So bubieinfach kommt man an ein Maskenattest
Im November demonstrierten Hunderte Menschen auf dem Basler Messeplatz gegen Corona-Massnahmen. Die Polizei kontrollierte 81 Demo-Teilnehmer*innen. 52 davon hatten ein ärztliches Attest. Wie ist das möglich? Bajour hat eine Ärztin angeschrieben – und sich von der Tragepflicht befreit.
Die Menschenrechte seien in Gefahr, die Schweizer Heimat verkomme zur Diktatur, heisst es von den Redner*innen auf der Bühne. Hunderte Menschen haben sich auf dem Messeplatz versammelt, um ihnen zuzuhören und ihre Solidarität zu bekunden. Auf Schildern wird die Freiheit für die Menschheit gefordert. Schweizer Fahnen wehen im kalten Wind.
Es ist Samstag, der 7. November 2020. Die Demonstrant*innen halten sich mit Mänteln, Schals und Mützen die herbstliche Kälte vom Leib. Hygiene-Masken, um sich vor dem Corona-Virus zu schützen, tragen wenige. Schliesslich sind sie hier, um gegen die Corona-Massnahmen zu protestieren.
2000 Menschen gegen Corona-Massnahmen
An der bewilligten Protestaktion nehmen rund 2000 Menschen teil, wie die Basler Zeitung später schreiben wird: «Eine Anti-Corona-Demonstration dieser Grösse hat in Basel noch nie stattgefunden.» Organisiert wurde sie von der Gruppierung «Friedvolles Einstehen für unsere Grundrechte und Demokratie», die auch schon in anderen Schweizer Städten zu Demonstrationen aufgerufen hat, heisst es auf 20 Minuten.
Die Polizei ist ebenfalls vor Ort und kündigt an, Personenkontrollen durchzuführen, wenn sich die Teilnehmer*innen nicht an die vom Bund erlassenen Corona-Schutzmassnahmen halten würden. Die Menge quittiert die Ansage der Einsatzleiterin der Polizei mit Buh-Rufen und Gejohle.
Kurz vor 15 Uhr beginnt die Polizei Demo-Teilnehmer*innen, die keine Maske tragen und nicht genug Sicherheitsabstand halten, zu kontrollieren. 81 Menschen müssen den Polizist*innen ihre Personalien preisgeben. 52 davon liefern dazu gleich das Attest mit, das sie von der Maskenpflicht befreit. Die Polizei teilt später mit, sie werde die Dispense auf ihre Gültigkeit überprüfen. Wer kein gültiges Attest vorweisen konnte, muss wegen Übertretung der Covid-19-Verordnung und der Übertretung des Epidemiegesetzes mit einer Strafverfolgung und Busse von bis zu 10'000 Franken rechnen.
52 von 81 Menschen hatten eine Masken-Dispens. Taugt die was?
Bisher hat die Polizei sich nicht weiter zur Untersuchung geäussert.
Anleitung auf Telegram
Wichtige Klammerbemerkung: Es gibt diverse Menschen, die begründbar keine Maske tragen können. Etwa, weil sie Opfer von Gewalt sind und Panikattacken bekommen, wenn sie Maske tragen. Oder Asthmatiker*innen, die keine Luft kriegen. Für diese Menschen ist es eine Qual, wenn sie eine Maske tragen müssen. Aus physischen oder psychischen Gründen.
Aber haben alle Demonstrant*innen von diesem Samstag legitime Gründe für ein Attest? Liegen psychische oder physische Gründe vor, oder politische? Und falls letzteres: Wie sind sie an ein solches Attest gelangt?
Die kurze Antwort: über Telegram.
Der Instant-Messaging-Dienst bietet User*innen die Möglichkeit, sich anonym anzumelden. Das haben auch die aktiven Corona-Skeptiker*innen erkannt. Auf Telegram zählt die «offizielle Gruppe» über 5000 Mitglieder. Hier tauschen sich die Corona-Skeptiker*innen schweizweit aus: Ort, Datum, Zeit und Programm der kommenden Demonstrationen. Links zu Petitionen, die eine «unabhängige Untersuchung der Corona-Massnahmen» fordern. Und: Tipps und Tricks, wie man ein ärztliches Attest erhält, das einen von der Maskenpflicht befreit.
Es sei ganz einfach. Der*die richtige Ärzt*in sei entscheidend:
Der Selbsttest
Ich beschliesse, diese Theorie zu überprüfen und melde mich – anonym – beim Admin der Gruppe. Meine Fragen: Wie muss ich’s angehen, wenn ich keine Lust habe, Maske zu tragen? Wie komme ich an ein Attest?
Wenige Stunden später folgt die Antwort: Der Kontakt zu einer Ärztin in Deutschland, inklusive detaillierter Anleitung, wie ich sie anschreiben muss. Sie habe schon vielen Schweizer*innen Masken-Dispensen ausgestellt.
Im Betreff soll ich einen bestimmten Männernamen angeben. Anschliessend müsse ich im Mail bloss meine Personalien und meine medizinischen «Probleme», wie die Kontaktperson schreibt, nennen.
Ich gebe mich in der Nachricht als jemand anderes aus und schreibe der Ärztin nach Deutschland, ob ich ein Attest erhalten könne. Einen Begründung liefere ich zunächst nicht.
Am nächsten Tag habe ich bereits eine Antwort. Die Ärztin helfe mir gerne weiter. Dafür brauche sie aber eine Erklärung von mir.
Ich bleibe möglichst vage und schreibe ihr, dass mir unwohl sei beim Masketragen. Bloss drei Sätze:
«Begründung: Die Maske bereitet mir Atemnot und darum Unwohlsein und Panikgefühle. Ich bleibe vermehrt zu Hause, um keine Maske tragen zu müssen. Es belastet mich mental, so eingeschränkt zu sein.»
Das reicht.
Die Ärztin antwortet ein paar Tage später, dass sie mir das Attest per Post zuschicken würde. Es kostet mich bloss 7 Euro inklusive Versand. Nach den herzlichen Grüssen, die sie mir wünscht, hat sie eine Reihe Links angehängt. Für weitere Informationen und Aktionstermine solle ich mich an die «Querdenker» wenden, steht da: Die aufgeführten Gruppen geben sich Namen wie «Demokratischer Widerstand», auch wird an die Verantwortung für die «Kinder- und Enkelgeneration» appelliert.
Ich habe nie mit der Ärztin gesprochen, geschweige denn eine Untersuchung vor Ort gehabt. Sie weiss nicht, ob mein Geburtsdatum stimmt, kennt meine medizinische Vorgeschichte nicht, weiss nicht, dass ich nicht die bin, für die ich mich ausgebe. Aber ich habe ein Attest, das mich von der Masken-Tragepflicht befreit.
Man könnte das als Bagatelle abtun. Aber mit der Politisierung der Maskentragepflicht verunglimpft man alle aufs Gröbste, die aus gesundheitlichen Gründen keine Maske tragen können.
Die «Querdenker»-Ärztin
Die Ärztin ist kein unbeschriebenes Blatt. Sie tritt in Youtube-Videos von Querdenken-International auf, einer Plattform für Anhänger*innen der Bewegung aus Deutschland, Österreich und Italien. In einem der Videos lässt sie sich negativ über Ärzt*innen aus, die keine Atteste verschreiben würden. Ein anderes Youtube-Video zeigt die Ärztin selbst bei einer Rede an einer Querdenken-Kundgebung in einer deutschen Stadt. Die «Querdenker»-Bewegung geriet spätestens mit dem Vergleich von Corona-Massnahmen und der Judenverfolgung und der Verharmlosung des Holocaust in die Kritik.
Die Schweizer Corona-Skeptiker*innen nennen sich zwar anders, die Rhetorik ist die Gleiche. Auch die Thurgauer SP-Kantonsrätin Barbara Müller, die auf dem Messeplatz als Rednerin auftrat, betonte in ihrer Rede, die Corona-Massnahmen würden sie «stark an 1933» erinnern.
Letzten Samstag steckt das Attest in meinem Briefkasten. Ich bin ärztlich von der Maskentragepflicht befreit.
Ich frage beim Schweizer Ärzt*innenverband (FMH) nach: Wie müssen Ärzt*innen korrekterweise vorgehen, wenn Patient*innen ein Attest verlangen? Welche Voraussetzungen müssen erfüllt sein? Ist mein Attest der deutschen Ärztin gültig?
Über die Gültigkeit des Attests möchte sich der Schweizer Ärzt*innenverband nicht äussern.
Jedoch hält Charlotte Schweizer, Kommunikationsverantwortliche der FMH, fest: «Aus Sicht der FMH ist es problematisch, wenn Ärztinnen und Ärzte Zeugnisse ausstellen, ohne entweder persönlich vor Ort oder telemedizinisch eine Konsultation durchgeführt zu haben. Es gibt sowohl körperliche wie auch psychische gesundheitliche Gründe, die eine Maskendispens rechtfertigen, wobei dies im Attest nicht näher differenziert werden muss. Grundsätzlich sollen Ärztinnen und Ärzte jede Anfrage individuell und sorgfältig prüfen.» Bloss zu sagen, das Masketragen sei unangenehm, reicht nicht, meint Schweizer abschliessend.
Mein Attest habe ich inzwischen auch der in dieser Sache ja immer noch ermittelnden Polizei vorgelegt und will wissen, ob es bereits Neuigkeiten gibt. Doch Polizeisprecher Toprak Yerguz sagt erneut nur:
«Wie wir am Samstag kurz nach der Kundgebung mitgeteilt haben, werden die vorgelegten Zeugnisse genauer überprüft. Wir müssen um Verständnis bitten, dass wir uns nicht weiter äussern können, solange diese Prüfung läuft. Die umfassenden Vorermittlungen dauern noch an. Sollte ein Verfahren in die Wege geleitet werden, wird die Kantonspolizei Basel-Stadt ihre Feststellung den zuständigen Behörden rapportieren. Das Verfahren wird dann von diesen geführt.»
Im Rechtsstreit?
Von der Basler Polizei sind also noch keine Verfahren gegen die deutsche Ärztin eingeleitet worden. Aber andere Ermittler*innen sind da offenbar schneller. Die Ärztin ist scheinbar auf rechtliche Unterstützung angewiesen, darauf weist dieser Solidaritäts-Aufruf in der Telegram-Gruppe der Corona-Skeptiker*innen hin:
278 STGB ist ein Paragraph im deutschen Strafgesetzbuch der besagt:
§ 278 Ausstellen unrichtiger Gesundheitszeugnisse
Ärzte und andere approbierte Medizinalpersonen, welche ein unrichtiges Zeugnis über den Gesundheitszustand eines Menschen zum Gebrauch bei einer Behörde oder Versicherungsgesellschaft wider besseres Wissen ausstellen, werden mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.
Die Ärztin war bis zu diesem Zeitpunkt nicht für eine Stellungnahme zu erreichen.