2022 wurden im Kanton Basel-Stadt weniger Sozialhilfe und weniger bedarfsabhängige Sozialleistungen bezogen. Die Quote sinkt seit 2017 kontinuierlich, schreibt das Statistische Amt. Jedoch hätten viel mehr Menschen Anspruch auf Sozialhilfe. Eine Studie im Auftrag des Kantons besagt, dass rund ein Drittel der in Frage kommenden Personen auf die Unterstützung verzichten. Warum die Betroffenen keine Sozialhilfe beantragen, wird durch die Studie nicht beantwortet. Bajour berichten bezugsberechtigte Personen, dass sie Angst hatten als «asozial» abgestempelt zu werden, dass sie sich vor migrationsrechtlichen Konsequenzen fürchteten oder dass es schlichtweg zu kompliziert war, Sozialhilfe zu beantragen.
Soll man Sozialleistungen einfacher beziehen können?
Bedingungsloses Grundeinkommen
Das wäre für mich der richtige Ansatz. Stigmatisierung wäre dann kein Thema mehr, da es ja alle bekommen würden. Auf der anderen Seite müsste die Steuerprogression bei hohen und höchsten Einkommen sich nicht abflachen sondern weiter steigen. Von mir aus bis die Kurve senkrecht nach oben geht. Dazu könnten die Mikrotransaktionen bei den Banken besteuert werden. So wäre genug Geld da um bedingungsloses Grundeinkommen zu finanzieren.
Bürokratie abbauen
In vielen anderen Verwaltungsbereichen rufen die bürgerlichen Parteien nach Bürokratieabbau. Wenn es um Menschen geht, die wenig oder nichts haben, schweigen sie. Deshalb müssen wir umso lauter rufen «Bürokratie in der Sozialhilfe abbauen». Das ganze System ist so kompliziert und administrativ aufwändig, dass viele, die eigentlich berechtigt werden, ein Gesuch unterlassen. Gerade in Zeiten von unsicheren Temporärjobs ist es aber wichtig, dass das soziale Netz greift und einfach und schnell zugänglich ist. Und natürlich muss der Vorstoss «Armut ist kein Verbrechen» von Nationalrätin Samira Marti vom Ständerat endlich angenommen und rasch umgesetzt werden!
Gut ausgebautes soziales Netz im Kanton
Das gut ausgebaute soziale Netz im Kanton Basel-Stadt kann nur dann die gewünschte Wirkung erzielen, wenn es die berechtigten Personen kennen und in Anspruch nehmen. Gerade wenn Kinder involviert sind, kann ein Nichtbezug die Chancenungleichheit fördern.
Destigmatisierung ist wichtig
Ich komme aus einem klassischen Bildungsbürgerlichen Haushalt (Vater Professor, Mutter eigentlich Lehrerin, aber mein ganzes Leben Hausfrau) und bin mit den entsprechenden Klischees und Vorurteilen gegenüber Personen die Sozialhilfe beziehen aufgewachsen. Als ich dann ungeplant mit 15 schwanger/16 Mutter wurde, hat mein Vater jede Finanzielle Unterstützung verweigert bis ich wieder zur Schule gehe. Und da ich nicht «asozial» sein wollte habe ich eben 3-4 Jobs, zum Teil schwarz, zum Teil Nachtleben (nicht Sexarbeit, aber andere Sachen, die auch nicht unbedingt sicher waren) gemacht, um über die Runden zu kommen.
Als ich 18 war und mein Sohn dann in Vollzeitbetreuung kam, bin ich zurück zur Schule, hab meine Matur gemacht, Jus studiert und inzwischen eine Kaderstelle bei einer international tätigen Unternehmensberatung. Mein Sohn ist inzwischen volljährig. Alles in allem also alles «gut gegangen» für uns beide – aber ich hätte es sicher besser und einfacher gehabt, wenn ich offen für Hilfe gewesen wäre.
Daher ist eine Destigmatisierung von Sozialhilfe extrem wichtig. Ich denke, viele Menschen würde davon profitieren, wenn sie in kritischen Zeiten Angebote nutzen, um wieder auf die Beine zu kommen (physisch, psychisch oder wie auch immer sonst) – und es nicht als «Urteil» sehen, für immer in einer Schicht oder einem bestimmten Stadium verbleiben zu müssen. Das betrifft wohl vor allem Leute, die nicht per se damit rechneten, mal auf Hilfe und Unterstützung angewiesen zu sein.
Ich denke aber auch ein allgemeiner Sinneswandel in der Gesellschaft weg vom kapitalistischen Ideal des immer produktiven, optimierten Superbürgers hin zu mehr Menschlichkeit inklusive Schwächen und «rough patches» im CV täte allen gut.
JA - Sozialhilfeleistungen soll man DRINGEND einfacher beziehen können!
Die finanzielle Unterstützung von Armutsbetroffenen ist zwar im Vergleich zu anderen Kantonen allgemein nicht schlecht ausgebaut - jedoch bestehen im Alltag weiterhin grosse Schwierigkeiten. Der Bezug von Unterstützungsleistungen sind in allen Bereichen rückläufig und es wird damit suggeriert, dass Armut für die reiche Stadt Basel kein Problem darstellt. Doch dies ist nicht die ganze Wahrheit - da ein wesentlicher Teil auf den Bezug von Unterstützungsleistungen verzichtet. Grundsätzlich fördert das verzettelte System der zuständigen Ämtern diesen Nichtbezug und die Angst vor negativen Konsequenzen - insbesondere bei der Erteilung von Aufenthaltsbewilligungen - unterstützt ebenfalls diesen Trend. Das Unterstützungsystem in Basel muss zwingend überdacht werden und die Sozialhilfeansätze müssten auf ein Niveau der Ergänzungsleistungen angehoben werden. Die Tatsache, dass Familien mit Kindern oder Alleinerziehende aufgrund von zu wenig Einkommen über Jahre Sozialhilfe in Anspruch nehmen müssen, ist aus einer armutspräventiven Sichtweise nicht mehr haltbar. Es braucht für die Zukunft eine Vereinfachung der Zugänge, kein hin und hergeschiebe zwischen den Sozialversicherungen und eine Etablierung von Ergänzungsleistungen für Familien.
Sozialhilfe muss bei den Anspruchsberechtigten ankommen!
Es ist sehr bedenklich, dass 30 % der Anspruchsberechtigten ihren Anspruch auf Existenzsicherung nicht geltend machen. Deshalb braucht es nun ganz klar mehr Information, einen einfacheren Zugang und eine Entstigmatisierung der Inanspruchnahme von Sozialhilfe. Ein Nichtbezug der Sozialhilfe und damit ein Leben in Armut grenzt aus und macht krank. Das belegen verschiedene Studien – und wissen wir auch von armutserfahrenen Menschen. Der Nichtbezug von Sozialhilfe hat für die betroffenen Menschen meist weitreichende weitere negativen Folgen wie soziale Ausgrenzung, Verschlechterung der Gesundheit und führt oft in eine Schuldenspirale.
Das Angebot zur Existenzsicherung in BS ist zwar da und gut, aber jetzt muss es auch bei den Menschen, für die es da ist und nötig brauchen, ankommen! Ich bin froh, dass das AWA dies anerkennt und Massnahmen angekündigt, um die anspruchsberechtigen Menschen auch zu erreichen.
Angst vor migrationsrechtlichen Konsequenzen
Mein Mann hat nie Sozialhilfe bezogen, weder als er in der Schule war ohne finanzielle Mittel und Einkommensmöglichkeiten, und auch nicht in der Lehre, obwohl die 600 bis 800 CHF nie ausreichen.
Grund war (und wäre immer noch), dass er dann seine Aufenthaltsbewilligung B verlieren würde, und selbst wenn er sie wegen Ermessen der Gemeinde behalten könnte, könnte er sich dann aber nicht einbürgern lassen. Um sich einbürgern zu lassen, muss man mindestens drei Jahre davor keine Sozialhilfe bezogen haben.
Sozialhilfe soll bei allen Menschen zum Tragen kommen
Ja, denn die Sozialhilfe ist das letzte soziale Netz in unserem System und dieses soll bei allen Menschen zum Tragen kommen, die für ihren Lebensunterhalt nicht oder nicht vollständig aufkommen können. Dass fast ein Drittel der Bezugsberechtigten auf Sozialhilfe verzichten und Kinder und Jugendliche sowie Personen ohne Schweizer Staatsbürgerschaft besonders oft von dieser verdeckten Armut betroffen sind, zeigt klar, dass es Verbesserungen braucht. Ich begrüsse es deshalb sehr, dass Kaspar Sutter und das WSU Massnahmen angekündigt haben, um die Nichtbezugsquote bei den Sozialleistungen zu senken.
Die Angst nehmen
Ich denke das problem liegt auch daran – wie es Oliver Bolliger gesagt hat – dass man Angst vor den Konsequenzen hat, wenn man Sozialhilfe beantragt. Da muss man sich auch fragen: Wie können wir dafür sorgen, dass man die Angst überwindet und seine Rechte wahrnehmen kann?
Gemeinschaftsfähigkeit stärken
Für eine Gesellschaft mit fehlender Gemeinschaftsfähigkeit ist ein mangelhaftes Sozialhilfesystem typisch. Das ist die eher materielle Seite: Die menschliche wiegt eher noch schwerer.
Sozialhilfe
Hallo
Mangels vertiefter Kenntnis bezüglich dem Bezug von Sozialleistungen kann ich nicht objektiv beurteilen, ob es zu schwierig oder zu einfach ist. Ich kann mir jedoch nicht vorstellen, dass die Beratungsdienste in BS betroffene Leute nicht genügend über deren Möglichkeiten informieren.
Selber kenne ich einen Fall von Sozialhilfebezug einer Person, welche ein nicht aktives Leben führt, sich für wenig interessiert und seit Jahren zu seinen Sozialleistungen kommt. So gesehen kann ich mir nicht vorstellig, dass der Bezug dieser Leistungen schwierig ist.
Mehr würdevollen Umgang mit Bezüger*innen
Es gibt auch Fälle in denen man mit berechtigtem Anspruch auf vorgelagerte Sozialhilfe bezieht und es fast freiwillig wieder aufgibt. Das steht in direktem Zusammenhang mit dem Amt für Sozialbeiträge, den zuständigen Sachbearbeitern und der Korrespondenz mit den Bezügern. Die Sprache darin ist würdelos und teils herabwertend.
Aufgrund falsch angenommener Informationen können Leistungen sofort ausgesetzt werden, auf die man angewiesen ist.
Z.B. die Annahme, dass man in einem Konkubinat lebe, weil man seit mehreren Jahren an der gleichen Adresse wohnt. Es gibt Institutionen, die gute Beratung für Einsprachen leisten. Wenn man nicht weiss, wo die zu finden sind, wird es schwierig. Es gibt auch solche Fälle. Was sich existenzbedrohend auswirkt und sich ein Gefühl von Angst und Ohnmacht einstellt, dass man sich fast nicht eine Einsprache zugesteht und versucht alles was geht zu minimieren, obwohl es nicht geht.
Ich vermute, solches kann man in der Statistik nicht finden.
Sozialhilfebezug
Spannend wären jetzt noch die Details anzuschauen. Es werden wohl mehrheitlich Schweizer/innen sein, welche Scham haben Sozialhilfe oder EL zu beantragen. Bei den Einwohnern mit Migrationshintergrund liegt die Hemmschwelle wesentlich tiefer.