande keine Massentierhaltung.
Fabian Vetsch sagt, Bell sei nicht in der Position, eine allgemeingültige Definition zur Massentierhaltung vorzugeben, das sei eine gesamtgesellschaftliche Frage.
Zieht sich Bell mit dieser Zurückhaltung aus der Verantwortung, die ein Big Player in der Fleischindustrie hat? Das Unternehmen will seine politische Neutralität nicht mit Gleichgültigkeit verwechselt habe. Denn Bell versteht sich in einer verantwortungsvollen Position: Das Engagement für Tierwohl steht im Verhaltenskodex des Unternehmens festgeschrieben.
Was die Massentierhaltungsinitiative anbelangt und wie sich diese auf das Geschäft auswirken würde, dazu will Bell nicht spekulieren. Ob die langfristigen Nachhaltigkeitsziele neu ausgerichtet werden müssen, wird Bell am 25. September erfahren.
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